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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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An der wiege des Zarenhauscs

immöäiate nach der Ankunft einem ganz gemeinen lutherischen Menschen, seiner
Geliebten Anna Mons, der Tochter eines Weinhändlers, gemacht.

Die Freude über des Zaren Rückkehr war groß, aber sie war nicht allgemein,
nicht ungetrübt. Die Furcht vor dem Kommenden ängstete nicht allein die
gefangenen Streichen und ihre Freunde. Diejenige, die dem jungen Zaren die
Nächste, die seinem Herzen die Teuerste sein sollte, die Mutter des Kronprinzen
Alexis, die Zarin Endoxia, sah, von: Gemahl ungeliebt, in sorgenvoller Un¬
gewißheit der Zukunft entgegen.

Zar Peter war noch nicht volle siebzehn Jahre alt, als ihn seine Mutter
mit Eudoxia Lopuchin vermählte. Am Anfang war die Liebe zwischen den
blutjungen Eheleuten groß; dann wurde sie zerrissen. Die Zarin-Mutter, Natalie
Naryschkin, begann die Schwiegertochter zu hassen und nährte die Zwietracht
zwischen den Eheleuten. Dazu kam noch, daß Nataliens Bruder, Leo Naryschkin,
Bojar und Premierminister, einen Vernichtungskampf zwischen den ehedem
befreundeten Familien Naryschkin und Lvpnchin aufnahm.

Es wird berichtet, daß der Genfer Franz Lefort, der feuchtfröhliche Kumpan,
Anna Mons dem Zaren zuführte. Denn Peter war wohl sinnlich, aber er war
kein Don Juan, ihm fehlte die eigene Initiative in Liebessachen; seine darin
gewandteren Freunde -- Lefort, Menschikow -- suchten für ihn die Geliebte
aus. Der Vater der schönen Anna war Johann Georg Mons aus Minden an
der Weser, der Sohn eines Wachtmeisters der Reiterei des Königs von Schweden;
er hatte in der Freien und Reichsstadt Worms das Böttchcrhandwerk erlernt
und war dann über die schwedische Stadt Riga in Livland nach Moskau gelangt.
Doch starb er noch vor dem großen Glück seiner Tochter Anna.

Stolz machte die zarische Liebe die Segel der Monsischen Familie schwellen:
die Tochter des Hauses, Anna, war in der vornehmen Gesellschaft Moskaus
und in der deutschen Sloboda die gefeiertste Dame, die Deutsche Vorstadt wuchs
und überragte den Kremlin.

Aber es murrten die Erzbischöfe und Äbte, es murrten die Popen und
Mönche, es murrte das gute Volk von Moskau. Unwillig sah und ertrug der
gemeine Mann die fremdartigen Gebräuche und Sitten, die ihm aufgezwungen
wurden, die neuen Steuern; die Leute wälzten die Schuld auf die Deutsche,
auf den unheiligen Zauber fremder Schönheit, auf Mörsers Tochter Anna.

Kurz vor Peters Abreise ins Ausland, 1697, wurde eine Verschwörung
gegen ihn entdeckt; harte Strafe traf die Schuldigen, und auch der Vater und
die Brüder der Zariu Eudoxia wurden in die Verbannung geschickt. Aus London
gab Peter an Leo Naryschkin den Befehl, die Zarin zu bewegen, freiwillig den
Schleier zu nehmen, aus Amsterdam wiederholte er den Befehl; aber Eudoxia
weigerte sich trotzig. Leo Naryschkin suchte -- mit erheuchelter Freundschaft
für Eudoxieu -- zu verhindern, daß die Familie Lopuchin über die seinige
wachse, und sein Neffe Zar Peter erfüllte sein Streben, nachdem er aus dein
Auslande heimgekehrt war. Es wird berichtet, daß der Zar der nicht nach-


An der wiege des Zarenhauscs

immöäiate nach der Ankunft einem ganz gemeinen lutherischen Menschen, seiner
Geliebten Anna Mons, der Tochter eines Weinhändlers, gemacht.

Die Freude über des Zaren Rückkehr war groß, aber sie war nicht allgemein,
nicht ungetrübt. Die Furcht vor dem Kommenden ängstete nicht allein die
gefangenen Streichen und ihre Freunde. Diejenige, die dem jungen Zaren die
Nächste, die seinem Herzen die Teuerste sein sollte, die Mutter des Kronprinzen
Alexis, die Zarin Endoxia, sah, von: Gemahl ungeliebt, in sorgenvoller Un¬
gewißheit der Zukunft entgegen.

Zar Peter war noch nicht volle siebzehn Jahre alt, als ihn seine Mutter
mit Eudoxia Lopuchin vermählte. Am Anfang war die Liebe zwischen den
blutjungen Eheleuten groß; dann wurde sie zerrissen. Die Zarin-Mutter, Natalie
Naryschkin, begann die Schwiegertochter zu hassen und nährte die Zwietracht
zwischen den Eheleuten. Dazu kam noch, daß Nataliens Bruder, Leo Naryschkin,
Bojar und Premierminister, einen Vernichtungskampf zwischen den ehedem
befreundeten Familien Naryschkin und Lvpnchin aufnahm.

Es wird berichtet, daß der Genfer Franz Lefort, der feuchtfröhliche Kumpan,
Anna Mons dem Zaren zuführte. Denn Peter war wohl sinnlich, aber er war
kein Don Juan, ihm fehlte die eigene Initiative in Liebessachen; seine darin
gewandteren Freunde — Lefort, Menschikow — suchten für ihn die Geliebte
aus. Der Vater der schönen Anna war Johann Georg Mons aus Minden an
der Weser, der Sohn eines Wachtmeisters der Reiterei des Königs von Schweden;
er hatte in der Freien und Reichsstadt Worms das Böttchcrhandwerk erlernt
und war dann über die schwedische Stadt Riga in Livland nach Moskau gelangt.
Doch starb er noch vor dem großen Glück seiner Tochter Anna.

Stolz machte die zarische Liebe die Segel der Monsischen Familie schwellen:
die Tochter des Hauses, Anna, war in der vornehmen Gesellschaft Moskaus
und in der deutschen Sloboda die gefeiertste Dame, die Deutsche Vorstadt wuchs
und überragte den Kremlin.

Aber es murrten die Erzbischöfe und Äbte, es murrten die Popen und
Mönche, es murrte das gute Volk von Moskau. Unwillig sah und ertrug der
gemeine Mann die fremdartigen Gebräuche und Sitten, die ihm aufgezwungen
wurden, die neuen Steuern; die Leute wälzten die Schuld auf die Deutsche,
auf den unheiligen Zauber fremder Schönheit, auf Mörsers Tochter Anna.

Kurz vor Peters Abreise ins Ausland, 1697, wurde eine Verschwörung
gegen ihn entdeckt; harte Strafe traf die Schuldigen, und auch der Vater und
die Brüder der Zariu Eudoxia wurden in die Verbannung geschickt. Aus London
gab Peter an Leo Naryschkin den Befehl, die Zarin zu bewegen, freiwillig den
Schleier zu nehmen, aus Amsterdam wiederholte er den Befehl; aber Eudoxia
weigerte sich trotzig. Leo Naryschkin suchte — mit erheuchelter Freundschaft
für Eudoxieu — zu verhindern, daß die Familie Lopuchin über die seinige
wachse, und sein Neffe Zar Peter erfüllte sein Streben, nachdem er aus dein
Auslande heimgekehrt war. Es wird berichtet, daß der Zar der nicht nach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/494>, abgerufen am 01.07.2024.