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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Königin Luise

Opfermut gekrönt, als sie am 6. Juli 1807 nach Tilsit ging, um für ihr Land,
ihr Haus, ihre Kinder bei dem unaufhaltsam vordringenden Franzosenkaiser zu
bitten.

Es war die Neige aus dem Wermutskelch, den sie schon so oft hatte an
die Lippen setzen müssen. Das Unwürdige der Tilsiter Begegnung haben ein¬
sichtige Preußen schon damals empfunden, das Vergebliche vielleicht geahnt.

"Großmut in der Politik ist Dummheit." Nach diesem, seinem Satz
handelte der Realpolitiker Napoleon. Auch in Tilsit. Er soll gegen die schöne,
bittende Frau unritterlich und von eiskalter Hartherzigkeit gewesen sein. Wohl!
Vom deutsch-vaterländischen Standpunkt mag der Vorwurf gelten. Sonst nicht!
Man darf billigerweise nicht vergessen, daß Königin Luise Napoleon als "die
Geißel der Welt" und "Quelle alles Bösen" ehrlich haßte. So verblättert die
"Rose von Tilsit" in der Hand dessen, der sich an ihrem Dufte erfreuen möchte!

Überhaupt, könnte man fragen, warum zerzaust die Forschung mit plumper
Hand die Blüten und Ranken nur eine königliche Frau, die in Stunden der
Not und vaterländischer Begeisterung, zumal ihren Geschlechtsgenossinnen, ein
leuchtend Vorbild war?

Königin Luise hat selbst ein feines Empfinden für Wahrheit in der
Geschichtsüberlieferuug gehabt und geäußert. Es ist darum kein sinnlos rohes
Beginnen, wenn man um der Wahrheit willen ein paar seither verzerrt dar¬
gestellte Züge aus ihrem Bild beseitigt. Nach wie vor schaut uns eine echte
deutsche Frau und Fürstin entgegen, voll Liebreiz und hoher Majestät des
Herzens, und erzählt von Kämpfen und Ringen, von seligster Liebe und leidigstein
Leid, bitterem Entsagen und mutiger Pflichttreue. Ein Menschenleben mit
Werten, die noch jetzt gelten. Noch heilte ist Königin Luise berufen, unseren,
Volk in erlaubtem Maß von Begeisterung eine vorbildliche Lichtgestalt zu sein,
in frohen Tagen des Wohlstandes zur Bewunderung und in ernster Zeit zur
spornenden Nacheiferung. Es könnte auch unserer Generation zur Ehre und
zum Vorteil gereichen, wenn sich bei ihr das prophetische Wort Jean Pauls
erfüllen würde: "Einst wird die ferne Zeit kommen, die uns um die Freude
über das Große und Schöne, das wir in ihr besaßen, beneidet."




Königin Luise

Opfermut gekrönt, als sie am 6. Juli 1807 nach Tilsit ging, um für ihr Land,
ihr Haus, ihre Kinder bei dem unaufhaltsam vordringenden Franzosenkaiser zu
bitten.

Es war die Neige aus dem Wermutskelch, den sie schon so oft hatte an
die Lippen setzen müssen. Das Unwürdige der Tilsiter Begegnung haben ein¬
sichtige Preußen schon damals empfunden, das Vergebliche vielleicht geahnt.

„Großmut in der Politik ist Dummheit." Nach diesem, seinem Satz
handelte der Realpolitiker Napoleon. Auch in Tilsit. Er soll gegen die schöne,
bittende Frau unritterlich und von eiskalter Hartherzigkeit gewesen sein. Wohl!
Vom deutsch-vaterländischen Standpunkt mag der Vorwurf gelten. Sonst nicht!
Man darf billigerweise nicht vergessen, daß Königin Luise Napoleon als „die
Geißel der Welt" und „Quelle alles Bösen" ehrlich haßte. So verblättert die
„Rose von Tilsit" in der Hand dessen, der sich an ihrem Dufte erfreuen möchte!

Überhaupt, könnte man fragen, warum zerzaust die Forschung mit plumper
Hand die Blüten und Ranken nur eine königliche Frau, die in Stunden der
Not und vaterländischer Begeisterung, zumal ihren Geschlechtsgenossinnen, ein
leuchtend Vorbild war?

