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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Neue Bücher

Er empfindet nun das rätselvolle Schließen des Kreises, der seltsam Tod und
Leben tauscht:

Ich war ein Kind, ich ward ein Greis,
Ich lieg' schon längst, wo Efeu rauscht.
Und Augen, die nicht meine sind,
Schaun sehnlich in den goldnen Schein:
Wie schön er heut mein Grab umspinnt
Und meines Enkels Glas und Wein.

Abgesehn von dem Zyklus "Jrrende Liebe", der nicht auf der Höhe des
Ganzen steht, ist wirklich viel heilige Not in diesem Buch, und Busses Persönlichkeit
gewinnt ein neues, ernstes, durchgeistigtes Profil.

Auch Carl Hauptmanns Lyrik, die lange nicht mehr erhältlich war, liegt nun
in der zweiten Auflage des Werkes "Aus meinem Tagebuch" (München, Georg
D. W. Callwey) vor. Seine Sache ist freilich nicht, wie bei Falke und Busse,
die geschlossene Form. Er ist viel mehr Hymniker, kommt langsam aus sich
heraus, gibt manchmal abgerissene, kleine Weisen, dringt aber in hohen Stunden
doch voll bis zum lyrischen Erlebnis vor. Dabei bleibt denn manches unvollendet,
aber dazwischen stehn Verse von hoher Schönheit, in denen man den Dichter des
Ostergesangs aus der "Mathilde" wiedererkennt, so etwa die schönen Rhythmen
an Hugo Wolf. Nur fällt in Hauptmanns Lyrik erheblich mehr als in seiner
Prosa, von der das Buch auch einige Stücke bringt, und in seinen Dramen auf,
daß er verhältnismäßig wortarm ist. In der Prosa hilft er sich mit größtem
Glück durch feine Nuancierung (ich denke vor allem an seine "Miniaturen") --
seine Lyrik leidet aber, aufs Ganze angesehn, unter diesem Mangel.

Einen alten Bekannten in neuem, schönem Gewände beschert uns der Insel-
verlag mit den "Briefen eines Unbekannten". Der von Kennern seit langem
bewunderte Schreiber war Alexander von Villers, ein deutscher Diplomat fran¬
zösischer Herkunft, der die längste Zeit in Wien gelebt hat. Graf Karl Lcmckoronski
und Wilhelm Weigand haben die Briefe wieder herausgegeben. Sie sind es
durchaus wert, denn es steckt überaus viel Geist, sehr viel Anschauung in ihnen --
nur freilich stört uns heute eine Häufung von Wortwitzen, die in den sechziger
und siebziger Jahren erträglicher erschien; überhaupt glaube ich, daß die Briefe
nun nicht mehr so stark wirken werden, weil wir in den letzten Jahren, zumal
durch die Briefe Bismarcks und Fontanes, Schätze erhalten haben, neben denen
diese doch ein wenig verbleichen. Was an ihnen am stärksten ergreift, ist (im
Gegensatz zu Fontane) die große Naturliebe dieses diplomatischen Hagestolzen, der
die ganze Kultur seiner Zeit besitzt und doch am liebsten in einem Blockhaus auf
einer Alp oder am Bergrand in der Wiener Landschaft sein Heim aufschlägt.

Die bekannte Geschichte der deutschen Literatur von Friedrich Vogt und
Max Koch (Leipzig, Bibliographisches Institut) liegt in einer dritten, neu bearbeiteten
und vermehrten Auflage vor. Das Werk ist mit Recht berufen, in die deutsche


Neue Bücher

Er empfindet nun das rätselvolle Schließen des Kreises, der seltsam Tod und
Leben tauscht:

Ich war ein Kind, ich ward ein Greis,
Ich lieg' schon längst, wo Efeu rauscht.
Und Augen, die nicht meine sind,
Schaun sehnlich in den goldnen Schein:
Wie schön er heut mein Grab umspinnt
Und meines Enkels Glas und Wein.

Abgesehn von dem Zyklus „Jrrende Liebe", der nicht auf der Höhe des
Ganzen steht, ist wirklich viel heilige Not in diesem Buch, und Busses Persönlichkeit
gewinnt ein neues, ernstes, durchgeistigtes Profil.

Auch Carl Hauptmanns Lyrik, die lange nicht mehr erhältlich war, liegt nun
in der zweiten Auflage des Werkes „Aus meinem Tagebuch" (München, Georg
D. W. Callwey) vor. Seine Sache ist freilich nicht, wie bei Falke und Busse,
die geschlossene Form. Er ist viel mehr Hymniker, kommt langsam aus sich
heraus, gibt manchmal abgerissene, kleine Weisen, dringt aber in hohen Stunden
doch voll bis zum lyrischen Erlebnis vor. Dabei bleibt denn manches unvollendet,
aber dazwischen stehn Verse von hoher Schönheit, in denen man den Dichter des
Ostergesangs aus der „Mathilde" wiedererkennt, so etwa die schönen Rhythmen
an Hugo Wolf. Nur fällt in Hauptmanns Lyrik erheblich mehr als in seiner
Prosa, von der das Buch auch einige Stücke bringt, und in seinen Dramen auf,
daß er verhältnismäßig wortarm ist. In der Prosa hilft er sich mit größtem
Glück durch feine Nuancierung (ich denke vor allem an seine „Miniaturen") —
seine Lyrik leidet aber, aufs Ganze angesehn, unter diesem Mangel.

