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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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An der Wiege des Zarenhauscs

gebenden Eudoxia androhen ließ, ihren Vater mit ihren nächsten Anverwandten
unfern dem Kloster, in das sie gebracht worden war, aufzuhenken, wenn sie
nicht ohne Säumen dem zarischen Willen Folge leiste. Da endlich mußte sich
Eudoxia dem Zwange fügen, sie wurde Nonne. Nun stand Zar Peter frei da,
und man erwartete, "daß sich Seine Zarische Majestät in der Liebe so weit
vertiefen würde, daß sie -- mit Verwunderung der ganzen Welt -- sich in
kurzer Zeit mit einer andern vermählen werde". Diese andere war
Anna Mons.

Doch es kam anders.

Der Freund der Monsischen Familie, der General-Admiral Franz Lefort,
war vor der Zeit gestorben. An seiner Stelle trat Alexander Menschikow,
schlechtweg der Favorit genannt, in noch größere Gunst bei den, Zaren. Anna
Mons stand ihn: im Wege. Denn er hatte dem Zaren seine Schwester zur
Frau zugedacht. Es gelang ihm jedoch nicht, seine Absicht zu verwirklichen.
Aber Anna Mons selber war dem Zaren untreu geworden und Zar Peter
grollte ihr, im Innersten verletzt.

Anfang 1702 war der junge Kurländer Freiherr Georg Johann
von Kanserling als Resident des Königs von Preußen nach Moskau gekommen.
Er wurde gleich von den beiden Frauen begünstigt, die als erste unter den
vornehmen Russinnen mit dem Zwange einer engherzigen alten frommen Sitte,
wenn auch zögernd, gebrochen hatten. Es waren die geliebte Schwester Peters,
Prinzessin Natalie, und seine Schwägerin, die verwitwete Zarin Praskowja, aus
dem Geschlechte der Saltykow, die Mutter der spätern Herzogin von Kurland
und russischen Kaiserin Anna und ebenso Mutter der spätern Herzogin von
Mecklenburg Katharina. Unter dem 14. August 1702 berichtet Kanserling dem
Könige nach Berlin, er habe dem großen Feste zur Feier des Namenstages
der Dame Mons beigewohnt und bei dieser Gelegenheit der Prinzessin Natalie
und der verwitweten Kaiserin Praskowja seine Reverenz gemacht. "Diese hatte
die Gnade, nur zu sagen, ich sollte mich hier, als es unter dem deutschen
Frauenzimmer auch artige Darmes gebe (worauf sie mehrenteils auf die Mörser
Mete), verheiraten, so würde Sie gerne sehen, daß Ihre Prinzessinnen auch
an deutsche'Herren vermählt und von mir herausgebracht werden könnten."
Der Pfeil, den die verwitwete Kaiserin, vielleicht in schlau berechneter Absicht,
dem Köcher Eros' entnahm, und mit dein sie auf die Brust des jungen
Residenten zielte, traf ihn ins Herz; der Jüngling entbrannte in Liebe zu
Anna Mons, und ihr war fortan der Kanserling lieber als der Kaiser.

Kayserling war in enger Freundschaft mit dem polnisch-sächsischen Gesandten
Königseck verbunden. Dieser ertrank im April 1703 nach einem Gelage in
dem neugegründeten Se. Petersburg in der Newa. An den Tod Königsecks
knüpfen verschiedene romanhafte Erzählungen an, dergestalt, als sei er der Lieb¬
haber der Anna Mons gewesen. Bei dem nach einiger Zeit aus dem Wasser
gezogenen Leichnam habe man einen Liebesbrief gefunden; aus dem Briefe


An der Wiege des Zarenhauscs

gebenden Eudoxia androhen ließ, ihren Vater mit ihren nächsten Anverwandten
unfern dem Kloster, in das sie gebracht worden war, aufzuhenken, wenn sie
nicht ohne Säumen dem zarischen Willen Folge leiste. Da endlich mußte sich
Eudoxia dem Zwange fügen, sie wurde Nonne. Nun stand Zar Peter frei da,
und man erwartete, „daß sich Seine Zarische Majestät in der Liebe so weit
vertiefen würde, daß sie — mit Verwunderung der ganzen Welt — sich in
kurzer Zeit mit einer andern vermählen werde". Diese andere war
Anna Mons.

Doch es kam anders.

Der Freund der Monsischen Familie, der General-Admiral Franz Lefort,
war vor der Zeit gestorben. An seiner Stelle trat Alexander Menschikow,
schlechtweg der Favorit genannt, in noch größere Gunst bei den, Zaren. Anna
Mons stand ihn: im Wege. Denn er hatte dem Zaren seine Schwester zur
Frau zugedacht. Es gelang ihm jedoch nicht, seine Absicht zu verwirklichen.
Aber Anna Mons selber war dem Zaren untreu geworden und Zar Peter
grollte ihr, im Innersten verletzt.

