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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Königin Tinse

ruheloser Flucht untergruben ihre zarte Gesundheit und Kummer und Harnen
vollendeten das Werk.

Trotzdem konnte die Königin vergessen, genießen, singen und tanzen; ja
fast zu viel. Dabei entzückte sie durch reizende Anmut und Grazie. Diplomaten
standen im Bann ihrer Schönheit, Redner stockten bei ihrem Anblick.

Und in der schönen Hülle wohnte eine schöne und liebe Seele. Königin
Luise war im Grunde ein einfaches Menschenkind, gemütvoll, keineswegs geist¬
reich, aber frauenhaft klug, klar und schlicht von Verstand. Sie ist bei aller
ungeheuchelten Gottesfurcht nicht als Kopfhängerin durchs Leben gegangen.

Es bleiben genug menschlich schöner Wesenszüge. Man hat nicht nötig,
sie zur Passionsgestalt zu stempeln; auch die tatkräftige Frau, die in die Staats¬
geschäfte eingreift oder gar mit ahnendem Blick in die Zukunft schaut und die
Befreiung kündet, ist sie nie gewesen. Man sollte weder einseitig religiöse noch
politische Größe ihr nachrühmen. Wir wissen jetzt: Königin Luise hat auf die
Entwicklung der großen, folgeschweren Staatsaktionen keinen Einfluß geübt.
Versuche, sie dazu zu verleiten, hat sie zur Enttäuschung der Anstifter abgelehnt.
Ihr Gatte wünschte keine Einmischung und sie gehorchte. Am Umschwung der
preußischen Politik 1806 hat sie keinen maßgebenden Anteil gehabt. Auch später
fehlen Beweise ihres Eingreifens in die Staatsgeschäfte. Vielleicht glücklicherweise!

Wohl aber sehen wir sie indirekt eine nachhaltige Wirkung ausüben. Sie
tröstet dem Land den gebrochenen und mehr als je Abdankung erwägenden
König. Sie redet dauerndem Widerstand das Wort. Sie fühlt, daß erst nach
innerer und sittlicher Erstarkung Preußens Staat sich erheben kann.

Vor allem aber ist die im raschen Wechsel der politischen Lage erfolgte
Berufung der Staatsmänner Stein und Hardenberg ihr Werk. Hier fühlen
wir ihre vermittelnde, versöhnende Hand im Hin und Wider der Verhand¬
lungen. Als Stein, von Napoleon geächtet, gehen mußte, berief sie Hardenberg.
In dieser letzten Betätigung darf man allerdings eine Art politischen Vermächt¬
nisses an das preußische Volk erblicken. Ihr ideelles an die deutsche Nation
war nach Schleiermachers Worten die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Auch dies darf man nicht zu wörtlich nehmen. Sie konnte so wenig als
irgendein anderer den Hergang der Dinge von 1813 und 1870 ahnen. Aber
sie wandte ihren festen Glauben an den Sieg des Guten in der Weltordnung
auch auf staatliche Dinge und ihr Volk an. So irrig diese Zuversicht unter
Umständen sein kann -- für die Kämpfer der Befreiungskriege ward sie zur
Losung; das Bild der Frau, die sie ausgegeben hatte, umschwebte in jenen
großen Tagen die Fahnen der preußischen Regimenter und begeisterte die Dichtung
zu den höchsten Tönen. Man pries sie als Königin der Anmut und der Sitten
und als schönste unter den Rosen. Ihr angetane Schmach sollte blutige Rache
finden. Rache, zumal für Tilsit!

Aber auch hier greift die Hand des sachlich urteilenden Geschichtsforschers
beschwichtigend und berichtigend ein. Königin Luise hatte ihren selbstlosen


Königin Tinse

ruheloser Flucht untergruben ihre zarte Gesundheit und Kummer und Harnen
vollendeten das Werk.

Trotzdem konnte die Königin vergessen, genießen, singen und tanzen; ja
fast zu viel. Dabei entzückte sie durch reizende Anmut und Grazie. Diplomaten
standen im Bann ihrer Schönheit, Redner stockten bei ihrem Anblick.

Und in der schönen Hülle wohnte eine schöne und liebe Seele. Königin
Luise war im Grunde ein einfaches Menschenkind, gemütvoll, keineswegs geist¬
reich, aber frauenhaft klug, klar und schlicht von Verstand. Sie ist bei aller
ungeheuchelten Gottesfurcht nicht als Kopfhängerin durchs Leben gegangen.

Es bleiben genug menschlich schöner Wesenszüge. Man hat nicht nötig,
sie zur Passionsgestalt zu stempeln; auch die tatkräftige Frau, die in die Staats¬
geschäfte eingreift oder gar mit ahnendem Blick in die Zukunft schaut und die
Befreiung kündet, ist sie nie gewesen. Man sollte weder einseitig religiöse noch
politische Größe ihr nachrühmen. Wir wissen jetzt: Königin Luise hat auf die
Entwicklung der großen, folgeschweren Staatsaktionen keinen Einfluß geübt.
Versuche, sie dazu zu verleiten, hat sie zur Enttäuschung der Anstifter abgelehnt.
Ihr Gatte wünschte keine Einmischung und sie gehorchte. Am Umschwung der
preußischen Politik 1806 hat sie keinen maßgebenden Anteil gehabt. Auch später
fehlen Beweise ihres Eingreifens in die Staatsgeschäfte. Vielleicht glücklicherweise!

