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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Posener Siegesfeiern -- Zur Elsasser Frage -- Bedeutung der Sozial¬
demokratie für die innere Politik.

Gestern, am 20. August, ist der Deutsche Kaiser in die neue Burg zu Posen
eingezogen. Festliches Gepränge umgab ihn, -- vor allen Dingen aber militärisches.
Die ganze Feier trug den Stempel eines Siegesfestes, bei dem der Sieger dem
Unterlegenen noch einmal seine stattliche Macht vorzuführen strebte, um dann --
ja, -- warum?---um dann die Versöhnung folgen zu lassen. Dem
Sieger steht es zu, die Hand zum Frieden zu bieten und die Wege zur innern
Aussöhnung zu weisen. Nachdem also der siegreiche Herrscher in die Burg zu
Posen eingezogen ist, müssen wir logischerweise erwarten, daß die preußische
Ostmarkenpolitik in Zukunft versuchen wird, die Wunden zu schließen, die sie
angeblich den Bewohnern der Ostmark geschlagen hat. Wo zeigen sich diese
Wunden? Soweit wir im Lande Umschau halten, ist von solchen Wunden nichts
zu bemerken. Wer die Ostmark seit mehr als zwanzig Jahren kennt, hat vor
seinen Augen ans kultureller und wirtschaftlicher Versumpfung Reichtümer erstehen
sehn, wie sie vordem Posen und Westpreußen nicht gekannt haben. Der Gro߬
grundbesitz, dessen früherer Rückständigkeit wir in allererster Linie den Niedergang
des Deutschtums im Osten zu danken haben (Näheres s. "Grenzboten" von 1908,
Heft 81.33,35.37). ist wieder mächtig emporgekommen und die große Masse der
Bevölkerung, Deutsche undPolen. lebt unter so günstigenwirtschaftlichenVerhältnissen.
wie sie vor noch gar nicht langer Zeit geradezu als unmöglich galten. Mit einem
Wort, die preußische Regierung hat ein kulturelles Friedenswerk allerersten Ranges
geleistet. Ein solches Friedenswerk kann kaum die Veranlassung zu militärischen
Siegesfeiern bieten, um so weniger aber, wenn es nicht beendet ist. Das Kulturwerk
im Osten liegt erst im Fundament vor uns. Die schwerere und langwierigere
Aufgabe, auf dem wirtschaftlichen Fundamente den deutschen Kulturbau auf¬
zuführen, trotz ultramontaner, international-freisinniger und polnischer Gegenwehr,
ist noch zu leisten. Der eigentliche Kampf fängt somit erst recht an. Aus diesem
Grunde fragen wir noch einmal, wozu die Siegesfeier in Posen inszeniert wurde?

Die Burg soll ein Symbol sein dafür, daß Posen deutsch geworden ist. Bei
der Übernahme des goldenen Burgschlüssels aus der Hand des Oberbürgermeisters
von Posen Dr. Wiluf, sagte der Kaiser:

". . . Wir freuen uns, in unserer jüngsten Residenz, zu der ich die
Stadt Posen hiermit erhebe, Aufenthalt zu nehmen, um fortan zu
ihren Bewohnern in nähere Beziehungen zu treten. Möge dre Bürger¬
schaft Posens sich beim Anblick dieser machtvollen Pfalz stets des




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Posener Siegesfeiern — Zur Elsasser Frage — Bedeutung der Sozial¬
demokratie für die innere Politik.

Gestern, am 20. August, ist der Deutsche Kaiser in die neue Burg zu Posen
eingezogen. Festliches Gepränge umgab ihn, — vor allen Dingen aber militärisches.
Die ganze Feier trug den Stempel eines Siegesfestes, bei dem der Sieger dem
Unterlegenen noch einmal seine stattliche Macht vorzuführen strebte, um dann —
ja, — warum?---um dann die Versöhnung folgen zu lassen. Dem
Sieger steht es zu, die Hand zum Frieden zu bieten und die Wege zur innern
Aussöhnung zu weisen. Nachdem also der siegreiche Herrscher in die Burg zu
Posen eingezogen ist, müssen wir logischerweise erwarten, daß die preußische
Ostmarkenpolitik in Zukunft versuchen wird, die Wunden zu schließen, die sie
angeblich den Bewohnern der Ostmark geschlagen hat. Wo zeigen sich diese
Wunden? Soweit wir im Lande Umschau halten, ist von solchen Wunden nichts
zu bemerken. Wer die Ostmark seit mehr als zwanzig Jahren kennt, hat vor
seinen Augen ans kultureller und wirtschaftlicher Versumpfung Reichtümer erstehen
sehn, wie sie vordem Posen und Westpreußen nicht gekannt haben. Der Gro߬
grundbesitz, dessen früherer Rückständigkeit wir in allererster Linie den Niedergang
des Deutschtums im Osten zu danken haben (Näheres s. „Grenzboten" von 1908,
Heft 81.33,35.37). ist wieder mächtig emporgekommen und die große Masse der
Bevölkerung, Deutsche undPolen. lebt unter so günstigenwirtschaftlichenVerhältnissen.
wie sie vor noch gar nicht langer Zeit geradezu als unmöglich galten. Mit einem
Wort, die preußische Regierung hat ein kulturelles Friedenswerk allerersten Ranges
geleistet. Ein solches Friedenswerk kann kaum die Veranlassung zu militärischen
Siegesfeiern bieten, um so weniger aber, wenn es nicht beendet ist. Das Kulturwerk
im Osten liegt erst im Fundament vor uns. Die schwerere und langwierigere
Aufgabe, auf dem wirtschaftlichen Fundamente den deutschen Kulturbau auf¬
zuführen, trotz ultramontaner, international-freisinniger und polnischer Gegenwehr,
ist noch zu leisten. Der eigentliche Kampf fängt somit erst recht an. Aus diesem
Grunde fragen wir noch einmal, wozu die Siegesfeier in Posen inszeniert wurde?

