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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Lande der Freiheit

erreicht hat und in scharfem Konkurrenzkampfe behauptet, ist gewiß ein erfreulicher
Erfolg nationaler Arbeit. Aber die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo andere
Nationen uns die technische Vollendung nachgemacht haben, wo sie, durch bessere
Produktionsbedingungen, durch billigere Arbeiter und bequemer erreichbares
Rohmaterial begünstigt, uns aus dem Felde schlagen werden. Was entscheidet
dann? Können wir dann zu allem übrigen Guten, das wir zu bieten haben,
noch eine individuelle und unnachahmliche künstlerische Form in die Wagschale
werfen, so wird die deutsche Industrie den Ruhm einer wirklichen Kunstindustrie
gewinnen, den sie heute leider noch nicht besitzt. Es ist das außerordentliche
Verdienst der A. E. G., die Bedeutung dieses Gedankens zuerst im Kerne erfaßt
und seiner Verwirklichung durch ein mutiges und konsequentes Vorgehen vor¬
gearbeitet zu haben. ,




Aus dem Lande der Freiheit
l)r. Arthur Roch5 von
Die Trinkfrage und die Prohibitionsbewegung.

und in Deutschland gibt es seit geraumer Zeit eine Bewegung
gegen den Mißbrauch -- wohlverstanden gegen den Mißbrauch
-- des Genusses geistiger Getränke. Keinem halbwegs vernünftigen
Menschen wird es in den Sinn kommen, gegen derartige
Bestrebungen auch nur ein Wort der absprechender Kritik oder gar
des Spottes zu äußern -- vorausgesetzt allerdings, daß diese
Bestrebungen sich auch wirklich im Rahmen der Mißbrauchs- resp. Unmüßigkeits-
bekämpfung halten. Man kann sich auch mit den Bestrebungen derjenigen Alkohol¬
gegner und sogar der wirklichen Abstinenten einverstanden erklären, welche ihre
Agitation auf die Bekämpfung der Trunksucht und die Rettung der ihr Ver¬
fallenen beschränken. Auch wenn Leute, welche außerstande sind, im Genusse
geistiger Getränke Maß zu halten, aber Verstand genug haben, diese ihre
Schwachheit selbst einzusehen, auf deren Genuß ganz und gar verzichten, dann
ist das in hohem Grade lobenswert und man sollte sich hüten, sie deshalb noch
zu verspotten. Nur geht das im Grunde genommen niemand etwas an, und
diese aus Angst vor der eigenen Schwäche oder aus Abneigung vor dem Alkohol
im allgemeinen Abstinenten sollten dann nicht so viel von Selbstgefälligkeit und
Selbstgerechtigkeit strotzenden Aufhebens davon machen. Wenn Müller oder
Lehmann keinen Varinasknaster rauchen mögen, wenn sie weder Tabak kauen
noch schnupfen, weil ihnen das nicht schmeckt oder weil es ihnen nicht bekommt,
so ist das doch für sie noch kein Grund, sich diese Enthaltsamkeit als ein besonderes
Verdienst anzurechnen. Noch toller aber wäre es, wenn nnn Lehmann und


Aus dem Lande der Freiheit

erreicht hat und in scharfem Konkurrenzkampfe behauptet, ist gewiß ein erfreulicher
Erfolg nationaler Arbeit. Aber die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo andere
Nationen uns die technische Vollendung nachgemacht haben, wo sie, durch bessere
Produktionsbedingungen, durch billigere Arbeiter und bequemer erreichbares
Rohmaterial begünstigt, uns aus dem Felde schlagen werden. Was entscheidet
dann? Können wir dann zu allem übrigen Guten, das wir zu bieten haben,
noch eine individuelle und unnachahmliche künstlerische Form in die Wagschale
werfen, so wird die deutsche Industrie den Ruhm einer wirklichen Kunstindustrie
gewinnen, den sie heute leider noch nicht besitzt. Es ist das außerordentliche
Verdienst der A. E. G., die Bedeutung dieses Gedankens zuerst im Kerne erfaßt
und seiner Verwirklichung durch ein mutiges und konsequentes Vorgehen vor¬
gearbeitet zu haben. ,




Aus dem Lande der Freiheit
l)r. Arthur Roch5 von
Die Trinkfrage und die Prohibitionsbewegung.

