Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Reform der preußischen Arcisvcrfassung

dem Verhältnis der städtischen und ländlichen Bevölkerung bestimmt wird, gelangt
die verbleibende Zahl von Abgeordneten je zur Hälfte aus die Wahlverbände
der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden zur Verteilung. Die ständische
Formation der Großgrundbesitzer wird sodann gestützt durch die Abtrennung
der kleineren landwirtschaftlichen Grundbesitzer dadurch, daß mit der Möglichkeit
gewisser Modifikationen die Grenze des Mindestbetrags von 225 Mark Grund-
und Gebäudesteuer gezogen wird. Ebenso werden nach den Bestimmungen
der ߧ 86, 87 die Industriellen auf dem platten Lande, soweit sie Grundbesitz
haben, den Wahloerbänden der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden
zugeteilt, je nachdem ihre Betriebe über oder unter dem Mittelsalz der Gewerbe¬
steuerklassen I und II, also über oder unter 300 Mark bleiben. Es würde
wiederum die Stellung der Großgrundbesitzer geschwächt haben, wenn man etwa
einen besonderen Wahlverband der Industriellen gebildet haben würde, ein
Gedanke, der ja allerdings bei dem Erlaß der Kreisordnung wohl noch zu fern
lag. Eine gewisse Starrheit in die Formation der Wahlverbände bringt die
Bestimmung des § 112, nach der die Neuverteilung der Kreistagsabgeordneten
auf die Wahlverbände im allgemeinen nur alle zwölf Jahre erfolgen kann.
Verschärft wird dieser Zustand noch dadurch, daß nach Ablauf der zwölfjährigen
Periode sür die Neuverteilung der Abgeordneten auf die Wahlverbände das
Ergebnis der letzten Volkszählung maßgebend ist 89). So kommt es, daß
der Revision im Jahre 1900 die Volkszählung vom Jahre 1895 zugrunde gelegt
werden mußte. Es liegt nahe, daß die beiden letzteren Bestimmungen ebenfalls
zugunsten des ländlichen Großgrundbesitzes getroffen worden sind. Wohin die
Entwickelung in der wirtschaftlichen Physiognomie der Landkreise ging, ließ sich
zur Zeit des Erlasses der Kreisordnuug wohl schon ziemlich klar übersehen,
und man wollte unzweifelhaft ein die Wirkung dieser Entwicklung auf die Kreis¬
vertretung des Großgrundbesitzes abschwächendes Moment schaffen. (Denkschrift
der Handelskammer Sorau "Zur Revision der preußischen Kreisordnung",
Sorau 1903.) Eine weitere Sicherstellung des Wahlverbandes der Gro߬
grundbesitzer liegt in der Bestimmung des §112, wonach eine außerordentliche
Revision innerhalb der zwölfjährigen Periode hinsichtlich des Wahlverbandes
der Städte nur dann erfolgen kann, wenn sich die Zahl der Städte verändert,
hinsichtlich der Großgrundbesitzer jedoch schon dann, wenn die Zahl der Be¬
rechtigten im Wahlverband der Großgrundbesitzer sich dergestalt verändert, daß
sich auch die Zahl ihrer Abgeordneten verändern würde. Eine scharfe Ein¬
dämmung des Einflusses der Städte in der Kreisvertretung wird durch die
Bestimmung des H 89 bewirkt, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten
die Hälfte, und in den Kreisen, wo nur eine Stadt vorhanden ist, ein Drittel
der Gesamtzahl aller Abgeordneten nicht übersteigen darf. Auch hierin liegt ein
die Vertretung des Großgrundbesitzes kräftigendes Moment, ebenso wie in der
Bestimmung des Z 102, wonach der Wahlverband der Landgemeinden zu Wahl¬
männern, auch Angehörige des Großgrundbesitzes wählen kann. Die Land-


Zur Reform der preußischen Arcisvcrfassung

dem Verhältnis der städtischen und ländlichen Bevölkerung bestimmt wird, gelangt
