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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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ist, begründet keinen Beweis dafür, daß tatsächlich so viel Sachen vorhanden
gewesen sind und daß der Wert der vorhandenen Sachen so hoch gewesen ist,
wie die Versicherungssumme ergibt. Die Versicherungssumme ist nur die Höchst¬
grenze der Entschädigung -- mehr wird auf keinen Fall vergütet. Bei Haushalts¬
gegenständen und dergleichen wird der Entschädigung der Betrag zugrunde
gelegt, der erforderlich ist, Sachen gleicher Art anzuschaffen, aber unter billiger
Berücksichtigung des aus dein Unterschiede zwischen alt und neu sich ergebenden
Minderwerts. Die Entschädigung wird nach Ablauf eines Monats seit der
Anzeige des Versicherungsfalls mit 4 Prozent verzinst und der Versicherungs¬
nehmer kann nach Ablauf dieses Monats unter allen Umständen Zahlung des
Betrages verlangen, den der Verhinderer nach Lage der Sache mindestens zu
zahlen hat, auch wenn die eigentliche Schadenregulieruug daun etwa noch uicht
ganz beendet ist und noch Streitpunkte offen stehen. Lehnt die Gesellschaft die
Entschädigung ab, so muß binnen sechs Monaten nach der schriftlichen Ablehnung
Klage erhoben werden; jedoch muß die Gesellschaft den Versicherungsnehmer
bei der Ablehnung auf diese Frist ausdrücklich hinweisen. Nach jedem Ver¬
sicherungsfall, auch wenn kein Schadenersatz beansprucht wird, sind beide Teile
berechtigt, jeden zwischen ihnen bestehenden Feuerversicherungsvertrag zu kündigen.

Die wertvollen Funktionen der Lebensversicherung sind im allgemeinen
weniger bekannt, als man annehmen sollte. Die Rechtswissenschaft hat sich
lange dagegen gesträubt, die Lebensversicherung als eine wirkliche Verstchernng
anzuerkennen. Der tiefgreifende Unterschied springt ja anch in die Augen: bei
den andern Versicherungszweigen erwächst der Anspruch auf die Versicherungs¬
summe nur ganz ausnahmsweise; Hunderte müssen die Prämie umsonst zahlen,
damit der eine, den dann schließlich der Schade trifft, schadlos gestellt werden
kann. Bei den maßgebenden Hauptformen der Lebensversicherung dagegen*)
trifft den Verhinderer eine unbedingte Leistungspflicht; hier erhält jeder Ver¬
sicherungsnehmer früher oder später die vereinbarte Summe, wenn er nicht
vorzeitig die Prämienzahlung einstellt.

Hiermit hängt in gewisser Weise zusammen, daß die Lebensversicherung
weit weniger ängstlich und rigoros als die sonstigen Versicherungszweige mit
Vorsichtsmaßregeln und Verwirkungsklauseln zu arbeiten braucht; wir finden
auch hier die Anzeigepflicht bei Abschluß des Vertrages mit ihren gesetzlichen
Folgen des Rücktritts und der Leistuugsfreiheit infolge einer Verletzung, die
Gefahrerhöhung und gewisse Ausschlußklauseln, alles aber abgeschwächt und
gemildert; namentlich hat die Lebensversicherung schon früher die Unverfallbarkeit
der Police ausgebildet, d. h. es werden Verletzungen der Anzeigepflicht beim
Vertragschluß bedeutungslos, wenn seit Schließung, Abänderung oder Wieder¬
inkraftsetzung der Versicherung drei Jahre verflossen sind; einige Gesellschaften
gewähren die Unverfallbarkeit schon nach einem Jahre; das Versicherungs-



