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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Familie einzudringen, und scheint das ja auch bereits erreicht zu haben, hoffentlich
vor allem unter Verdrängung des schlechten Buchs von König. Die vortreffliche
Ausstattung mit Bildern und Faksimiles ist des Verlags würdig und ein schönes
Dokument unsres Buchgewerbes -- nur die Bildnisse Goethes und Schillers müßten
durch wesentlich bessere ersetzt werden. Bei der Anlage des Ganzen ist mehr Wert
auf die ältere Literatur bis zur Romantik als auf die neuere gelegt, und der
Hauptwert des Werks beruht in der Tat auf diesen älteren Teilen. Bei der
Schilderung der Entwickelung seit der romantischen Schule wird viele stören, daß
Max Koch die Bayreuther Festspiele zu Unrecht als epochemachend auch für die
Literatur ansieht. Auch halte ich es nicht für glücklich, daß die Entwickelung des
Dramas und des Romans voneinander getrennt erzählt wird, da auf diese Weise
Fontane und die Münchner, ja noch Meyer zum Beispiel vor Hebbel und Ludwig
stehn. Daß einzelne neuere Dichter im Verhältnis zu älteren, minder wertvollen
schlechter wegkommen (Fontane hat etwa ein Sechstel von dem Platz des Gryphius),
liegt im Plan des Ganzen und braucht bei der Fülle von Literaturgeschichten des
neunzehnten Jahrhunderts, die wir besitzen, kein Schade zu sein. Schwerer wiegt
aber gerade bei der Knappheit der letzten Teile, daß zwar Julius Wolff und sogar
Marie Madeleine nebst einer Reihe kleiner Geister nicht fehlen, während Rudolf
Lindau, einer unsrer größten Erzähler, Fritz Stavenhagen, Max Eyes und mancher
andre nicht einmal genannt sind, die gerade in ein Familienbuch unbedingt hinein¬
gehören. Über einzelne Urteile zu rechten, hat gegenüber einem solch ausgedehnten
Werk wenig Wert, im ganzen wird man das nun schon eingebürgerte Buch, ins-
besondre für die ältere Zeit bis zur Romantik, aufs neue empfehlen dürfen.

Zum Schluß möchte ich die Aufmerksamkeit der "Grenzboten"-Leser noch
auf eine schon etwas ältere Gabe lenken, die mir noch immer nicht ihrem vollen
Werte nach gewürdigt erscheint, auf Ferdinand von Saars Sämtliche Werke, die
mit einer Biographie von Anton Bettelheim Jakob Minor (bei Max Hesse in
Leipzig) herausgegeben hat. Ich kann in diesem Rahmen nur immer noch einmal
auf diese Bände hinweisen; ihr Erscheinen bietet Gelegenheit, vieles an Ferdinand
von Saar gutzumachen, der ein feiner Lyriker, der größte österreichische seit Lenau,
und einer der größten deutschen Novellisten in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts gewesen ist. Seine "Novellen aus Österreich" haben geradezu
klassischen Reiz und sind in ihrem Stimmungsgehalt mit Recht oft mit denen
Storms verglichen worden. Der bescheidene Ruhm, den Saar im Alter genoß,
sollte sich jetzt nach seinem Tode zu einem vollen Klang durch ganz Deutschland
h Heinrich Spiero in verstärken.




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Familie einzudringen, und scheint das ja auch bereits erreicht zu haben, hoffentlich
vor allem unter Verdrängung des schlechten Buchs von König. Die vortreffliche
Ausstattung mit Bildern und Faksimiles ist des Verlags würdig und ein schönes
Dokument unsres Buchgewerbes — nur die Bildnisse Goethes und Schillers müßten
durch wesentlich bessere ersetzt werden. Bei der Anlage des Ganzen ist mehr Wert
auf die ältere Literatur bis zur Romantik als auf die neuere gelegt, und der
Hauptwert des Werks beruht in der Tat auf diesen älteren Teilen. Bei der
Schilderung der Entwickelung seit der romantischen Schule wird viele stören, daß
Max Koch die Bayreuther Festspiele zu Unrecht als epochemachend auch für die
Literatur ansieht. Auch halte ich es nicht für glücklich, daß die Entwickelung des
Dramas und des Romans voneinander getrennt erzählt wird, da auf diese Weise
Fontane und die Münchner, ja noch Meyer zum Beispiel vor Hebbel und Ludwig
stehn. Daß einzelne neuere Dichter im Verhältnis zu älteren, minder wertvollen
schlechter wegkommen (Fontane hat etwa ein Sechstel von dem Platz des Gryphius),
liegt im Plan des Ganzen und braucht bei der Fülle von Literaturgeschichten des
neunzehnten Jahrhunderts, die wir besitzen, kein Schade zu sein. Schwerer wiegt
aber gerade bei der Knappheit der letzten Teile, daß zwar Julius Wolff und sogar
Marie Madeleine nebst einer Reihe kleiner Geister nicht fehlen, während Rudolf
Lindau, einer unsrer größten Erzähler, Fritz Stavenhagen, Max Eyes und mancher
andre nicht einmal genannt sind, die gerade in ein Familienbuch unbedingt hinein¬
gehören. Über einzelne Urteile zu rechten, hat gegenüber einem solch ausgedehnten
Werk wenig Wert, im ganzen wird man das nun schon eingebürgerte Buch, ins-
besondre für die ältere Zeit bis zur Romantik, aufs neue empfehlen dürfen.

Zum Schluß möchte ich die Aufmerksamkeit der „Grenzboten"-Leser noch
auf eine schon etwas ältere Gabe lenken, die mir noch immer nicht ihrem vollen
Werte nach gewürdigt erscheint, auf Ferdinand von Saars Sämtliche Werke, die
mit einer Biographie von Anton Bettelheim Jakob Minor (bei Max Hesse in
Leipzig) herausgegeben hat. Ich kann in diesem Rahmen nur immer noch einmal
auf diese Bände hinweisen; ihr Erscheinen bietet Gelegenheit, vieles an Ferdinand
von Saar gutzumachen, der ein feiner Lyriker, der größte österreichische seit Lenau,
und einer der größten deutschen Novellisten in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts gewesen ist. Seine „Novellen aus Österreich" haben geradezu
klassischen Reiz und sind in ihrem Stimmungsgehalt mit Recht oft mit denen
Storms verglichen worden. Der bescheidene Ruhm, den Saar im Alter genoß,
sollte sich jetzt nach seinem Tode zu einem vollen Klang durch ganz Deutschland
h Heinrich Spiero in verstärken.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/658>, abgerufen am 01.07.2024.