Anfang 1702 war der junge Kurländer Freiherr Georg Johann
von Kanserling als Resident des Königs von Preußen nach Moskau gekommen.
Er wurde gleich von den beiden Frauen begünstigt, die als erste unter den
vornehmen Russinnen mit dem Zwange einer engherzigen alten frommen Sitte,
wenn auch zögernd, gebrochen hatten. Es waren die geliebte Schwester Peters,
Prinzessin Natalie, und seine Schwägerin, die verwitwete Zarin Praskowja, aus
dem Geschlechte der Saltykow, die Mutter der spätern Herzogin von Kurland
und russischen Kaiserin Anna und ebenso Mutter der spätern Herzogin von
Mecklenburg Katharina. Unter dem 14. August 1702 berichtet Kanserling dem
Könige nach Berlin, er habe dem großen Feste zur Feier des Namenstages
der Dame Mons beigewohnt und bei dieser Gelegenheit der Prinzessin Natalie
und der verwitweten Kaiserin Praskowja seine Reverenz gemacht. „Diese hatte
die Gnade, nur zu sagen, ich sollte mich hier, als es unter dem deutschen
Frauenzimmer auch artige Darmes gebe (worauf sie mehrenteils auf die Mörser
Mete), verheiraten, so würde Sie gerne sehen, daß Ihre Prinzessinnen auch
an deutsche'Herren vermählt und von mir herausgebracht werden könnten."
Der Pfeil, den die verwitwete Kaiserin, vielleicht in schlau berechneter Absicht,
dem Köcher Eros' entnahm, und mit dein sie auf die Brust des jungen
Residenten zielte, traf ihn ins Herz; der Jüngling entbrannte in Liebe zu
Anna Mons, und ihr war fortan der Kanserling lieber als der Kaiser.

Kayserling war in enger Freundschaft mit dem polnisch-sächsischen Gesandten
Königseck verbunden. Dieser ertrank im April 1703 nach einem Gelage in
dem neugegründeten Se. Petersburg in der Newa. An den Tod Königsecks
knüpfen verschiedene romanhafte Erzählungen an, dergestalt, als sei er der Lieb¬
haber der Anna Mons gewesen. Bei dem nach einiger Zeit aus dem Wasser
gezogenen Leichnam habe man einen Liebesbrief gefunden; aus dem Briefe


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[0495] An der Wiege des Zarenhauscs gebenden Eudoxia androhen ließ, ihren Vater mit ihren nächsten Anverwandten unfern dem Kloster, in das sie gebracht worden war, aufzuhenken, wenn sie nicht ohne Säumen dem zarischen Willen Folge leiste. Da endlich mußte sich Eudoxia dem Zwange fügen, sie wurde Nonne. Nun stand Zar Peter frei da, und man erwartete, „daß sich Seine Zarische Majestät in der Liebe so weit vertiefen würde, daß sie — mit Verwunderung der ganzen Welt — sich in kurzer Zeit mit einer andern vermählen werde". Diese andere war Anna Mons. Doch es kam anders. Der Freund der Monsischen Familie, der General-Admiral Franz Lefort, war vor der Zeit gestorben. An seiner Stelle trat Alexander Menschikow, schlechtweg der Favorit genannt, in noch größere Gunst bei den, Zaren. Anna Mons stand ihn: im Wege. Denn er hatte dem Zaren seine Schwester zur Frau zugedacht. Es gelang ihm jedoch nicht, seine Absicht zu verwirklichen. Aber Anna Mons selber war dem Zaren untreu geworden und Zar Peter grollte ihr, im Innersten verletzt. Anfang 1702 war der junge Kurländer Freiherr Georg Johann von Kanserling als Resident des Königs von Preußen nach Moskau gekommen. Er wurde gleich von den beiden Frauen begünstigt, die als erste unter den vornehmen Russinnen mit dem Zwange einer engherzigen alten frommen Sitte, wenn auch zögernd, gebrochen hatten. Es waren die geliebte Schwester Peters, Prinzessin Natalie, und seine Schwägerin, die verwitwete Zarin Praskowja, aus dem Geschlechte der Saltykow, die Mutter der spätern Herzogin von Kurland und russischen Kaiserin Anna und ebenso Mutter der spätern Herzogin von Mecklenburg Katharina. Unter dem 14. August 1702 berichtet Kanserling dem Könige nach Berlin, er habe dem großen Feste zur Feier des Namenstages der Dame Mons beigewohnt und bei dieser Gelegenheit der Prinzessin Natalie und der verwitweten Kaiserin Praskowja seine Reverenz gemacht. „Diese hatte die Gnade, nur zu sagen, ich sollte mich hier, als es unter dem deutschen Frauenzimmer auch artige Darmes gebe (worauf sie mehrenteils auf die Mörser Mete), verheiraten, so würde Sie gerne sehen, daß Ihre Prinzessinnen auch an deutsche'Herren vermählt und von mir herausgebracht werden könnten." Der Pfeil, den die verwitwete Kaiserin, vielleicht in schlau berechneter Absicht, dem Köcher Eros' entnahm, und mit dein sie auf die Brust des jungen Residenten zielte, traf ihn ins Herz; der Jüngling entbrannte in Liebe zu Anna Mons, und ihr war fortan der Kanserling lieber als der Kaiser. Kayserling war in enger Freundschaft mit dem polnisch-sächsischen Gesandten Königseck verbunden. Dieser ertrank im April 1703 nach einem Gelage in dem neugegründeten Se. Petersburg in der Newa. An den Tod Königsecks knüpfen verschiedene romanhafte Erzählungen an, dergestalt, als sei er der Lieb¬ haber der Anna Mons gewesen. Bei dem nach einiger Zeit aus dem Wasser gezogenen Leichnam habe man einen Liebesbrief gefunden; aus dem Briefe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/495>, abgerufen am 03.07.2024.