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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage in Ungarn

In dieser Haltung ist in den letzten Jahren eine unverkennbare Änderung ein¬
getreten. Schon bei den Ausgleichsverhandlungen 1906/07 hatte die Krone
nicht nur den dringenden Wunsch für das Zustandekommen ausgesprochen,
sondern der Kaiser hat im September 1907 bei den entscheidenden Verhand¬
lungen auch mehrfach vermittelnd eingegriffen. Noch deutlicher trat dies hervor
zu Anfang des Jahres 1909, wo der Monarch die Forderung einer besonderen
ungarischen Bank, die allerdings den Anfang der wirtschaftlichen Trennung
bedeutet Hütte, in jeder Forni ablehnte.

Die Aufgaben, die heute der Habsburgischen Monarchie gestellt werden,
vertragen eine weitere Verschärfung der Zweiteilung nicht mehr, und es besteht
kein Zweifel darüber, daß die Ungarn mit der entschiedenen Gegnerschaft der
Krone zu rechnen haben würden, wenn sich bei ihnen wieder Strömungen in
den Vordergrund drängen sollten, die auch nur auf die wirtschaftliche Trennung
hinzielen. Das weiß man jenseits der Leitha auch ganz genau, und trotzdem
wurde der "König" bei seiner Anwesenheit in Budapest im Juni mit außer¬
gewöhnlicher Wärme aufgenommen, und das neue "unparlamentarische" Mini¬
sterium Khuen-Hedervarn erhielt durch die Neuwahlen eine Mehrheit, die noch
die Koloman Szells übertrifft, als er 1900 die Nationalpartei mit der liberalen
Partei vereinigt hatte. Diese auffällige Wandlung, nachdem noch bei den Wahlen
von 1906 die Kossuthvartei allein die Mehrheit im Abgeordnetenhause erzielt
hatte, dürfte auch in weiteren Kreisen den Wunsch nahelegen, die für den gegen¬
wärtigen Zustand entscheidenden Beweggründe klarzulegen, aber auch die Wahr¬
scheinlichkeit seiner Dauer zu untersuchen. Ausführlicheres über die ungarischen
Partei- und Parlamentsverhältnisse, über den Sturz der liberalen Partei und
den Beginn der Regierung des sogenannten Koalitionsministeriums ist bereits
in den "Grenzboten" (1904: 50, 51; 1905: 51. 52; 1908: 15) mitgeteilt
worden; es sei hier darauf verwiesen, um ausführlichere Wiederholungen und
Erklärungen zu vermeiden.

Als die sogenannte Koalitionsregierung am 9. April 1906 die Leitung der
Geschäfte übernahm, um die in Ungarn allein herrschende politische Clique nach
dem Kabinett Fejervaru wieder ans Staatsruder zu bringen, hatte sie der
Krone gegenüber bestimmte Verpflichtungen eingehen müssen, unter denen das
einstweilige Fallenlassen aller militärischen Forderungen und die Einführung
des allgemeinen Wahlrechts die wichtigsten waren. Die erstgenannte Verpflichtung
war von der ungarischen und der die magyarischen Bestrebungen auf parla¬
mentarische Machterweiterung begünstigenden Wiener Presse als großer Erfolg der
Koalition ausposaunt worden, während sie doch bloß die von der Krone gewährte
goldene Brücke bildete, über die allein die Parteiführer der bisherigen Opposition
zu den Ministersesseln schreiten konnten, wenn sie sich nicht in vollkommenen
Widerspruch mit dem von ihnen bisher behaupteten Standpunkt setzen wollten.
Daß es nichts weniger als ein Sieg war, zeigte sich bald. Denn die Abmachung
bedeutete zugleich das Ruhenlassen der schon 1903 den Ministerien Szell und


Die Lage in Ungarn

In dieser Haltung ist in den letzten Jahren eine unverkennbare Änderung ein¬
getreten. Schon bei den Ausgleichsverhandlungen 1906/07 hatte die Krone
nicht nur den dringenden Wunsch für das Zustandekommen ausgesprochen,
sondern der Kaiser hat im September 1907 bei den entscheidenden Verhand¬
lungen auch mehrfach vermittelnd eingegriffen. Noch deutlicher trat dies hervor
zu Anfang des Jahres 1909, wo der Monarch die Forderung einer besonderen
ungarischen Bank, die allerdings den Anfang der wirtschaftlichen Trennung
bedeutet Hütte, in jeder Forni ablehnte.

Die Aufgaben, die heute der Habsburgischen Monarchie gestellt werden,
vertragen eine weitere Verschärfung der Zweiteilung nicht mehr, und es besteht
kein Zweifel darüber, daß die Ungarn mit der entschiedenen Gegnerschaft der
Krone zu rechnen haben würden, wenn sich bei ihnen wieder Strömungen in
den Vordergrund drängen sollten, die auch nur auf die wirtschaftliche Trennung
hinzielen. Das weiß man jenseits der Leitha auch ganz genau, und trotzdem
wurde der „König" bei seiner Anwesenheit in Budapest im Juni mit außer¬
gewöhnlicher Wärme aufgenommen, und das neue „unparlamentarische" Mini¬
sterium Khuen-Hedervarn erhielt durch die Neuwahlen eine Mehrheit, die noch
die Koloman Szells übertrifft, als er 1900 die Nationalpartei mit der liberalen
Partei vereinigt hatte. Diese auffällige Wandlung, nachdem noch bei den Wahlen
von 1906 die Kossuthvartei allein die Mehrheit im Abgeordnetenhause erzielt
hatte, dürfte auch in weiteren Kreisen den Wunsch nahelegen, die für den gegen¬
wärtigen Zustand entscheidenden Beweggründe klarzulegen, aber auch die Wahr¬
scheinlichkeit seiner Dauer zu untersuchen. Ausführlicheres über die ungarischen
Partei- und Parlamentsverhältnisse, über den Sturz der liberalen Partei und
den Beginn der Regierung des sogenannten Koalitionsministeriums ist bereits
in den „Grenzboten" (1904: 50, 51; 1905: 51. 52; 1908: 15) mitgeteilt
worden; es sei hier darauf verwiesen, um ausführlichere Wiederholungen und
Erklärungen zu vermeiden.

Als die sogenannte Koalitionsregierung am 9. April 1906 die Leitung der
Geschäfte übernahm, um die in Ungarn allein herrschende politische Clique nach
dem Kabinett Fejervaru wieder ans Staatsruder zu bringen, hatte sie der
Krone gegenüber bestimmte Verpflichtungen eingehen müssen, unter denen das
einstweilige Fallenlassen aller militärischen Forderungen und die Einführung
des allgemeinen Wahlrechts die wichtigsten waren. Die erstgenannte Verpflichtung
war von der ungarischen und der die magyarischen Bestrebungen auf parla¬
mentarische Machterweiterung begünstigenden Wiener Presse als großer Erfolg der
Koalition ausposaunt worden, während sie doch bloß die von der Krone gewährte
goldene Brücke bildete, über die allein die Parteiführer der bisherigen Opposition
zu den Ministersesseln schreiten konnten, wenn sie sich nicht in vollkommenen
Widerspruch mit dem von ihnen bisher behaupteten Standpunkt setzen wollten.
Daß es nichts weniger als ein Sieg war, zeigte sich bald. Denn die Abmachung
bedeutete zugleich das Ruhenlassen der schon 1903 den Ministerien Szell und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/374>, abgerufen am 01.07.2024.