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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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An der lviege des Zarenhciuses

habe Zar Peter den Verrat der Geliebten ersehen und ergrimmt seine Wut an
der Ungetreuen ausgelassen. Aus einem Schreiben Kayserlings erfahren wir
jedoch, daß Anna Mons, und zwar auf "des Prinzen Menschikow" eigene
Veranlassung, sich beim Zaren selbst erkundigt habe, ob er auch gnädigst erlauben
wolle, daß sie sich an Kayserling verheirate. Menschikow benahm sich hierbei
sehr hinterlistig und hetzte den Zaren gegen Anna Mons auf, der sie um in
ihren: Hause in Moskau gefangen halten ließ und ihr und ihrer Mutter wegen
Zauberei den Prozeß machte.

Im August 1704 wurde Narwa von den Russen erobert. Sie feierten
ihren Sieg über die Schweden durch ein großes Festgelage, bei dem auch
Kayserling, nunmehr vom Residenten zum "Envoyö" oder Gesandten befördert,
zugegen war. Hier ereignete sich sein erster Zusammenprall mit Menschikow.
Kayserling überreichte dem Zaren sein Abschiedsgesuch; er gibt im Hinblick auf
deu Favoriten folgenden Grund an: "Weil meine Feinde sich nicht gescheut
haben, mich mit offenbaren Lügen zu beschuldige", als ob ich statt der herum¬
gegangenen großen Gläser nur kleine oder gar keine getrunken haben sollte,
und mich auf diese Art bei Ihrer Zarischen Majestät anzuschwärzen gesucht."
Der Zwist wurde jedoch friedlich beigelegt.

Drei Jahre später, in Jakubowitz bei Ludim in Polen, im russischen
Hauptquartier, am lO.Juli 1707, dem Namenstage des Zaren, "einem Sauftage" --
wie Kayserling dem Könige von Preußen schreibt --, "welcher "röilmirement
viel fatales mit sich zu führen pfleget", kam es dann zu einem Streite, der
von Worten -- der Gesandte nannte den Favoriten einen Hundsfott und der¬
gleichen mehr -- in Tätlichkeiten ausartete, so daß der Zar selbst und Kayserling
wütend aneinander gerieten. Der Anlaß war wieder die Fürsorge Kayserlings
um Anna Mons und ihre Familie. Schon im Jahre vorher war es seinen
Benüihungen gelungen, die Lage der Geliebten etwas freier zu gestalten. In
der Erregung des Zornes erklärte nun Zar Peter dem Fürsprecher höhnisch:
Er, der Zar, hätte die Jungfer Mörser für sich erzogen und die aufrichtige
Intention gehabt, selbige sich zu vermählen, da aber Kayserling sie verführt
und debauchiert habe, so wolle er, der Zar, nunmehr von ihr und von den
Ihrigen nicht das geringste mehr hören oder wissen. Peter verlangte in einem
gleich am Tage darauf hingeworfenen Briefe, den er durch einen Adjutanten
nach Berlin dem Könige überbringen ließ, die sofortige Abberufung Kayserlings.
Aber auch dieser unerhörte Streitfall, der in ganz Europa Aufsehen erregte,
und von dem man sogar politische Verwicklungen zwischen Preußen und dem
Zaren befürchtete, blieb ohne ernste Folgen und endete wie eine Komödie mit
Wohlgefallen. Sie wären eben alle zusammen voll gewesen, erklärte Zar Peter
nach dem Ausgleich. -- Darauf bewirtete Kayserliug Ende Januar 1708 deu
Zaren und sein Gefolge in Minsk, und er berichtet darüber dem König: "Da
indessen mein vortrefflicher Ungarischer Wein, weil eher sonst hier nicht zu
bekommen war, so guten Effekt that, das; Ihre Zarische Majestät bei größter


An der lviege des Zarenhciuses

habe Zar Peter den Verrat der Geliebten ersehen und ergrimmt seine Wut an
der Ungetreuen ausgelassen. Aus einem Schreiben Kayserlings erfahren wir
jedoch, daß Anna Mons, und zwar auf „des Prinzen Menschikow" eigene
Veranlassung, sich beim Zaren selbst erkundigt habe, ob er auch gnädigst erlauben
wolle, daß sie sich an Kayserling verheirate. Menschikow benahm sich hierbei
sehr hinterlistig und hetzte den Zaren gegen Anna Mons auf, der sie um in
ihren: Hause in Moskau gefangen halten ließ und ihr und ihrer Mutter wegen
Zauberei den Prozeß machte.

Im August 1704 wurde Narwa von den Russen erobert. Sie feierten
ihren Sieg über die Schweden durch ein großes Festgelage, bei dem auch
Kayserling, nunmehr vom Residenten zum „Envoyö" oder Gesandten befördert,
zugegen war. Hier ereignete sich sein erster Zusammenprall mit Menschikow.
Kayserling überreichte dem Zaren sein Abschiedsgesuch; er gibt im Hinblick auf
deu Favoriten folgenden Grund an: „Weil meine Feinde sich nicht gescheut
haben, mich mit offenbaren Lügen zu beschuldige«, als ob ich statt der herum¬
gegangenen großen Gläser nur kleine oder gar keine getrunken haben sollte,
und mich auf diese Art bei Ihrer Zarischen Majestät anzuschwärzen gesucht."
Der Zwist wurde jedoch friedlich beigelegt.

Drei Jahre später, in Jakubowitz bei Ludim in Polen, im russischen
Hauptquartier, am lO.Juli 1707, dem Namenstage des Zaren, „einem Sauftage" —
wie Kayserling dem Könige von Preußen schreibt —, „welcher »röilmirement
viel fatales mit sich zu führen pfleget", kam es dann zu einem Streite, der
von Worten — der Gesandte nannte den Favoriten einen Hundsfott und der¬
gleichen mehr — in Tätlichkeiten ausartete, so daß der Zar selbst und Kayserling
wütend aneinander gerieten. Der Anlaß war wieder die Fürsorge Kayserlings
um Anna Mons und ihre Familie. Schon im Jahre vorher war es seinen
Benüihungen gelungen, die Lage der Geliebten etwas freier zu gestalten. In
der Erregung des Zornes erklärte nun Zar Peter dem Fürsprecher höhnisch:
Er, der Zar, hätte die Jungfer Mörser für sich erzogen und die aufrichtige
Intention gehabt, selbige sich zu vermählen, da aber Kayserling sie verführt
und debauchiert habe, so wolle er, der Zar, nunmehr von ihr und von den
Ihrigen nicht das geringste mehr hören oder wissen. Peter verlangte in einem
gleich am Tage darauf hingeworfenen Briefe, den er durch einen Adjutanten
nach Berlin dem Könige überbringen ließ, die sofortige Abberufung Kayserlings.
Aber auch dieser unerhörte Streitfall, der in ganz Europa Aufsehen erregte,
und von dem man sogar politische Verwicklungen zwischen Preußen und dem
Zaren befürchtete, blieb ohne ernste Folgen und endete wie eine Komödie mit
Wohlgefallen. Sie wären eben alle zusammen voll gewesen, erklärte Zar Peter
nach dem Ausgleich. — Darauf bewirtete Kayserliug Ende Januar 1708 deu
Zaren und sein Gefolge in Minsk, und er berichtet darüber dem König: „Da
indessen mein vortrefflicher Ungarischer Wein, weil eher sonst hier nicht zu
bekommen war, so guten Effekt that, das; Ihre Zarische Majestät bei größter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/496>, abgerufen am 22.07.2024.