Die Burg soll ein Symbol sein dafür, daß Posen deutsch geworden ist. Bei
der Übernahme des goldenen Burgschlüssels aus der Hand des Oberbürgermeisters
von Posen Dr. Wiluf, sagte der Kaiser:

„. . . Wir freuen uns, in unserer jüngsten Residenz, zu der ich die
Stadt Posen hiermit erhebe, Aufenthalt zu nehmen, um fortan zu
ihren Bewohnern in nähere Beziehungen zu treten. Möge dre Bürger¬
schaft Posens sich beim Anblick dieser machtvollen Pfalz stets des


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[0403] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Posener Siegesfeiern — Zur Elsasser Frage — Bedeutung der Sozial¬ demokratie für die innere Politik. Gestern, am 20. August, ist der Deutsche Kaiser in die neue Burg zu Posen eingezogen. Festliches Gepränge umgab ihn, — vor allen Dingen aber militärisches. Die ganze Feier trug den Stempel eines Siegesfestes, bei dem der Sieger dem Unterlegenen noch einmal seine stattliche Macht vorzuführen strebte, um dann — ja, — warum?---um dann die Versöhnung folgen zu lassen. Dem Sieger steht es zu, die Hand zum Frieden zu bieten und die Wege zur innern Aussöhnung zu weisen. Nachdem also der siegreiche Herrscher in die Burg zu Posen eingezogen ist, müssen wir logischerweise erwarten, daß die preußische Ostmarkenpolitik in Zukunft versuchen wird, die Wunden zu schließen, die sie angeblich den Bewohnern der Ostmark geschlagen hat. Wo zeigen sich diese Wunden? Soweit wir im Lande Umschau halten, ist von solchen Wunden nichts zu bemerken. Wer die Ostmark seit mehr als zwanzig Jahren kennt, hat vor seinen Augen ans kultureller und wirtschaftlicher Versumpfung Reichtümer erstehen sehn, wie sie vordem Posen und Westpreußen nicht gekannt haben. Der Gro߬ grundbesitz, dessen früherer Rückständigkeit wir in allererster Linie den Niedergang des Deutschtums im Osten zu danken haben (Näheres s. „Grenzboten" von 1908, Heft 81.33,35.37). ist wieder mächtig emporgekommen und die große Masse der Bevölkerung, Deutsche undPolen. lebt unter so günstigenwirtschaftlichenVerhältnissen. wie sie vor noch gar nicht langer Zeit geradezu als unmöglich galten. Mit einem Wort, die preußische Regierung hat ein kulturelles Friedenswerk allerersten Ranges geleistet. Ein solches Friedenswerk kann kaum die Veranlassung zu militärischen Siegesfeiern bieten, um so weniger aber, wenn es nicht beendet ist. Das Kulturwerk im Osten liegt erst im Fundament vor uns. Die schwerere und langwierigere Aufgabe, auf dem wirtschaftlichen Fundamente den deutschen Kulturbau auf¬ zuführen, trotz ultramontaner, international-freisinniger und polnischer Gegenwehr, ist noch zu leisten. Der eigentliche Kampf fängt somit erst recht an. Aus diesem Grunde fragen wir noch einmal, wozu die Siegesfeier in Posen inszeniert wurde? Die Burg soll ein Symbol sein dafür, daß Posen deutsch geworden ist. Bei der Übernahme des goldenen Burgschlüssels aus der Hand des Oberbürgermeisters von Posen Dr. Wiluf, sagte der Kaiser: „. . . Wir freuen uns, in unserer jüngsten Residenz, zu der ich die Stadt Posen hiermit erhebe, Aufenthalt zu nehmen, um fortan zu ihren Bewohnern in nähere Beziehungen zu treten. Möge dre Bürger¬ schaft Posens sich beim Anblick dieser machtvollen Pfalz stets des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/403>, abgerufen am 25.08.2024.