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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue versichcrungsrccht

also dem Versicherten von vornherein angeben, beratend oder vorschreibend, wie
er sich verhalten muß oder welche Mittel er anwenden kann, um einen Unglücksfall
überhaupt nicht eintreten zu lassen. Besonders wichtig ist diese Funktion in
der öffentlichen Arbeiterversicherung, namentlich in der Arbeiternnfallversicherung,
wo die Unfallverhütungsvorschriften einen breiten Raum einnehmen. Ähnliches
gilt aber auch überall in der privaten Versicherung. Es werden hier im Ver¬
trage bestimmte Obliegenheiten festgelegt, die der Versicherungsnehmer zu
beobachten hat, z. B. bei der Feuerversicherung gewerblicher Anlagen die Ver¬
wendung bestimmter Feuerschutzmaßregeln und vor allem bei der Einbruch-
diebstahlversicherung: besonders sorgsame Aufbewahrung von Geld oder Kostbar¬
keiten, besondere Sicherung des Außenverschlusses u. tgi. Das Versicherungs¬
vertragsgesetz hat es den Gesellschaften freigestellt, in ihren Allgemeinen Ver¬
sicherungsbedingungen oder im einzelnen Falle derartige Obliegenheiten vor¬
zuschreiben und an ihre Verletzung den Verfall der Entschädigung zu knüpfen;
nur muß auch hier wieder dem Versicherungsnehmer der Nachweis seiner Schuld-
losigkeit vorbehalten bleiben und ebenso bleibt der Entschädigungsanspruch
bestehen, wenn die Verletzung der Obliegenheit nachweislich ohne Einfluß auf
den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Entschädigungs¬
pflicht gewesen ist, z. B. wenn die Eingangstür aus Versehen unverschlossen
geblieben ist, die Diebe dies aber nicht gemerkt haben und zum Fenster ein¬
gestiegen sind. In diesem Rahmen haben denn auch die Versicherungs¬
bedingungen von der im Gesetz ihnen gelassenen Freiheit ausgiebig Gebrauch
gemacht.

Eigenartig ist dies bei der Haftpflichtversicherung gestaltet, die ihre Ver¬
sicherten schadlos hält, wenn sie ihrerseits einen Schaden angerichtet haben und
nun dafür von dem Beschädigtem verantwortlich gemacht werden. Hier über¬
nimmt die Versicherungsgesellschaft namentlich auch die Prozeßführung; sie sorgt
also dafür, daß die Ansprüche des dritten Geschädigten nur insoweit gerichtlich
anerkannt werden, als sie wirklich gerechtfertigt sind. Dem Versicherten wird
dabei die freie Verfügung über deu Prozeß abgeschnitten; er darf den Anspruch
nur insoweit anerkennen, als die Versicherungsgesellschaft damit einverstanden
ist. Diese Rechtsschutzfunktion wiegt bei der Haftpflichtversicherung so vor, daß
man darin bereits ihr eigentliches Wesen hat sehen wollen.

Eine Lebensfrage für einen geordneten Versicherungsbetrieb ist anch der
pünktliche Eingang der Prämien. Die bisherige Regelung hatte hier vielfach
in streng formalistischer Weise jede Versäumung eines Prämienzahlungstermins
ohne weiteres mit einem Ruhen der Entschädigungspflicht, zum Teil mit einen:
automatischen Verfall der Versicherung bestraft. Dies hat schon das Ver¬
sicherungsvertragsgesetz in zwingender Form beseitigt; es verlangt ausdrückliche
Mahnung, Bestimmung einer Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen und
Androhung der Rechtsfolgen weiterer Zahlungssäumnis; erst wenn alles dies
vergeblich geblieben ist, tritt das Recht der Gesellschaft ein, vom Vertrage zurück-


Das neue versichcrungsrccht

also dem Versicherten von vornherein angeben, beratend oder vorschreibend, wie
er sich verhalten muß oder welche Mittel er anwenden kann, um einen Unglücksfall
überhaupt nicht eintreten zu lassen. Besonders wichtig ist diese Funktion in
der öffentlichen Arbeiterversicherung, namentlich in der Arbeiternnfallversicherung,
wo die Unfallverhütungsvorschriften einen breiten Raum einnehmen. Ähnliches
gilt aber auch überall in der privaten Versicherung. Es werden hier im Ver¬
trage bestimmte Obliegenheiten festgelegt, die der Versicherungsnehmer zu
beobachten hat, z. B. bei der Feuerversicherung gewerblicher Anlagen die Ver¬
wendung bestimmter Feuerschutzmaßregeln und vor allem bei der Einbruch-
diebstahlversicherung: besonders sorgsame Aufbewahrung von Geld oder Kostbar¬
keiten, besondere Sicherung des Außenverschlusses u. tgi. Das Versicherungs¬
vertragsgesetz hat es den Gesellschaften freigestellt, in ihren Allgemeinen Ver¬
sicherungsbedingungen oder im einzelnen Falle derartige Obliegenheiten vor¬
zuschreiben und an ihre Verletzung den Verfall der Entschädigung zu knüpfen;
nur muß auch hier wieder dem Versicherungsnehmer der Nachweis seiner Schuld-
losigkeit vorbehalten bleiben und ebenso bleibt der Entschädigungsanspruch
bestehen, wenn die Verletzung der Obliegenheit nachweislich ohne Einfluß auf
den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Entschädigungs¬
pflicht gewesen ist, z. B. wenn die Eingangstür aus Versehen unverschlossen
geblieben ist, die Diebe dies aber nicht gemerkt haben und zum Fenster ein¬
gestiegen sind. In diesem Rahmen haben denn auch die Versicherungs¬
bedingungen von der im Gesetz ihnen gelassenen Freiheit ausgiebig Gebrauch
gemacht.

Eigenartig ist dies bei der Haftpflichtversicherung gestaltet, die ihre Ver¬
sicherten schadlos hält, wenn sie ihrerseits einen Schaden angerichtet haben und
nun dafür von dem Beschädigtem verantwortlich gemacht werden. Hier über¬
nimmt die Versicherungsgesellschaft namentlich auch die Prozeßführung; sie sorgt
also dafür, daß die Ansprüche des dritten Geschädigten nur insoweit gerichtlich
anerkannt werden, als sie wirklich gerechtfertigt sind. Dem Versicherten wird
dabei die freie Verfügung über deu Prozeß abgeschnitten; er darf den Anspruch
nur insoweit anerkennen, als die Versicherungsgesellschaft damit einverstanden
ist. Diese Rechtsschutzfunktion wiegt bei der Haftpflichtversicherung so vor, daß
man darin bereits ihr eigentliches Wesen hat sehen wollen.

Eine Lebensfrage für einen geordneten Versicherungsbetrieb ist anch der
pünktliche Eingang der Prämien. Die bisherige Regelung hatte hier vielfach
in streng formalistischer Weise jede Versäumung eines Prämienzahlungstermins
ohne weiteres mit einem Ruhen der Entschädigungspflicht, zum Teil mit einen:
automatischen Verfall der Versicherung bestraft. Dies hat schon das Ver¬
sicherungsvertragsgesetz in zwingender Form beseitigt; es verlangt ausdrückliche
Mahnung, Bestimmung einer Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen und
Androhung der Rechtsfolgen weiterer Zahlungssäumnis; erst wenn alles dies
vergeblich geblieben ist, tritt das Recht der Gesellschaft ein, vom Vertrage zurück-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/340>, abgerufen am 01.07.2024.