die verbleibende Zahl von Abgeordneten je zur Hälfte aus die Wahlverbände
der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden zur Verteilung. Die ständische
Formation der Großgrundbesitzer wird sodann gestützt durch die Abtrennung
der kleineren landwirtschaftlichen Grundbesitzer dadurch, daß mit der Möglichkeit
gewisser Modifikationen die Grenze des Mindestbetrags von 225 Mark Grund-
und Gebäudesteuer gezogen wird. Ebenso werden nach den Bestimmungen
der ߧ 86, 87 die Industriellen auf dem platten Lande, soweit sie Grundbesitz
haben, den Wahloerbänden der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden
zugeteilt, je nachdem ihre Betriebe über oder unter dem Mittelsalz der Gewerbe¬
steuerklassen I und II, also über oder unter 300 Mark bleiben. Es würde
wiederum die Stellung der Großgrundbesitzer geschwächt haben, wenn man etwa
einen besonderen Wahlverband der Industriellen gebildet haben würde, ein
Gedanke, der ja allerdings bei dem Erlaß der Kreisordnung wohl noch zu fern
lag. Eine gewisse Starrheit in die Formation der Wahlverbände bringt die
Bestimmung des § 112, nach der die Neuverteilung der Kreistagsabgeordneten
auf die Wahlverbände im allgemeinen nur alle zwölf Jahre erfolgen kann.
Verschärft wird dieser Zustand noch dadurch, daß nach Ablauf der zwölfjährigen
Periode sür die Neuverteilung der Abgeordneten auf die Wahlverbände das
Ergebnis der letzten Volkszählung maßgebend ist 89). So kommt es, daß
der Revision im Jahre 1900 die Volkszählung vom Jahre 1895 zugrunde gelegt
werden mußte. Es liegt nahe, daß die beiden letzteren Bestimmungen ebenfalls
zugunsten des ländlichen Großgrundbesitzes getroffen worden sind. Wohin die
Entwickelung in der wirtschaftlichen Physiognomie der Landkreise ging, ließ sich
zur Zeit des Erlasses der Kreisordnuug wohl schon ziemlich klar übersehen,
und man wollte unzweifelhaft ein die Wirkung dieser Entwicklung auf die Kreis¬
vertretung des Großgrundbesitzes abschwächendes Moment schaffen. (Denkschrift
der Handelskammer Sorau „Zur Revision der preußischen Kreisordnung",
Sorau 1903.) Eine weitere Sicherstellung des Wahlverbandes der Gro߬
grundbesitzer liegt in der Bestimmung des §112, wonach eine außerordentliche
Revision innerhalb der zwölfjährigen Periode hinsichtlich des Wahlverbandes
der Städte nur dann erfolgen kann, wenn sich die Zahl der Städte verändert,
hinsichtlich der Großgrundbesitzer jedoch schon dann, wenn die Zahl der Be¬
rechtigten im Wahlverband der Großgrundbesitzer sich dergestalt verändert, daß
sich auch die Zahl ihrer Abgeordneten verändern würde. Eine scharfe Ein¬
dämmung des Einflusses der Städte in der Kreisvertretung wird durch die
Bestimmung des H 89 bewirkt, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten
die Hälfte, und in den Kreisen, wo nur eine Stadt vorhanden ist, ein Drittel
der Gesamtzahl aller Abgeordneten nicht übersteigen darf. Auch hierin liegt ein
die Vertretung des Großgrundbesitzes kräftigendes Moment, ebenso wie in der
Bestimmung des Z 102, wonach der Wahlverband der Landgemeinden zu Wahl¬
männern, auch Angehörige des Großgrundbesitzes wählen kann. Die Land-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316757"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Reform der preußischen Arcisvcrfassung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2000" prev="#ID_1999" next="#ID_2001"> dem Verhältnis der städtischen und ländlichen Bevölkerung bestimmt wird, gelangt<lb/>