Einen alten Bekannten in neuem, schönem Gewände beschert uns der Insel-
verlag mit den „Briefen eines Unbekannten". Der von Kennern seit langem
bewunderte Schreiber war Alexander von Villers, ein deutscher Diplomat fran¬
zösischer Herkunft, der die längste Zeit in Wien gelebt hat. Graf Karl Lcmckoronski
und Wilhelm Weigand haben die Briefe wieder herausgegeben. Sie sind es
durchaus wert, denn es steckt überaus viel Geist, sehr viel Anschauung in ihnen —
nur freilich stört uns heute eine Häufung von Wortwitzen, die in den sechziger
und siebziger Jahren erträglicher erschien; überhaupt glaube ich, daß die Briefe
nun nicht mehr so stark wirken werden, weil wir in den letzten Jahren, zumal
durch die Briefe Bismarcks und Fontanes, Schätze erhalten haben, neben denen
diese doch ein wenig verbleichen. Was an ihnen am stärksten ergreift, ist (im
Gegensatz zu Fontane) die große Naturliebe dieses diplomatischen Hagestolzen, der
die ganze Kultur seiner Zeit besitzt und doch am liebsten in einem Blockhaus auf
einer Alp oder am Bergrand in der Wiener Landschaft sein Heim aufschlägt.

Die bekannte Geschichte der deutschen Literatur von Friedrich Vogt und
Max Koch (Leipzig, Bibliographisches Institut) liegt in einer dritten, neu bearbeiteten
und vermehrten Auflage vor. Das Werk ist mit Recht berufen, in die deutsche


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[0657] Neue Bücher Er empfindet nun das rätselvolle Schließen des Kreises, der seltsam Tod und Leben tauscht: Ich war ein Kind, ich ward ein Greis, Ich lieg' schon längst, wo Efeu rauscht. Und Augen, die nicht meine sind, Schaun sehnlich in den goldnen Schein: Wie schön er heut mein Grab umspinnt Und meines Enkels Glas und Wein. Abgesehn von dem Zyklus „Jrrende Liebe", der nicht auf der Höhe des Ganzen steht, ist wirklich viel heilige Not in diesem Buch, und Busses Persönlichkeit gewinnt ein neues, ernstes, durchgeistigtes Profil. Auch Carl Hauptmanns Lyrik, die lange nicht mehr erhältlich war, liegt nun in der zweiten Auflage des Werkes „Aus meinem Tagebuch" (München, Georg D. W. Callwey) vor. Seine Sache ist freilich nicht, wie bei Falke und Busse, die geschlossene Form. Er ist viel mehr Hymniker, kommt langsam aus sich heraus, gibt manchmal abgerissene, kleine Weisen, dringt aber in hohen Stunden doch voll bis zum lyrischen Erlebnis vor. Dabei bleibt denn manches unvollendet, aber dazwischen stehn Verse von hoher Schönheit, in denen man den Dichter des Ostergesangs aus der „Mathilde" wiedererkennt, so etwa die schönen Rhythmen an Hugo Wolf. Nur fällt in Hauptmanns Lyrik erheblich mehr als in seiner Prosa, von der das Buch auch einige Stücke bringt, und in seinen Dramen auf, daß er verhältnismäßig wortarm ist. In der Prosa hilft er sich mit größtem Glück durch feine Nuancierung (ich denke vor allem an seine „Miniaturen") — seine Lyrik leidet aber, aufs Ganze angesehn, unter diesem Mangel. Einen alten Bekannten in neuem, schönem Gewände beschert uns der Insel- verlag mit den „Briefen eines Unbekannten". Der von Kennern seit langem bewunderte Schreiber war Alexander von Villers, ein deutscher Diplomat fran¬ zösischer Herkunft, der die längste Zeit in Wien gelebt hat. Graf Karl Lcmckoronski und Wilhelm Weigand haben die Briefe wieder herausgegeben. Sie sind es durchaus wert, denn es steckt überaus viel Geist, sehr viel Anschauung in ihnen — nur freilich stört uns heute eine Häufung von Wortwitzen, die in den sechziger und siebziger Jahren erträglicher erschien; überhaupt glaube ich, daß die Briefe nun nicht mehr so stark wirken werden, weil wir in den letzten Jahren, zumal durch die Briefe Bismarcks und Fontanes, Schätze erhalten haben, neben denen diese doch ein wenig verbleichen. Was an ihnen am stärksten ergreift, ist (im Gegensatz zu Fontane) die große Naturliebe dieses diplomatischen Hagestolzen, der die ganze Kultur seiner Zeit besitzt und doch am liebsten in einem Blockhaus auf einer Alp oder am Bergrand in der Wiener Landschaft sein Heim aufschlägt. Die bekannte Geschichte der deutschen Literatur von Friedrich Vogt und Max Koch (Leipzig, Bibliographisches Institut) liegt in einer dritten, neu bearbeiteten und vermehrten Auflage vor. Das Werk ist mit Recht berufen, in die deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/657>, abgerufen am 01.10.2024.