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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage in Ungarn

Tisza in Aussicht gestellten militärischen Zugeständnisse, die damals der
Unabhängigkeitspartei zu geringfügig erschienen, während sie von der oben¬
erwähnten Wiener Presse als der Beginn der Spaltung der Armee hingestellt
wurden, um den Deutschösterreichern die Lust zu benehmen, sich zum Schutze
der Einheit des Heeres an die Seite des Kaisers zu stellen. Als das Koalitions¬
kabinett -- anfangs auch das "Glanzministerium" genannt, weil ein Kossuth
darin saß -- seine Popularität immer mehr schwinden sah, wäre ihm mit
einem Bruchteil jeuer Zugeständnisse gedient gewesen. Es verlautete auch im
vergangenen Jahre mehrfach in den Zeitungen, allerdings in höchst unbestimmten
Ausdrücken, von Beratungen der ungarischen Minister mit der Krone über
militärische Forderungen. Tatsache ist, daß der Kaiser verschiedene Anzapfungen
nach dieser Richtung entschieden abgelehnt hat. Er hielt ebenso fest an dem
mit den Koalitionsministern vereinbarte:: Pakt, als er von ihnen die Einhaltung
desselben begehrte. Er hatte nicht Lust, auch nur einen Teil der von ihm in
Aussicht gestellte,: Zugeständnisse zugunsten von Männern definitiv zu gewähren,
deren ehrliches Wollen ihm je länger je mehr immer zweifelhafter erscheinen
mußte.

Der Grund dieser Erscheinung liegt nun in der zweiten übernommenen
Verpflichtung zur Durchführung des allgemeinen Wahlrechts. Im heutigen
Ungarn ist die Zahl der Wahlberechtigten sehr gering, aber gerade darauf
beruht die Möglichkeit der Herrschaft der jetzigen parlamentarischen Clique, die,
einerlei ob bei der Regierungspartei oder in der Opposition, in dem politischen
Treiben vollständig aufgeht, wenn sie Geld hat, oder davon lebt, wenn sie
keins besitzt. Das von der Koalitionsregierung der Krone zugestandene allgemeine,
geheime und gemeindeweise auszuübende Wahlrecht würde das Ende der Herr¬
schaft dieser Magyarenclique bedeuten und die demokratischen Elemente im Verein
mit den Vertretern der anderen Nationalitäten in den Vordergrund schieben.
Davor hatten sich die Herren schon unter dem Ministerpräsidenten Fejervaru
gefürchtet. Als dessen Minister des Innern Kristoffy an: 9. September 1905
eine Wahlrede darüber gehalten hatte, wurde der ganze ungarische hohe und
niedere Adel stutzig und beschwor die Opposition, in ihren militärischen Forderungen
nachzugeben. Nachdem das sicher stand, gab Fejervaru, der nur ungern im
Dienste seines Monarchen Ministerpräsident geworden war, am 13. seine
Demission und erhielt sie; die Führer der Opposition wurden nach Wien
berufen. Sie hielten sich nach dem Rücktritt des unparlamentarischen Ministeriums
schon für die Herren der Lage und beschlossen am 21. September vor ihrer Abreise
nach Wien siegessicher das Festhalten an den Forderungen der Opposition. Darauf
folgte die denkwürdige Audienz am 23. September in Wien, bei der der
Monarch in jeden: Sinne des Worts mit den Herren deutsch sprach und sie
nach kaum zehn Minuten mit einen: schriftlichen Ultimatum entließ, in den:
ganz deutlich zu lesen war, unter welchen Bedingungen er überhaupt mit ihnen
unterhandeln werde. Die Herren schieden sehr verdutzt, die Presse, die den


Die Lage in Ungarn

Tisza in Aussicht gestellten militärischen Zugeständnisse, die damals der
Unabhängigkeitspartei zu geringfügig erschienen, während sie von der oben¬
erwähnten Wiener Presse als der Beginn der Spaltung der Armee hingestellt
wurden, um den Deutschösterreichern die Lust zu benehmen, sich zum Schutze
der Einheit des Heeres an die Seite des Kaisers zu stellen. Als das Koalitions¬
kabinett — anfangs auch das „Glanzministerium" genannt, weil ein Kossuth
darin saß — seine Popularität immer mehr schwinden sah, wäre ihm mit
einem Bruchteil jeuer Zugeständnisse gedient gewesen. Es verlautete auch im
vergangenen Jahre mehrfach in den Zeitungen, allerdings in höchst unbestimmten
Ausdrücken, von Beratungen der ungarischen Minister mit der Krone über
militärische Forderungen. Tatsache ist, daß der Kaiser verschiedene Anzapfungen
nach dieser Richtung entschieden abgelehnt hat. Er hielt ebenso fest an dem
mit den Koalitionsministern vereinbarte:: Pakt, als er von ihnen die Einhaltung
desselben begehrte. Er hatte nicht Lust, auch nur einen Teil der von ihm in
Aussicht gestellte,: Zugeständnisse zugunsten von Männern definitiv zu gewähren,
deren ehrliches Wollen ihm je länger je mehr immer zweifelhafter erscheinen
mußte.