Königin Luise hat selbst ein feines Empfinden für Wahrheit in der
Geschichtsüberlieferuug gehabt und geäußert. Es ist darum kein sinnlos rohes
Beginnen, wenn man um der Wahrheit willen ein paar seither verzerrt dar¬
gestellte Züge aus ihrem Bild beseitigt. Nach wie vor schaut uns eine echte
deutsche Frau und Fürstin entgegen, voll Liebreiz und hoher Majestät des
Herzens, und erzählt von Kämpfen und Ringen, von seligster Liebe und leidigstein
Leid, bitterem Entsagen und mutiger Pflichttreue. Ein Menschenleben mit
Werten, die noch jetzt gelten. Noch heilte ist Königin Luise berufen, unseren,
Volk in erlaubtem Maß von Begeisterung eine vorbildliche Lichtgestalt zu sein,
in frohen Tagen des Wohlstandes zur Bewunderung und in ernster Zeit zur
spornenden Nacheiferung. Es könnte auch unserer Generation zur Ehre und
zum Vorteil gereichen, wenn sich bei ihr das prophetische Wort Jean Pauls
erfüllen würde: „Einst wird die ferne Zeit kommen, die uns um die Freude
über das Große und Schöne, das wir in ihr besaßen, beneidet."




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[0081] Königin Luise Opfermut gekrönt, als sie am 6. Juli 1807 nach Tilsit ging, um für ihr Land, ihr Haus, ihre Kinder bei dem unaufhaltsam vordringenden Franzosenkaiser zu bitten. Es war die Neige aus dem Wermutskelch, den sie schon so oft hatte an die Lippen setzen müssen. Das Unwürdige der Tilsiter Begegnung haben ein¬ sichtige Preußen schon damals empfunden, das Vergebliche vielleicht geahnt. „Großmut in der Politik ist Dummheit." Nach diesem, seinem Satz handelte der Realpolitiker Napoleon. Auch in Tilsit. Er soll gegen die schöne, bittende Frau unritterlich und von eiskalter Hartherzigkeit gewesen sein. Wohl! Vom deutsch-vaterländischen Standpunkt mag der Vorwurf gelten. Sonst nicht! Man darf billigerweise nicht vergessen, daß Königin Luise Napoleon als „die Geißel der Welt" und „Quelle alles Bösen" ehrlich haßte. So verblättert die „Rose von Tilsit" in der Hand dessen, der sich an ihrem Dufte erfreuen möchte! Überhaupt, könnte man fragen, warum zerzaust die Forschung mit plumper Hand die Blüten und Ranken nur eine königliche Frau, die in Stunden der Not und vaterländischer Begeisterung, zumal ihren Geschlechtsgenossinnen, ein leuchtend Vorbild war? Königin Luise hat selbst ein feines Empfinden für Wahrheit in der Geschichtsüberlieferuug gehabt und geäußert. Es ist darum kein sinnlos rohes Beginnen, wenn man um der Wahrheit willen ein paar seither verzerrt dar¬ gestellte Züge aus ihrem Bild beseitigt. Nach wie vor schaut uns eine echte deutsche Frau und Fürstin entgegen, voll Liebreiz und hoher Majestät des Herzens, und erzählt von Kämpfen und Ringen, von seligster Liebe und leidigstein Leid, bitterem Entsagen und mutiger Pflichttreue. Ein Menschenleben mit Werten, die noch jetzt gelten. Noch heilte ist Königin Luise berufen, unseren, Volk in erlaubtem Maß von Begeisterung eine vorbildliche Lichtgestalt zu sein, in frohen Tagen des Wohlstandes zur Bewunderung und in ernster Zeit zur spornenden Nacheiferung. Es könnte auch unserer Generation zur Ehre und zum Vorteil gereichen, wenn sich bei ihr das prophetische Wort Jean Pauls erfüllen würde: „Einst wird die ferne Zeit kommen, die uns um die Freude über das Große und Schöne, das wir in ihr besaßen, beneidet."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/81>, abgerufen am 23.07.2024.