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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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payer und Naumann als Historiker

für Österreich die republikanische Gesinnung. "Der Charakter der Partei" --
sagt Paper -- "war stark republikanisch: wenn die alten Kämpfer in Stimmung
kamen, war ihnen ein Hoch auf die deutsche Republik ein Bedürfnis."

Lehrreich sind Papers Mitteilungen über die Zusammensetzung der Volks¬
partei. Sie umfaßte vorzugsweise Kreise des Kleinbürgertums. Ein interessanter
Beitrag zur Geschichte der Demokratie liegt darin, daß nicht jene die Führung
hatten; diese "fiel im wesentlichen Nechtsamvälten und einigen journalistisch
beschäftigten Politikern zu". Wider Willen bestätigt Paper hiermit das Urteil
Bismarcks und so vieler konservativen Politikerl Nach 1866 schlössen sich der
Partei, wie Paper weiter erzählt, aus Abneigung gegen Preußen "kurhessische,
sächsische und welfische Politiker an, die ihr demokratisches Herz entdeckten und,
wenn auch nur vorübergehend, eine lebhafte Tätigkeit für die volksparteiliche
Sache entfalteten, an der manche in Wirklichkeit wohl nur der föderative Gedanke
erfreuen mochte. In meiner Erinnerung stehen sie als kluge, gebildete, wohl¬
erzogene Männer, die uns für unseren stark bürgerlichen Geschmack fast zu vornehm
erschienen. Zu wirklichem Einfluß kamen sie nie, am wenigsten auf die Massen,
wenn sie auch für die programmatische Arbeit vieles leisteten." In der Einfluß-
losigkeit der "klugen, gebildeten, wohlerzogenen Männer", deren Talent man
"für die programmatische Arbeit" nur ausnutzt, liegt wiederum ein charakte¬
ristischer Beitrag zur Naturgeschichte der Demokratie. Heute kann man bei der
Steigerung der demokratischen Allüren, die gegenwärtig in Süddeutschland so
beliebt sind, ähnliches erleben. In einer süddeutschen Hauptstadt wurde vor
nicht langer Zeit ein patriotisches Fest gefeiert. Sonst war es Stil, daß man
für solche Fälle den hervorragendsten Redner auswählte. Jetzt verlangte der
demokratische Zeitgeist, daß nicht ein Gebildeter, sondern "ein geringer Mann
aus dem Volke" die Festrede hielt, und nun lauschten die gebildeten Kreise der
Hauptstadt der Rede, die der "geringe Mann aus dem Volke" sich vielleicht von
einem -- Halbgebildeten hatte machen lassen.

Wie aus den: Gesagten hervorgeht, war neben der Demokratie das Haupt¬
stück der Volkspartei der Partikularismus oder, wie Paper schamhaft die Sache
nennt, der "Föderalismus". Eben um dieses schroffen Partikularismus willen
fand sie nach 1866 auch die Unterstützung der württembergischen Regierung. Es
ist sehr amüsant, was Paper hierüber erzählt. Die Unterstützung der Regierung
und die Hilfe der Großdeutschen verschafften den Demokraten bei den Wahlen
Sum Zollparlament im Jahre 1868 den Sieg über die Kleindeutschen: "nicht
ein Vertreter dieser Richtung wurde nach Berlin entsandt. In: Juli desselben
Jahres revanchierte die Volkspartei sich bei den Landtagswahlen, für welche
mittlerweile König Karl das allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht ein¬
geführt hatte, bei der Regierung für den geleisteten Beistand."

Im Jahre 1868 gab sich die Volkspartei als "Südbund" ein offizielles
Programm. Paper selbst gesteht zu, daß es einen schärferen Gegensatz zu dem
Programm Bismarcks kaum geben konnte. Man setzte sich zum Ziel die


payer und Naumann als Historiker

für Österreich die republikanische Gesinnung. „Der Charakter der Partei" —
sagt Paper — „war stark republikanisch: wenn die alten Kämpfer in Stimmung
kamen, war ihnen ein Hoch auf die deutsche Republik ein Bedürfnis."

Lehrreich sind Papers Mitteilungen über die Zusammensetzung der Volks¬
partei. Sie umfaßte vorzugsweise Kreise des Kleinbürgertums. Ein interessanter
Beitrag zur Geschichte der Demokratie liegt darin, daß nicht jene die Führung
hatten; diese „fiel im wesentlichen Nechtsamvälten und einigen journalistisch
beschäftigten Politikern zu". Wider Willen bestätigt Paper hiermit das Urteil
Bismarcks und so vieler konservativen Politikerl Nach 1866 schlössen sich der
Partei, wie Paper weiter erzählt, aus Abneigung gegen Preußen „kurhessische,
sächsische und welfische Politiker an, die ihr demokratisches Herz entdeckten und,
wenn auch nur vorübergehend, eine lebhafte Tätigkeit für die volksparteiliche
Sache entfalteten, an der manche in Wirklichkeit wohl nur der föderative Gedanke
erfreuen mochte. In meiner Erinnerung stehen sie als kluge, gebildete, wohl¬
erzogene Männer, die uns für unseren stark bürgerlichen Geschmack fast zu vornehm
erschienen. Zu wirklichem Einfluß kamen sie nie, am wenigsten auf die Massen,
wenn sie auch für die programmatische Arbeit vieles leisteten." In der Einfluß-
losigkeit der „klugen, gebildeten, wohlerzogenen Männer", deren Talent man
„für die programmatische Arbeit" nur ausnutzt, liegt wiederum ein charakte¬
ristischer Beitrag zur Naturgeschichte der Demokratie. Heute kann man bei der
Steigerung der demokratischen Allüren, die gegenwärtig in Süddeutschland so
beliebt sind, ähnliches erleben. In einer süddeutschen Hauptstadt wurde vor
nicht langer Zeit ein patriotisches Fest gefeiert. Sonst war es Stil, daß man
für solche Fälle den hervorragendsten Redner auswählte. Jetzt verlangte der
demokratische Zeitgeist, daß nicht ein Gebildeter, sondern „ein geringer Mann
aus dem Volke" die Festrede hielt, und nun lauschten die gebildeten Kreise der
Hauptstadt der Rede, die der „geringe Mann aus dem Volke" sich vielleicht von
einem — Halbgebildeten hatte machen lassen.

Wie aus den: Gesagten hervorgeht, war neben der Demokratie das Haupt¬
stück der Volkspartei der Partikularismus oder, wie Paper schamhaft die Sache
nennt, der „Föderalismus". Eben um dieses schroffen Partikularismus willen
fand sie nach 1866 auch die Unterstützung der württembergischen Regierung. Es
ist sehr amüsant, was Paper hierüber erzählt. Die Unterstützung der Regierung
und die Hilfe der Großdeutschen verschafften den Demokraten bei den Wahlen
Sum Zollparlament im Jahre 1868 den Sieg über die Kleindeutschen: „nicht
ein Vertreter dieser Richtung wurde nach Berlin entsandt. In: Juli desselben
Jahres revanchierte die Volkspartei sich bei den Landtagswahlen, für welche
mittlerweile König Karl das allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht ein¬
geführt hatte, bei der Regierung für den geleisteten Beistand."

Im Jahre 1868 gab sich die Volkspartei als „Südbund" ein offizielles
Programm. Paper selbst gesteht zu, daß es einen schärferen Gegensatz zu dem
Programm Bismarcks kaum geben konnte. Man setzte sich zum Ziel die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/71>, abgerufen am 03.07.2024.