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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue versicherungsrecht

sind, hat zu einer gewissen Abschwächung im Versicherungsvertragsgesetz geführt;
der Grundsatz der Anspruchsverwirkung bei Verletzungen der Anzeigepflicht ist
aber bestehen geblieben und mußte als Grundlage eines ordnungsmäßigen
Betriebes bestehen bleiben. Andern sich die Verhältnisse gegenüber dem Zustande
beim Vertragsschluß, so ist dies unter Umständen eine Gefahrerhöhung, infolge
deren der Verhinderer gleichfalls zurücktreten oder die Zahlung der Entschädigung
verweigern darf.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis aus der Mitwirkung
der Agenten. Die Versicherung kann nach aller Erfahrung der Mitwirkung
dieser Agenten nicht entbehren; ein bekanntes Scherzwort sagt, daß die Ent¬
wicklung der Versicherung den Beinen der Agenten weit mehr verdanke als den
Köpfen der Gelehrten. Nun tritt der Agent den: Versicherungsnehmer, namentlich
dem einfachern Versicherungsnehmer gegenüber als der Sachverständige, als der
Vertrauensmann der Versicherungsgesellschaft, auf dessen Angaben, Erläuterungen
und Erklärungen der Versicherungsnehmer sich verlassen zu können glaubt.
Anderseits sind aber die Versicherungsgesellschaften weit davon entfernt, alles
das gelten lassen zu wollen oder zu können, was ein Agent, vielleicht gegen
seine Instruktion und gegen den klaren Inhalt der Bedingungen, gesagt hat,
um einen Versicherungsantrag zu bekommen. Die Entscheidung dieses zweifel¬
losen Konflikts der verschiedenen Interessen ist nicht immer ganz einsach zu
treffen. Auch das Versicherungsvertragsgesetz hat hieran im Grunde nichts
geändert; es hat insofern eine feste und zwingende Grundlage geschaffen, als
es Verstöße des Versicherungsuehmers gegen die Anzeigepflicht dann für
bedeutungslos erklärt, wenn dem Versicherungsnehmer dabei kein Verschulden
zur Last fällt, wenn er schuldlos gehandelt hat. Bei dieser Prüfung des Ver¬
schuldens wird auch die Mitwirkung und eventuelle Verleitung oder gar Täuschung
durch den Agenten eine wichtige Rolle spielen.

Ähnlich verhält es sich mit den Obliegenheiten, die dem Versicherungs¬
nehmer zwecks möglichster Vermeidung des Versicherungsfalls auferlegt werden.
Wer eine Versicherung genommen hat, darf nicht etwa die Hände in den Schoß
legen und in den: beruhigenden Gefühl, daß er ja unter allen Umständen seiner
Entschädigung sicher sei, die Dinge ihren Lauf gehen lassen; vielmehr muß er
sich als Associe des Versicherers betrachten und, wie man es mit einer ein¬
leuchtenden Formel ausgedrückt hat, sich in allem, was die Abwendung oder
Vermeidung des Versicherungsfalls betrifft, so betragen, als ob er unverhindert
wäre. Wer durch grobe Fahrlässigkeit oder gar durch Vorsatz den Versicherungsfall,
also den Brandschäden, den Unfall, den Einbruchdiebstahl selbst herbeiführt,
erhält durchweg keine Entschädigung. In dieser Beziehung übernimmt die
Versicherung nun noch eine besondere vorbeugende Funktion. Infolge ihrer
steten Beschäftigung mit Unglücksfällen einer bestimmten Art erwerben die Organe
der Versicherung eine besonders hervorragende Sachkunde in Ansehung der Ver¬
meidung derartiger Unfälle und der Unschädlichmachung ihrer Folgen; sie können


Das neue versicherungsrecht

sind, hat zu einer gewissen Abschwächung im Versicherungsvertragsgesetz geführt;
der Grundsatz der Anspruchsverwirkung bei Verletzungen der Anzeigepflicht ist
aber bestehen geblieben und mußte als Grundlage eines ordnungsmäßigen
Betriebes bestehen bleiben. Andern sich die Verhältnisse gegenüber dem Zustande
beim Vertragsschluß, so ist dies unter Umständen eine Gefahrerhöhung, infolge
deren der Verhinderer gleichfalls zurücktreten oder die Zahlung der Entschädigung
verweigern darf.

Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis aus der Mitwirkung
der Agenten. Die Versicherung kann nach aller Erfahrung der Mitwirkung
dieser Agenten nicht entbehren; ein bekanntes Scherzwort sagt, daß die Ent¬
wicklung der Versicherung den Beinen der Agenten weit mehr verdanke als den
Köpfen der Gelehrten. Nun tritt der Agent den: Versicherungsnehmer, namentlich
dem einfachern Versicherungsnehmer gegenüber als der Sachverständige, als der
Vertrauensmann der Versicherungsgesellschaft, auf dessen Angaben, Erläuterungen
und Erklärungen der Versicherungsnehmer sich verlassen zu können glaubt.
Anderseits sind aber die Versicherungsgesellschaften weit davon entfernt, alles
das gelten lassen zu wollen oder zu können, was ein Agent, vielleicht gegen
seine Instruktion und gegen den klaren Inhalt der Bedingungen, gesagt hat,
um einen Versicherungsantrag zu bekommen. Die Entscheidung dieses zweifel¬
losen Konflikts der verschiedenen Interessen ist nicht immer ganz einsach zu
treffen. Auch das Versicherungsvertragsgesetz hat hieran im Grunde nichts
geändert; es hat insofern eine feste und zwingende Grundlage geschaffen, als
es Verstöße des Versicherungsuehmers gegen die Anzeigepflicht dann für
bedeutungslos erklärt, wenn dem Versicherungsnehmer dabei kein Verschulden
zur Last fällt, wenn er schuldlos gehandelt hat. Bei dieser Prüfung des Ver¬
schuldens wird auch die Mitwirkung und eventuelle Verleitung oder gar Täuschung
durch den Agenten eine wichtige Rolle spielen.