Wohl aber sehen wir sie indirekt eine nachhaltige Wirkung ausüben. Sie
tröstet dem Land den gebrochenen und mehr als je Abdankung erwägenden
König. Sie redet dauerndem Widerstand das Wort. Sie fühlt, daß erst nach
innerer und sittlicher Erstarkung Preußens Staat sich erheben kann.

Vor allem aber ist die im raschen Wechsel der politischen Lage erfolgte
Berufung der Staatsmänner Stein und Hardenberg ihr Werk. Hier fühlen
wir ihre vermittelnde, versöhnende Hand im Hin und Wider der Verhand¬
lungen. Als Stein, von Napoleon geächtet, gehen mußte, berief sie Hardenberg.
In dieser letzten Betätigung darf man allerdings eine Art politischen Vermächt¬
nisses an das preußische Volk erblicken. Ihr ideelles an die deutsche Nation
war nach Schleiermachers Worten die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Auch dies darf man nicht zu wörtlich nehmen. Sie konnte so wenig als
irgendein anderer den Hergang der Dinge von 1813 und 1870 ahnen. Aber
sie wandte ihren festen Glauben an den Sieg des Guten in der Weltordnung
auch auf staatliche Dinge und ihr Volk an. So irrig diese Zuversicht unter
Umständen sein kann — für die Kämpfer der Befreiungskriege ward sie zur
Losung; das Bild der Frau, die sie ausgegeben hatte, umschwebte in jenen
großen Tagen die Fahnen der preußischen Regimenter und begeisterte die Dichtung
zu den höchsten Tönen. Man pries sie als Königin der Anmut und der Sitten
und als schönste unter den Rosen. Ihr angetane Schmach sollte blutige Rache
finden. Rache, zumal für Tilsit!

Aber auch hier greift die Hand des sachlich urteilenden Geschichtsforschers
beschwichtigend und berichtigend ein. Königin Luise hatte ihren selbstlosen


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[0080] Königin Tinse ruheloser Flucht untergruben ihre zarte Gesundheit und Kummer und Harnen vollendeten das Werk. Trotzdem konnte die Königin vergessen, genießen, singen und tanzen; ja fast zu viel. Dabei entzückte sie durch reizende Anmut und Grazie. Diplomaten standen im Bann ihrer Schönheit, Redner stockten bei ihrem Anblick. Und in der schönen Hülle wohnte eine schöne und liebe Seele. Königin Luise war im Grunde ein einfaches Menschenkind, gemütvoll, keineswegs geist¬ reich, aber frauenhaft klug, klar und schlicht von Verstand. Sie ist bei aller ungeheuchelten Gottesfurcht nicht als Kopfhängerin durchs Leben gegangen. Es bleiben genug menschlich schöner Wesenszüge. Man hat nicht nötig, sie zur Passionsgestalt zu stempeln; auch die tatkräftige Frau, die in die Staats¬ geschäfte eingreift oder gar mit ahnendem Blick in die Zukunft schaut und die Befreiung kündet, ist sie nie gewesen. Man sollte weder einseitig religiöse noch politische Größe ihr nachrühmen. Wir wissen jetzt: Königin Luise hat auf die Entwicklung der großen, folgeschweren Staatsaktionen keinen Einfluß geübt. Versuche, sie dazu zu verleiten, hat sie zur Enttäuschung der Anstifter abgelehnt. Ihr Gatte wünschte keine Einmischung und sie gehorchte. Am Umschwung der preußischen Politik 1806 hat sie keinen maßgebenden Anteil gehabt. Auch später fehlen Beweise ihres Eingreifens in die Staatsgeschäfte. Vielleicht glücklicherweise! Wohl aber sehen wir sie indirekt eine nachhaltige Wirkung ausüben. Sie tröstet dem Land den gebrochenen und mehr als je Abdankung erwägenden König. Sie redet dauerndem Widerstand das Wort. Sie fühlt, daß erst nach innerer und sittlicher Erstarkung Preußens Staat sich erheben kann. Vor allem aber ist die im raschen Wechsel der politischen Lage erfolgte Berufung der Staatsmänner Stein und Hardenberg ihr Werk. Hier fühlen wir ihre vermittelnde, versöhnende Hand im Hin und Wider der Verhand¬ lungen. Als Stein, von Napoleon geächtet, gehen mußte, berief sie Hardenberg. In dieser letzten Betätigung darf man allerdings eine Art politischen Vermächt¬ nisses an das preußische Volk erblicken. Ihr ideelles an die deutsche Nation war nach Schleiermachers Worten die Hoffnung auf bessere Zeiten. Auch dies darf man nicht zu wörtlich nehmen. Sie konnte so wenig als irgendein anderer den Hergang der Dinge von 1813 und 1870 ahnen. Aber sie wandte ihren festen Glauben an den Sieg des Guten in der Weltordnung auch auf staatliche Dinge und ihr Volk an. So irrig diese Zuversicht unter Umständen sein kann — für die Kämpfer der Befreiungskriege ward sie zur Losung; das Bild der Frau, die sie ausgegeben hatte, umschwebte in jenen großen Tagen die Fahnen der preußischen Regimenter und begeisterte die Dichtung zu den höchsten Tönen. Man pries sie als Königin der Anmut und der Sitten und als schönste unter den Rosen. Ihr angetane Schmach sollte blutige Rache finden. Rache, zumal für Tilsit! Aber auch hier greift die Hand des sachlich urteilenden Geschichtsforschers beschwichtigend und berichtigend ein. Königin Luise hatte ihren selbstlosen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/80>, abgerufen am 23.07.2024.