Der Grund dieser Erscheinung liegt nun in der zweiten übernommenen
Verpflichtung zur Durchführung des allgemeinen Wahlrechts. Im heutigen
Ungarn ist die Zahl der Wahlberechtigten sehr gering, aber gerade darauf
beruht die Möglichkeit der Herrschaft der jetzigen parlamentarischen Clique, die,
einerlei ob bei der Regierungspartei oder in der Opposition, in dem politischen
Treiben vollständig aufgeht, wenn sie Geld hat, oder davon lebt, wenn sie
keins besitzt. Das von der Koalitionsregierung der Krone zugestandene allgemeine,
geheime und gemeindeweise auszuübende Wahlrecht würde das Ende der Herr¬
schaft dieser Magyarenclique bedeuten und die demokratischen Elemente im Verein
mit den Vertretern der anderen Nationalitäten in den Vordergrund schieben.
Davor hatten sich die Herren schon unter dem Ministerpräsidenten Fejervaru
gefürchtet. Als dessen Minister des Innern Kristoffy an: 9. September 1905
eine Wahlrede darüber gehalten hatte, wurde der ganze ungarische hohe und
niedere Adel stutzig und beschwor die Opposition, in ihren militärischen Forderungen
nachzugeben. Nachdem das sicher stand, gab Fejervaru, der nur ungern im
Dienste seines Monarchen Ministerpräsident geworden war, am 13. seine
Demission und erhielt sie; die Führer der Opposition wurden nach Wien
berufen. Sie hielten sich nach dem Rücktritt des unparlamentarischen Ministeriums
schon für die Herren der Lage und beschlossen am 21. September vor ihrer Abreise
nach Wien siegessicher das Festhalten an den Forderungen der Opposition. Darauf
folgte die denkwürdige Audienz am 23. September in Wien, bei der der
Monarch in jeden: Sinne des Worts mit den Herren deutsch sprach und sie
nach kaum zehn Minuten mit einen: schriftlichen Ultimatum entließ, in den:
ganz deutlich zu lesen war, unter welchen Bedingungen er überhaupt mit ihnen
unterhandeln werde. Die Herren schieden sehr verdutzt, die Presse, die den


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[0375] Die Lage in Ungarn Tisza in Aussicht gestellten militärischen Zugeständnisse, die damals der Unabhängigkeitspartei zu geringfügig erschienen, während sie von der oben¬ erwähnten Wiener Presse als der Beginn der Spaltung der Armee hingestellt wurden, um den Deutschösterreichern die Lust zu benehmen, sich zum Schutze der Einheit des Heeres an die Seite des Kaisers zu stellen. Als das Koalitions¬ kabinett — anfangs auch das „Glanzministerium" genannt, weil ein Kossuth darin saß — seine Popularität immer mehr schwinden sah, wäre ihm mit einem Bruchteil jeuer Zugeständnisse gedient gewesen. Es verlautete auch im vergangenen Jahre mehrfach in den Zeitungen, allerdings in höchst unbestimmten Ausdrücken, von Beratungen der ungarischen Minister mit der Krone über militärische Forderungen. Tatsache ist, daß der Kaiser verschiedene Anzapfungen nach dieser Richtung entschieden abgelehnt hat. Er hielt ebenso fest an dem mit den Koalitionsministern vereinbarte:: Pakt, als er von ihnen die Einhaltung desselben begehrte. Er hatte nicht Lust, auch nur einen Teil der von ihm in Aussicht gestellte,: Zugeständnisse zugunsten von Männern definitiv zu gewähren, deren ehrliches Wollen ihm je länger je mehr immer zweifelhafter erscheinen mußte. Der Grund dieser Erscheinung liegt nun in der zweiten übernommenen Verpflichtung zur Durchführung des allgemeinen Wahlrechts. Im heutigen Ungarn ist die Zahl der Wahlberechtigten sehr gering, aber gerade darauf beruht die Möglichkeit der Herrschaft der jetzigen parlamentarischen Clique, die, einerlei ob bei der Regierungspartei oder in der Opposition, in dem politischen Treiben vollständig aufgeht, wenn sie Geld hat, oder davon lebt, wenn sie keins besitzt. Das von der Koalitionsregierung der Krone zugestandene allgemeine, geheime und gemeindeweise auszuübende Wahlrecht würde das Ende der Herr¬ schaft dieser Magyarenclique bedeuten und die demokratischen Elemente im Verein mit den Vertretern der anderen Nationalitäten in den Vordergrund schieben. Davor hatten sich die Herren schon unter dem Ministerpräsidenten Fejervaru gefürchtet. Als dessen Minister des Innern Kristoffy an: 9. September 1905 eine Wahlrede darüber gehalten hatte, wurde der ganze ungarische hohe und niedere Adel stutzig und beschwor die Opposition, in ihren militärischen Forderungen nachzugeben. Nachdem das sicher stand, gab Fejervaru, der nur ungern im Dienste seines Monarchen Ministerpräsident geworden war, am 13. seine Demission und erhielt sie; die Führer der Opposition wurden nach Wien berufen. Sie hielten sich nach dem Rücktritt des unparlamentarischen Ministeriums schon für die Herren der Lage und beschlossen am 21. September vor ihrer Abreise nach Wien siegessicher das Festhalten an den Forderungen der Opposition. Darauf folgte die denkwürdige Audienz am 23. September in Wien, bei der der Monarch in jeden: Sinne des Worts mit den Herren deutsch sprach und sie nach kaum zehn Minuten mit einen: schriftlichen Ultimatum entließ, in den: ganz deutlich zu lesen war, unter welchen Bedingungen er überhaupt mit ihnen unterhandeln werde. Die Herren schieden sehr verdutzt, die Presse, die den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/375>, abgerufen am 03.07.2024.