und in Deutschland gibt es seit geraumer Zeit eine Bewegung
gegen den Mißbrauch — wohlverstanden gegen den Mißbrauch
— des Genusses geistiger Getränke. Keinem halbwegs vernünftigen
Menschen wird es in den Sinn kommen, gegen derartige
Bestrebungen auch nur ein Wort der absprechender Kritik oder gar
des Spottes zu äußern — vorausgesetzt allerdings, daß diese
Bestrebungen sich auch wirklich im Rahmen der Mißbrauchs- resp. Unmüßigkeits-
bekämpfung halten. Man kann sich auch mit den Bestrebungen derjenigen Alkohol¬
gegner und sogar der wirklichen Abstinenten einverstanden erklären, welche ihre
Agitation auf die Bekämpfung der Trunksucht und die Rettung der ihr Ver¬
fallenen beschränken. Auch wenn Leute, welche außerstande sind, im Genusse
geistiger Getränke Maß zu halten, aber Verstand genug haben, diese ihre
Schwachheit selbst einzusehen, auf deren Genuß ganz und gar verzichten, dann
ist das in hohem Grade lobenswert und man sollte sich hüten, sie deshalb noch
zu verspotten. Nur geht das im Grunde genommen niemand etwas an, und
diese aus Angst vor der eigenen Schwäche oder aus Abneigung vor dem Alkohol
im allgemeinen Abstinenten sollten dann nicht so viel von Selbstgefälligkeit und
Selbstgerechtigkeit strotzenden Aufhebens davon machen. Wenn Müller oder
Lehmann keinen Varinasknaster rauchen mögen, wenn sie weder Tabak kauen
noch schnupfen, weil ihnen das nicht schmeckt oder weil es ihnen nicht bekommt,
so ist das doch für sie noch kein Grund, sich diese Enthaltsamkeit als ein besonderes
Verdienst anzurechnen. Noch toller aber wäre es, wenn nnn Lehmann und


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[0042] Aus dem Lande der Freiheit erreicht hat und in scharfem Konkurrenzkampfe behauptet, ist gewiß ein erfreulicher Erfolg nationaler Arbeit. Aber die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo andere Nationen uns die technische Vollendung nachgemacht haben, wo sie, durch bessere Produktionsbedingungen, durch billigere Arbeiter und bequemer erreichbares Rohmaterial begünstigt, uns aus dem Felde schlagen werden. Was entscheidet dann? Können wir dann zu allem übrigen Guten, das wir zu bieten haben, noch eine individuelle und unnachahmliche künstlerische Form in die Wagschale werfen, so wird die deutsche Industrie den Ruhm einer wirklichen Kunstindustrie gewinnen, den sie heute leider noch nicht besitzt. Es ist das außerordentliche Verdienst der A. E. G., die Bedeutung dieses Gedankens zuerst im Kerne erfaßt und seiner Verwirklichung durch ein mutiges und konsequentes Vorgehen vor¬ gearbeitet zu haben. , Aus dem Lande der Freiheit l)r. Arthur Roch5 von Die Trinkfrage und die Prohibitionsbewegung. und in Deutschland gibt es seit geraumer Zeit eine Bewegung gegen den Mißbrauch — wohlverstanden gegen den Mißbrauch — des Genusses geistiger Getränke. Keinem halbwegs vernünftigen Menschen wird es in den Sinn kommen, gegen derartige Bestrebungen auch nur ein Wort der absprechender Kritik oder gar des Spottes zu äußern — vorausgesetzt allerdings, daß diese Bestrebungen sich auch wirklich im Rahmen der Mißbrauchs- resp. Unmüßigkeits- bekämpfung halten. Man kann sich auch mit den Bestrebungen derjenigen Alkohol¬ gegner und sogar der wirklichen Abstinenten einverstanden erklären, welche ihre Agitation auf die Bekämpfung der Trunksucht und die Rettung der ihr Ver¬ fallenen beschränken. Auch wenn Leute, welche außerstande sind, im Genusse geistiger Getränke Maß zu halten, aber Verstand genug haben, diese ihre Schwachheit selbst einzusehen, auf deren Genuß ganz und gar verzichten, dann ist das in hohem Grade lobenswert und man sollte sich hüten, sie deshalb noch zu verspotten. Nur geht das im Grunde genommen niemand etwas an, und diese aus Angst vor der eigenen Schwäche oder aus Abneigung vor dem Alkohol im allgemeinen Abstinenten sollten dann nicht so viel von Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit strotzenden Aufhebens davon machen. Wenn Müller oder Lehmann keinen Varinasknaster rauchen mögen, wenn sie weder Tabak kauen noch schnupfen, weil ihnen das nicht schmeckt oder weil es ihnen nicht bekommt, so ist das doch für sie noch kein Grund, sich diese Enthaltsamkeit als ein besonderes Verdienst anzurechnen. Noch toller aber wäre es, wenn nnn Lehmann und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/42>, abgerufen am 24.07.2024.