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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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gar nicht mehr loslassen, erkundigte sich nach Tod und Teufel und schließlich ver¬
sprach ich ihm, noch heute einen Jäger zu schicken, der ihn zur Pirsch abholen sollte.

Als mir Susanne die Hand zum Abschied reichte, sah ich sie endlich so, wie
ich sie während dieser ganzen Tage hatte sehen wollen: heiter und zufrieden, ja

sogar mit einem Schimmer von Freundlichkeit im Gesicht.




Ich will jetzt ganz kurz bemerken, daß ich mich nach wenigen Wochen mit
der Majorstochter verlobte. Diese Einzelheiten unseres Näherkommens tun hier
nichts zur Sache, auch dürste es dabei nicht anders zugegangen sein wie in
neunundneunzig von hundert ähnlichen Fällen. Im übrigen war ja nicht meine
Verlobung mit Susanne Kleinere der Grund, um derentwillen ich diese Auf¬
zeichnungen niederschreibe.

Nach meinem Wunsche hätte unsere Hochzeit schon im Sommer gefeiert
werden sollen, der Alte aber und daS Mädchen baten, die Vermählung bis zum
Herbst aufzuschieben, da sie noch manches in Ordnung zu bringen hatten.

Sie waren jetzt häufig meine Gäste, der Major kannte mein Revier schon
in- und auswendig und rannte die ganzen Tage mit dein Gewehr herum, Susanne
und ich -- wir sprachen von unserer Zukunft. Und da war es mir eine herzliche
Freude, daß sie meinen Wunsch teilte, den größten Teil des Jahres hier auf dem
Lande zu verbringen. Auch im Winter.

Wir saßen halbe Tage lang im Schloßpark oder gingen im Schloß von
Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer und besprachen, wie wir alles
einteilen und benützen wollten. Und hatten wir schließlich nichts mehr zu beraten,
dann zogen wir durch den Wald und ich zeigte ihr meine schönsten Bänme, meine
liebsten Plätze.

Während einer solchen Waldwanderung gelangten wir auch in die Nähe jenes
Schlages, wo ich den Dachshund Krapf niedergeschossen hatte. Ich wollte den
Platz um keinen Preis betreten und fühlte, daß auch Susanne widerstrebte und
ihren Schritt verlangsamte. Und doch gingen wir beide hin. Beide aus jenem
verbissenen Trotz, der einen oftmals zwingt -- auch wenn man es durchaus nicht
nötig hat --, etwas Unangenehmes und Peinliches aufzusuchen. Und ganz so, wie
es uns mit unseren Bewegungen ergangen war, erging es uns anch mit unseren
Gedanken und Worten. Wir mußten um jeden Preis von jener leidigen Geschichte
zu sprechen beginnen.

Und da geschah es, daß Susanne mich fragte:

"Hättest du den Hund damals auch niedergeschossen, wenn dn gewußt
hättest -- ?"

Sie vollendete nicht und sah mich ruhig an.
Und ich antwortete, ohne zu überlegen:
"Nein. Was fällt dir denn ein."

Dann gingen wir weiter durch den Wald und sprachen wieder von ganz
anderen Dingen.----

Und am nächsten Tage kam dann das Merkwürdige, das Unverständliche;
kam jener Brief, den ich bis zu meiner letzten Stunde aufbewahren werde und
der mich jetzt, während ich diese Aufzeichnungen niederschreibe, vor mir ans dem
Tische liegt.


Grenzboten III 1910 63
Charakter

gar nicht mehr loslassen, erkundigte sich nach Tod und Teufel und schließlich ver¬
sprach ich ihm, noch heute einen Jäger zu schicken, der ihn zur Pirsch abholen sollte.

Als mir Susanne die Hand zum Abschied reichte, sah ich sie endlich so, wie
ich sie während dieser ganzen Tage hatte sehen wollen: heiter und zufrieden, ja

sogar mit einem Schimmer von Freundlichkeit im Gesicht.




Ich will jetzt ganz kurz bemerken, daß ich mich nach wenigen Wochen mit
der Majorstochter verlobte. Diese Einzelheiten unseres Näherkommens tun hier
nichts zur Sache, auch dürste es dabei nicht anders zugegangen sein wie in
neunundneunzig von hundert ähnlichen Fällen. Im übrigen war ja nicht meine
Verlobung mit Susanne Kleinere der Grund, um derentwillen ich diese Auf¬
zeichnungen niederschreibe.

Nach meinem Wunsche hätte unsere Hochzeit schon im Sommer gefeiert
werden sollen, der Alte aber und daS Mädchen baten, die Vermählung bis zum
Herbst aufzuschieben, da sie noch manches in Ordnung zu bringen hatten.

Sie waren jetzt häufig meine Gäste, der Major kannte mein Revier schon
in- und auswendig und rannte die ganzen Tage mit dein Gewehr herum, Susanne
und ich — wir sprachen von unserer Zukunft. Und da war es mir eine herzliche
Freude, daß sie meinen Wunsch teilte, den größten Teil des Jahres hier auf dem
Lande zu verbringen. Auch im Winter.