*) Die Formen, bei denen dies nicht zutrifft, nämlich die kurzzeitigen, sogeunmiteu
Risiko-Lebensversicherungen und die Rentenversicherungen, können hier beiseite gelassen werden.
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ist, begründet keinen Beweis dafür, daß tatsächlich so viel Sachen vorhanden
gewesen sind und daß der Wert der vorhandenen Sachen so hoch gewesen ist,
wie die Versicherungssumme ergibt. Die Versicherungssumme ist nur die Höchst¬
grenze der Entschädigung — mehr wird auf keinen Fall vergütet. Bei Haushalts¬
gegenständen und dergleichen wird der Entschädigung der Betrag zugrunde
gelegt, der erforderlich ist, Sachen gleicher Art anzuschaffen, aber unter billiger
Berücksichtigung des aus dein Unterschiede zwischen alt und neu sich ergebenden
Minderwerts. Die Entschädigung wird nach Ablauf eines Monats seit der
Anzeige des Versicherungsfalls mit 4 Prozent verzinst und der Versicherungs¬
nehmer kann nach Ablauf dieses Monats unter allen Umständen Zahlung des
Betrages verlangen, den der Verhinderer nach Lage der Sache mindestens zu
zahlen hat, auch wenn die eigentliche Schadenregulieruug daun etwa noch uicht
ganz beendet ist und noch Streitpunkte offen stehen. Lehnt die Gesellschaft die
Entschädigung ab, so muß binnen sechs Monaten nach der schriftlichen Ablehnung
Klage erhoben werden; jedoch muß die Gesellschaft den Versicherungsnehmer
bei der Ablehnung auf diese Frist ausdrücklich hinweisen. Nach jedem Ver¬
sicherungsfall, auch wenn kein Schadenersatz beansprucht wird, sind beide Teile
berechtigt, jeden zwischen ihnen bestehenden Feuerversicherungsvertrag zu kündigen.

Die wertvollen Funktionen der Lebensversicherung sind im allgemeinen
weniger bekannt, als man annehmen sollte. Die Rechtswissenschaft hat sich
lange dagegen gesträubt, die Lebensversicherung als eine wirkliche Verstchernng
anzuerkennen. Der tiefgreifende Unterschied springt ja anch in die Augen: bei
den andern Versicherungszweigen erwächst der Anspruch auf die Versicherungs¬
summe nur ganz ausnahmsweise; Hunderte müssen die Prämie umsonst zahlen,
damit der eine, den dann schließlich der Schade trifft, schadlos gestellt werden
kann. Bei den maßgebenden Hauptformen der Lebensversicherung dagegen*)
trifft den Verhinderer eine unbedingte Leistungspflicht; hier erhält jeder Ver¬
sicherungsnehmer früher oder später die vereinbarte Summe, wenn er nicht
vorzeitig die Prämienzahlung einstellt.

Hiermit hängt in gewisser Weise zusammen, daß die Lebensversicherung
weit weniger ängstlich und rigoros als die sonstigen Versicherungszweige mit
Vorsichtsmaßregeln und Verwirkungsklauseln zu arbeiten braucht; wir finden
auch hier die Anzeigepflicht bei Abschluß des Vertrages mit ihren gesetzlichen
Folgen des Rücktritts und der Leistuugsfreiheit infolge einer Verletzung, die
Gefahrerhöhung und gewisse Ausschlußklauseln, alles aber abgeschwächt und
gemildert; namentlich hat die Lebensversicherung schon früher die Unverfallbarkeit
der Police ausgebildet, d. h. es werden Verletzungen der Anzeigepflicht beim
Vertragschluß bedeutungslos, wenn seit Schließung, Abänderung oder Wieder¬
inkraftsetzung der Versicherung drei Jahre verflossen sind; einige Gesellschaften
gewähren die Unverfallbarkeit schon nach einem Jahre; das Versicherungs-



