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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Kreisverfassung

gemeinten sind anderseits wieder dadurch in der Möglichkeit beschränkt, eine
starke Geltung zu erlangen, daß sie, und das gilt auch für die größte stadt¬
ähnliche Landgemeinde, nur höchstens zwei Abgeordnete wühlen können. Auch
der industrielle Einfluß wird noch durch die besondere Bestimmung des Z 97
unter Druck gehalten, wonach die juristischen Personen. Aktiengesellschaften und
Kommanditgesellschaften auf Aktien sich bei der Wahl durch Landwirte
vertreten lassen müssen. In diesem Zusammenhang noch die Tatsache
hervorzuheben, daß die im Kreise ansässigen Mitglieder einer Gesellschaft
mit beschränkter Haftung zwar Kreisabgaben zahlen müssen, aber keine
Wahlberechtigung besitzen, scheint nicht erforderlich, da bereits unter allseitiger
Zustimmung in Aussicht genommen ist. diese Lücke durch eine Änderung des
Gesetzes auszufüllen. ^

Wie beim ganzen Staat, so hat sich seit dem Erlaß der prechischen Krei.-
ordnung im Jahre 1872 auch die wirtschaftliche Physiognomie der Landkreise
stark gewandelt. Die große Verschiebung, die im Staat in der Verteilung der
Bevölkerung auf Stadt und Land und in der Gruppierung nach Landwirtschaft
und Industrie und Handel stattgefunden hat, spiegelt sich naturgemäß auch in
den Landkreisen wider. In den Landstädten und auf dem platten Lande hat
sich eine kräftige Industrie entwickelt, die für den Finanzhaushalt der Kreise
von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Nach dein statistischen Jahrbuch
für den preußischen Staat ist die Bevölkerungszahl in den Städten Preußens
von 8 791834 im Jahre 1875 auf 16866963 im Jahre 1905 gewachsen; die
städtischen Einwohner haben sich also in dieser Zeit nahezu verdoppelt. Für
unsere Betrachtung sind diese Zahlen allerdings nicht in vollem Umfang zu
verwerten, da hierin alle Städte enthalten sind, auch die. die selbständige
Stadtkreise bilden. Immerhin wird das allgemeine erhebliche Wachstum einen
Schluß auch auf das Wachsen der städtischen Bevölkerung in den Landkreisen
gestatten. Wie verhält es sich nun mit der Bevölkerung in den Landgemeinden?
Auch diese ist gestiegen, wenn auch bei weitem nicht so erheblich als in den
Städten. Die Landgemeinden haben im Jahre 1875 mit den Gutsbezirken,
die für dieses Jahr noch nicht gesondert aufgeführt werden, eine Einwohnerzahl
von 16950570 gehabt und sie hat im Jahre 1905 20426361 betragen. Es
ist also nur eine Steigerung von etwas mehr als ein Fünftel eingetreten.
Von größtem Interesse für unsere Erörterung ist nun aber die Frage, wie sich
die Bevölkerung der Gutsbezirke entwickelt hat. Diese hat nach der amtlichen
Statistik im Jahre 1890 2014354 Köpfe betragen; im Jahre 1900^ist sie
gesunken auf 1998393 und im Jahre 1905 gestiegen auf 2037135. In der
gleichen Zeit ist die Einwohnerzahl der reinen Landgemeinden gestiegen von
16154866 auf 18389226. Für unsere späteren Untersuchungen sollen diese
Ziffern nur einen allgemeinen äußeren Rahmen bilden. Das darf man aber
wohl sagen, daß der Großgrundbesitz seit dem Erlaß der Kreisordnung offenbar
nur sehr unerheblich an Bedeutung für die Bevölkerung gewonnen hat.


Zur Reform der preußischen Kreisverfassung

gemeinten sind anderseits wieder dadurch in der Möglichkeit beschränkt, eine
starke Geltung zu erlangen, daß sie, und das gilt auch für die größte stadt¬
ähnliche Landgemeinde, nur höchstens zwei Abgeordnete wühlen können. Auch
der industrielle Einfluß wird noch durch die besondere Bestimmung des Z 97
unter Druck gehalten, wonach die juristischen Personen. Aktiengesellschaften und
Kommanditgesellschaften auf Aktien sich bei der Wahl durch Landwirte
vertreten lassen müssen. In diesem Zusammenhang noch die Tatsache
hervorzuheben, daß die im Kreise ansässigen Mitglieder einer Gesellschaft
mit beschränkter Haftung zwar Kreisabgaben zahlen müssen, aber keine
Wahlberechtigung besitzen, scheint nicht erforderlich, da bereits unter allseitiger
Zustimmung in Aussicht genommen ist. diese Lücke durch eine Änderung des
Gesetzes auszufüllen. ^