Wir saßen halbe Tage lang im Schloßpark oder gingen im Schloß von
Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer und besprachen, wie wir alles
einteilen und benützen wollten. Und hatten wir schließlich nichts mehr zu beraten,
dann zogen wir durch den Wald und ich zeigte ihr meine schönsten Bänme, meine
liebsten Plätze.

Während einer solchen Waldwanderung gelangten wir auch in die Nähe jenes
Schlages, wo ich den Dachshund Krapf niedergeschossen hatte. Ich wollte den
Platz um keinen Preis betreten und fühlte, daß auch Susanne widerstrebte und
ihren Schritt verlangsamte. Und doch gingen wir beide hin. Beide aus jenem
verbissenen Trotz, der einen oftmals zwingt — auch wenn man es durchaus nicht
nötig hat —, etwas Unangenehmes und Peinliches aufzusuchen. Und ganz so, wie
es uns mit unseren Bewegungen ergangen war, erging es uns anch mit unseren
Gedanken und Worten. Wir mußten um jeden Preis von jener leidigen Geschichte
zu sprechen beginnen.

Und da geschah es, daß Susanne mich fragte:

„Hättest du den Hund damals auch niedergeschossen, wenn dn gewußt
hättest — ?"

Sie vollendete nicht und sah mich ruhig an.
Und ich antwortete, ohne zu überlegen:
„Nein. Was fällt dir denn ein."

Dann gingen wir weiter durch den Wald und sprachen wieder von ganz
anderen Dingen.--—

Und am nächsten Tage kam dann das Merkwürdige, das Unverständliche;
kam jener Brief, den ich bis zu meiner letzten Stunde aufbewahren werde und
der mich jetzt, während ich diese Aufzeichnungen niederschreibe, vor mir ans dem
Tische liegt.


Grenzboten III 1910 63
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[0509] Charakter gar nicht mehr loslassen, erkundigte sich nach Tod und Teufel und schließlich ver¬ sprach ich ihm, noch heute einen Jäger zu schicken, der ihn zur Pirsch abholen sollte. Als mir Susanne die Hand zum Abschied reichte, sah ich sie endlich so, wie ich sie während dieser ganzen Tage hatte sehen wollen: heiter und zufrieden, ja sogar mit einem Schimmer von Freundlichkeit im Gesicht. Ich will jetzt ganz kurz bemerken, daß ich mich nach wenigen Wochen mit der Majorstochter verlobte. Diese Einzelheiten unseres Näherkommens tun hier nichts zur Sache, auch dürste es dabei nicht anders zugegangen sein wie in neunundneunzig von hundert ähnlichen Fällen. Im übrigen war ja nicht meine Verlobung mit Susanne Kleinere der Grund, um derentwillen ich diese Auf¬ zeichnungen niederschreibe. Nach meinem Wunsche hätte unsere Hochzeit schon im Sommer gefeiert werden sollen, der Alte aber und daS Mädchen baten, die Vermählung bis zum Herbst aufzuschieben, da sie noch manches in Ordnung zu bringen hatten. Sie waren jetzt häufig meine Gäste, der Major kannte mein Revier schon in- und auswendig und rannte die ganzen Tage mit dein Gewehr herum, Susanne und ich — wir sprachen von unserer Zukunft. Und da war es mir eine herzliche Freude, daß sie meinen Wunsch teilte, den größten Teil des Jahres hier auf dem Lande zu verbringen. Auch im Winter. Wir saßen halbe Tage lang im Schloßpark oder gingen im Schloß von Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer und besprachen, wie wir alles einteilen und benützen wollten. Und hatten wir schließlich nichts mehr zu beraten, dann zogen wir durch den Wald und ich zeigte ihr meine schönsten Bänme, meine liebsten Plätze. Während einer solchen Waldwanderung gelangten wir auch in die Nähe jenes Schlages, wo ich den Dachshund Krapf niedergeschossen hatte. Ich wollte den Platz um keinen Preis betreten und fühlte, daß auch Susanne widerstrebte und ihren Schritt verlangsamte. Und doch gingen wir beide hin. Beide aus jenem verbissenen Trotz, der einen oftmals zwingt — auch wenn man es durchaus nicht nötig hat —, etwas Unangenehmes und Peinliches aufzusuchen. Und ganz so, wie es uns mit unseren Bewegungen ergangen war, erging es uns anch mit unseren Gedanken und Worten. Wir mußten um jeden Preis von jener leidigen Geschichte zu sprechen beginnen. Und da geschah es, daß Susanne mich fragte: „Hättest du den Hund damals auch niedergeschossen, wenn dn gewußt hättest — ?" Sie vollendete nicht und sah mich ruhig an. Und ich antwortete, ohne zu überlegen: „Nein. Was fällt dir denn ein." Dann gingen wir weiter durch den Wald und sprachen wieder von ganz anderen Dingen.--— Und am nächsten Tage kam dann das Merkwürdige, das Unverständliche; kam jener Brief, den ich bis zu meiner letzten Stunde aufbewahren werde und der mich jetzt, während ich diese Aufzeichnungen niederschreibe, vor mir ans dem Tische liegt. Grenzboten III 1910 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/509>, abgerufen am 23.07.2024.