*) Die Formen, bei denen dies nicht zutrifft, nämlich die kurzzeitigen, sogeunmiteu
Risiko-Lebensversicherungen und die Rentenversicherungen, können hier beiseite gelassen werden.
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[0344] Das neue verflchcrungsrccht ist, begründet keinen Beweis dafür, daß tatsächlich so viel Sachen vorhanden gewesen sind und daß der Wert der vorhandenen Sachen so hoch gewesen ist, wie die Versicherungssumme ergibt. Die Versicherungssumme ist nur die Höchst¬ grenze der Entschädigung — mehr wird auf keinen Fall vergütet. Bei Haushalts¬ gegenständen und dergleichen wird der Entschädigung der Betrag zugrunde gelegt, der erforderlich ist, Sachen gleicher Art anzuschaffen, aber unter billiger Berücksichtigung des aus dein Unterschiede zwischen alt und neu sich ergebenden Minderwerts. Die Entschädigung wird nach Ablauf eines Monats seit der Anzeige des Versicherungsfalls mit 4 Prozent verzinst und der Versicherungs¬ nehmer kann nach Ablauf dieses Monats unter allen Umständen Zahlung des Betrages verlangen, den der Verhinderer nach Lage der Sache mindestens zu zahlen hat, auch wenn die eigentliche Schadenregulieruug daun etwa noch uicht ganz beendet ist und noch Streitpunkte offen stehen. Lehnt die Gesellschaft die Entschädigung ab, so muß binnen sechs Monaten nach der schriftlichen Ablehnung Klage erhoben werden; jedoch muß die Gesellschaft den Versicherungsnehmer bei der Ablehnung auf diese Frist ausdrücklich hinweisen. Nach jedem Ver¬ sicherungsfall, auch wenn kein Schadenersatz beansprucht wird, sind beide Teile berechtigt, jeden zwischen ihnen bestehenden Feuerversicherungsvertrag zu kündigen. Die wertvollen Funktionen der Lebensversicherung sind im allgemeinen weniger bekannt, als man annehmen sollte. Die Rechtswissenschaft hat sich lange dagegen gesträubt, die Lebensversicherung als eine wirkliche Verstchernng anzuerkennen. Der tiefgreifende Unterschied springt ja anch in die Augen: bei den andern Versicherungszweigen erwächst der Anspruch auf die Versicherungs¬ summe nur ganz ausnahmsweise; Hunderte müssen die Prämie umsonst zahlen, damit der eine, den dann schließlich der Schade trifft, schadlos gestellt werden kann. Bei den maßgebenden Hauptformen der Lebensversicherung dagegen*) trifft den Verhinderer eine unbedingte Leistungspflicht; hier erhält jeder Ver¬ sicherungsnehmer früher oder später die vereinbarte Summe, wenn er nicht vorzeitig die Prämienzahlung einstellt. Hiermit hängt in gewisser Weise zusammen, daß die Lebensversicherung weit weniger ängstlich und rigoros als die sonstigen Versicherungszweige mit Vorsichtsmaßregeln und Verwirkungsklauseln zu arbeiten braucht; wir finden auch hier die Anzeigepflicht bei Abschluß des Vertrages mit ihren gesetzlichen Folgen des Rücktritts und der Leistuugsfreiheit infolge einer Verletzung, die Gefahrerhöhung und gewisse Ausschlußklauseln, alles aber abgeschwächt und gemildert; namentlich hat die Lebensversicherung schon früher die Unverfallbarkeit der Police ausgebildet, d. h. es werden Verletzungen der Anzeigepflicht beim Vertragschluß bedeutungslos, wenn seit Schließung, Abänderung oder Wieder¬ inkraftsetzung der Versicherung drei Jahre verflossen sind; einige Gesellschaften gewähren die Unverfallbarkeit schon nach einem Jahre; das Versicherungs- *) Die Formen, bei denen dies nicht zutrifft, nämlich die kurzzeitigen, sogeunmiteu Risiko-Lebensversicherungen und die Rentenversicherungen, können hier beiseite gelassen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/344>, abgerufen am 22.07.2024.