Ähnlich verhält es sich mit den Obliegenheiten, die dem Versicherungs¬
nehmer zwecks möglichster Vermeidung des Versicherungsfalls auferlegt werden.
Wer eine Versicherung genommen hat, darf nicht etwa die Hände in den Schoß
legen und in den: beruhigenden Gefühl, daß er ja unter allen Umständen seiner
Entschädigung sicher sei, die Dinge ihren Lauf gehen lassen; vielmehr muß er
sich als Associe des Versicherers betrachten und, wie man es mit einer ein¬
leuchtenden Formel ausgedrückt hat, sich in allem, was die Abwendung oder
Vermeidung des Versicherungsfalls betrifft, so betragen, als ob er unverhindert
wäre. Wer durch grobe Fahrlässigkeit oder gar durch Vorsatz den Versicherungsfall,
also den Brandschäden, den Unfall, den Einbruchdiebstahl selbst herbeiführt,
erhält durchweg keine Entschädigung. In dieser Beziehung übernimmt die
Versicherung nun noch eine besondere vorbeugende Funktion. Infolge ihrer
steten Beschäftigung mit Unglücksfällen einer bestimmten Art erwerben die Organe
der Versicherung eine besonders hervorragende Sachkunde in Ansehung der Ver¬
meidung derartiger Unfälle und der Unschädlichmachung ihrer Folgen; sie können


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[0339] Das neue versicherungsrecht sind, hat zu einer gewissen Abschwächung im Versicherungsvertragsgesetz geführt; der Grundsatz der Anspruchsverwirkung bei Verletzungen der Anzeigepflicht ist aber bestehen geblieben und mußte als Grundlage eines ordnungsmäßigen Betriebes bestehen bleiben. Andern sich die Verhältnisse gegenüber dem Zustande beim Vertragsschluß, so ist dies unter Umständen eine Gefahrerhöhung, infolge deren der Verhinderer gleichfalls zurücktreten oder die Zahlung der Entschädigung verweigern darf. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis aus der Mitwirkung der Agenten. Die Versicherung kann nach aller Erfahrung der Mitwirkung dieser Agenten nicht entbehren; ein bekanntes Scherzwort sagt, daß die Ent¬ wicklung der Versicherung den Beinen der Agenten weit mehr verdanke als den Köpfen der Gelehrten. Nun tritt der Agent den: Versicherungsnehmer, namentlich dem einfachern Versicherungsnehmer gegenüber als der Sachverständige, als der Vertrauensmann der Versicherungsgesellschaft, auf dessen Angaben, Erläuterungen und Erklärungen der Versicherungsnehmer sich verlassen zu können glaubt. Anderseits sind aber die Versicherungsgesellschaften weit davon entfernt, alles das gelten lassen zu wollen oder zu können, was ein Agent, vielleicht gegen seine Instruktion und gegen den klaren Inhalt der Bedingungen, gesagt hat, um einen Versicherungsantrag zu bekommen. Die Entscheidung dieses zweifel¬ losen Konflikts der verschiedenen Interessen ist nicht immer ganz einsach zu treffen. Auch das Versicherungsvertragsgesetz hat hieran im Grunde nichts geändert; es hat insofern eine feste und zwingende Grundlage geschaffen, als es Verstöße des Versicherungsuehmers gegen die Anzeigepflicht dann für bedeutungslos erklärt, wenn dem Versicherungsnehmer dabei kein Verschulden zur Last fällt, wenn er schuldlos gehandelt hat. Bei dieser Prüfung des Ver¬ schuldens wird auch die Mitwirkung und eventuelle Verleitung oder gar Täuschung durch den Agenten eine wichtige Rolle spielen. Ähnlich verhält es sich mit den Obliegenheiten, die dem Versicherungs¬ nehmer zwecks möglichster Vermeidung des Versicherungsfalls auferlegt werden. Wer eine Versicherung genommen hat, darf nicht etwa die Hände in den Schoß legen und in den: beruhigenden Gefühl, daß er ja unter allen Umständen seiner Entschädigung sicher sei, die Dinge ihren Lauf gehen lassen; vielmehr muß er sich als Associe des Versicherers betrachten und, wie man es mit einer ein¬ leuchtenden Formel ausgedrückt hat, sich in allem, was die Abwendung oder Vermeidung des Versicherungsfalls betrifft, so betragen, als ob er unverhindert wäre. Wer durch grobe Fahrlässigkeit oder gar durch Vorsatz den Versicherungsfall, also den Brandschäden, den Unfall, den Einbruchdiebstahl selbst herbeiführt, erhält durchweg keine Entschädigung. In dieser Beziehung übernimmt die Versicherung nun noch eine besondere vorbeugende Funktion. Infolge ihrer steten Beschäftigung mit Unglücksfällen einer bestimmten Art erwerben die Organe der Versicherung eine besonders hervorragende Sachkunde in Ansehung der Ver¬ meidung derartiger Unfälle und der Unschädlichmachung ihrer Folgen; sie können

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/339>, abgerufen am 03.07.2024.