Wie beim ganzen Staat, so hat sich seit dem Erlaß der prechischen Krei.-
ordnung im Jahre 1872 auch die wirtschaftliche Physiognomie der Landkreise
stark gewandelt. Die große Verschiebung, die im Staat in der Verteilung der
Bevölkerung auf Stadt und Land und in der Gruppierung nach Landwirtschaft
und Industrie und Handel stattgefunden hat, spiegelt sich naturgemäß auch in
den Landkreisen wider. In den Landstädten und auf dem platten Lande hat
sich eine kräftige Industrie entwickelt, die für den Finanzhaushalt der Kreise
von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Nach dein statistischen Jahrbuch
für den preußischen Staat ist die Bevölkerungszahl in den Städten Preußens
von 8 791834 im Jahre 1875 auf 16866963 im Jahre 1905 gewachsen; die
städtischen Einwohner haben sich also in dieser Zeit nahezu verdoppelt. Für
unsere Betrachtung sind diese Zahlen allerdings nicht in vollem Umfang zu
verwerten, da hierin alle Städte enthalten sind, auch die. die selbständige
Stadtkreise bilden. Immerhin wird das allgemeine erhebliche Wachstum einen
Schluß auch auf das Wachsen der städtischen Bevölkerung in den Landkreisen
gestatten. Wie verhält es sich nun mit der Bevölkerung in den Landgemeinden?
Auch diese ist gestiegen, wenn auch bei weitem nicht so erheblich als in den
Städten. Die Landgemeinden haben im Jahre 1875 mit den Gutsbezirken,
die für dieses Jahr noch nicht gesondert aufgeführt werden, eine Einwohnerzahl
von 16950570 gehabt und sie hat im Jahre 1905 20426361 betragen. Es
ist also nur eine Steigerung von etwas mehr als ein Fünftel eingetreten.
Von größtem Interesse für unsere Erörterung ist nun aber die Frage, wie sich
die Bevölkerung der Gutsbezirke entwickelt hat. Diese hat nach der amtlichen
Statistik im Jahre 1890 2014354 Köpfe betragen; im Jahre 1900^ist sie
gesunken auf 1998393 und im Jahre 1905 gestiegen auf 2037135. In der
gleichen Zeit ist die Einwohnerzahl der reinen Landgemeinden gestiegen von
16154866 auf 18389226. Für unsere späteren Untersuchungen sollen diese
Ziffern nur einen allgemeinen äußeren Rahmen bilden. Das darf man aber
wohl sagen, daß der Großgrundbesitz seit dem Erlaß der Kreisordnung offenbar
nur sehr unerheblich an Bedeutung für die Bevölkerung gewonnen hat.


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[0473] Zur Reform der preußischen Kreisverfassung gemeinten sind anderseits wieder dadurch in der Möglichkeit beschränkt, eine starke Geltung zu erlangen, daß sie, und das gilt auch für die größte stadt¬ ähnliche Landgemeinde, nur höchstens zwei Abgeordnete wühlen können. Auch der industrielle Einfluß wird noch durch die besondere Bestimmung des Z 97 unter Druck gehalten, wonach die juristischen Personen. Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sich bei der Wahl durch Landwirte vertreten lassen müssen. In diesem Zusammenhang noch die Tatsache hervorzuheben, daß die im Kreise ansässigen Mitglieder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zwar Kreisabgaben zahlen müssen, aber keine Wahlberechtigung besitzen, scheint nicht erforderlich, da bereits unter allseitiger Zustimmung in Aussicht genommen ist. diese Lücke durch eine Änderung des Gesetzes auszufüllen. ^ Wie beim ganzen Staat, so hat sich seit dem Erlaß der prechischen Krei.- ordnung im Jahre 1872 auch die wirtschaftliche Physiognomie der Landkreise stark gewandelt. Die große Verschiebung, die im Staat in der Verteilung der Bevölkerung auf Stadt und Land und in der Gruppierung nach Landwirtschaft und Industrie und Handel stattgefunden hat, spiegelt sich naturgemäß auch in den Landkreisen wider. In den Landstädten und auf dem platten Lande hat sich eine kräftige Industrie entwickelt, die für den Finanzhaushalt der Kreise von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Nach dein statistischen Jahrbuch für den preußischen Staat ist die Bevölkerungszahl in den Städten Preußens von 8 791834 im Jahre 1875 auf 16866963 im Jahre 1905 gewachsen; die städtischen Einwohner haben sich also in dieser Zeit nahezu verdoppelt. Für unsere Betrachtung sind diese Zahlen allerdings nicht in vollem Umfang zu verwerten, da hierin alle Städte enthalten sind, auch die. die selbständige Stadtkreise bilden. Immerhin wird das allgemeine erhebliche Wachstum einen Schluß auch auf das Wachsen der städtischen Bevölkerung in den Landkreisen gestatten. Wie verhält es sich nun mit der Bevölkerung in den Landgemeinden? Auch diese ist gestiegen, wenn auch bei weitem nicht so erheblich als in den Städten. Die Landgemeinden haben im Jahre 1875 mit den Gutsbezirken, die für dieses Jahr noch nicht gesondert aufgeführt werden, eine Einwohnerzahl von 16950570 gehabt und sie hat im Jahre 1905 20426361 betragen. Es ist also nur eine Steigerung von etwas mehr als ein Fünftel eingetreten. Von größtem Interesse für unsere Erörterung ist nun aber die Frage, wie sich die Bevölkerung der Gutsbezirke entwickelt hat. Diese hat nach der amtlichen Statistik im Jahre 1890 2014354 Köpfe betragen; im Jahre 1900^ist sie gesunken auf 1998393 und im Jahre 1905 gestiegen auf 2037135. In der gleichen Zeit ist die Einwohnerzahl der reinen Landgemeinden gestiegen von 16154866 auf 18389226. Für unsere späteren Untersuchungen sollen diese Ziffern nur einen allgemeinen äußeren Rahmen bilden. Das darf man aber wohl sagen, daß der Großgrundbesitz seit dem Erlaß der Kreisordnung offenbar nur sehr unerheblich an Bedeutung für die Bevölkerung gewonnen hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/473>, abgerufen am 23.07.2024.