die verbleibende Zahl von Abgeordneten je zur Hälfte aus die Wahlverbände<lb/>
der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden zur Verteilung. Die ständische<lb/>
Formation der Großgrundbesitzer wird sodann gestützt durch die Abtrennung<lb/>
der kleineren landwirtschaftlichen Grundbesitzer dadurch, daß mit der Möglichkeit<lb/>
gewisser Modifikationen die Grenze des Mindestbetrags von 225 Mark Grund-<lb/>
und Gebäudesteuer gezogen wird. Ebenso werden nach den Bestimmungen<lb/>
der ߧ 86, 87 die Industriellen auf dem platten Lande, soweit sie Grundbesitz<lb/>
haben, den Wahloerbänden der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden<lb/>
zugeteilt, je nachdem ihre Betriebe über oder unter dem Mittelsalz der Gewerbe¬<lb/>
steuerklassen I und II, also über oder unter 300 Mark bleiben. Es würde<lb/>
wiederum die Stellung der Großgrundbesitzer geschwächt haben, wenn man etwa<lb/>
einen besonderen Wahlverband der Industriellen gebildet haben würde, ein<lb/>
Gedanke, der ja allerdings bei dem Erlaß der Kreisordnung wohl noch zu fern<lb/>
lag. Eine gewisse Starrheit in die Formation der Wahlverbände bringt die<lb/>
Bestimmung des § 112, nach der die Neuverteilung der Kreistagsabgeordneten<lb/>
auf die Wahlverbände im allgemeinen nur alle zwölf Jahre erfolgen kann.<lb/>
Verschärft wird dieser Zustand noch dadurch, daß nach Ablauf der zwölfjährigen<lb/>
Periode sür die Neuverteilung der Abgeordneten auf die Wahlverbände das<lb/>
Ergebnis der letzten Volkszählung maßgebend ist 89). So kommt es, daß<lb/>
der Revision im Jahre 1900 die Volkszählung vom Jahre 1895 zugrunde gelegt<lb/>
werden mußte. Es liegt nahe, daß die beiden letzteren Bestimmungen ebenfalls<lb/>
zugunsten des ländlichen Großgrundbesitzes getroffen worden sind. Wohin die<lb/>
Entwickelung in der wirtschaftlichen Physiognomie der Landkreise ging, ließ sich<lb/>
zur Zeit des Erlasses der Kreisordnuug wohl schon ziemlich klar übersehen,<lb/>
und man wollte unzweifelhaft ein die Wirkung dieser Entwicklung auf die Kreis¬<lb/>
vertretung des Großgrundbesitzes abschwächendes Moment schaffen. (Denkschrift<lb/>
der Handelskammer Sorau &#x201E;Zur Revision der preußischen Kreisordnung",<lb/>
Sorau 1903.) Eine weitere Sicherstellung des Wahlverbandes der Gro߬<lb/>
grundbesitzer liegt in der Bestimmung des §112, wonach eine außerordentliche<lb/>
Revision innerhalb der zwölfjährigen Periode hinsichtlich des Wahlverbandes<lb/>
der Städte nur dann erfolgen kann, wenn sich die Zahl der Städte verändert,<lb/>
hinsichtlich der Großgrundbesitzer jedoch schon dann, wenn die Zahl der Be¬<lb/>
rechtigten im Wahlverband der Großgrundbesitzer sich dergestalt verändert, daß<lb/>
sich auch die Zahl ihrer Abgeordneten verändern würde. Eine scharfe Ein¬<lb/>
dämmung des Einflusses der Städte in der Kreisvertretung wird durch die<lb/>
Bestimmung des H 89 bewirkt, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten<lb/>
die Hälfte, und in den Kreisen, wo nur eine Stadt vorhanden ist, ein Drittel<lb/>
der Gesamtzahl aller Abgeordneten nicht übersteigen darf. Auch hierin liegt ein<lb/>
die Vertretung des Großgrundbesitzes kräftigendes Moment, ebenso wie in der<lb/>
Bestimmung des Z 102, wonach der Wahlverband der Landgemeinden zu Wahl¬<lb/>
männern, auch Angehörige des Großgrundbesitzes wählen kann.  Die Land-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] Zur Reform der preußischen Arcisvcrfassung dem Verhältnis der städtischen und ländlichen Bevölkerung bestimmt wird, gelangt die verbleibende Zahl von Abgeordneten je zur Hälfte aus die Wahlverbände der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden zur Verteilung. Die ständische Formation der Großgrundbesitzer wird sodann gestützt durch die Abtrennung der kleineren landwirtschaftlichen Grundbesitzer dadurch, daß mit der Möglichkeit gewisser Modifikationen die Grenze des Mindestbetrags von 225 Mark Grund- und Gebäudesteuer gezogen wird. Ebenso werden nach den Bestimmungen der ߧ 86, 87 die Industriellen auf dem platten Lande, soweit sie Grundbesitz haben, den Wahloerbänden der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden zugeteilt, je nachdem ihre Betriebe über oder unter dem Mittelsalz der Gewerbe¬ steuerklassen I und II, also über oder unter 300 Mark bleiben. Es würde wiederum die Stellung der Großgrundbesitzer geschwächt haben, wenn man etwa einen besonderen Wahlverband der Industriellen gebildet haben würde, ein Gedanke, der ja allerdings bei dem Erlaß der Kreisordnung wohl noch zu fern lag. Eine gewisse Starrheit in die Formation der Wahlverbände bringt die Bestimmung des § 112, nach der die Neuverteilung der Kreistagsabgeordneten auf die Wahlverbände im allgemeinen nur alle zwölf Jahre erfolgen kann. Verschärft wird dieser Zustand noch dadurch, daß nach Ablauf der zwölfjährigen Periode sür die Neuverteilung der Abgeordneten auf die Wahlverbände das Ergebnis der letzten Volkszählung maßgebend ist 89). So kommt es, daß der Revision im Jahre 1900 die Volkszählung vom Jahre 1895 zugrunde gelegt werden mußte. Es liegt nahe, daß die beiden letzteren Bestimmungen ebenfalls zugunsten des ländlichen Großgrundbesitzes getroffen worden sind. Wohin die Entwickelung in der wirtschaftlichen Physiognomie der Landkreise ging, ließ sich zur Zeit des Erlasses der Kreisordnuug wohl schon ziemlich klar übersehen, und man wollte unzweifelhaft ein die Wirkung dieser Entwicklung auf die Kreis¬ vertretung des Großgrundbesitzes abschwächendes Moment schaffen. (Denkschrift der Handelskammer Sorau „Zur Revision der preußischen Kreisordnung", Sorau 1903.) Eine weitere Sicherstellung des Wahlverbandes der Gro߬ grundbesitzer liegt in der Bestimmung des §112, wonach eine außerordentliche Revision innerhalb der zwölfjährigen Periode hinsichtlich des Wahlverbandes der Städte nur dann erfolgen kann, wenn sich die Zahl der Städte verändert, hinsichtlich der Großgrundbesitzer jedoch schon dann, wenn die Zahl der Be¬ rechtigten im Wahlverband der Großgrundbesitzer sich dergestalt verändert, daß sich auch die Zahl ihrer Abgeordneten verändern würde. Eine scharfe Ein¬ dämmung des Einflusses der Städte in der Kreisvertretung wird durch die Bestimmung des H 89 bewirkt, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten die Hälfte, und in den Kreisen, wo nur eine Stadt vorhanden ist, ein Drittel der Gesamtzahl aller Abgeordneten nicht übersteigen darf. Auch hierin liegt ein die Vertretung des Großgrundbesitzes kräftigendes Moment, ebenso wie in der Bestimmung des Z 102, wonach der Wahlverband der Landgemeinden zu Wahl¬ männern, auch Angehörige des Großgrundbesitzes wählen kann. Die Land-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/472>, abgerufen am 23.07.2024.