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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue versichermigsrecht

Versicherung ausgebildet, die auf Grund ihrer langjährigen Sterblichkeitsunter¬
suchungen die Prämie fast mit mathematischer Genauigkeit ausrechnen kann;
ähnliches gilt aber auch bei allen andern Versicherungsarten. Der geringste
Rechenfehler, der hierbei begangen wird, kann sich noch nach Jahrzehnten für
den Bestand der Gesellschaft verhängnisvoll erweisen. Es liegt auf der Hand,
daß ein Verhinderer, der über die vertragsmäßigen Grenzen seiner Entschüdigungs-
pslicht hinausgehen will, dies nur kann, wenn er gleichzeitig die Prämie erhöht.
Hieraus ergibt sich einerseits die Notwendigkeit, den vertragsmäßigen Ent¬
schädigungsfall, das Risiko, wie man es technisch nennt, genau festzulegen,
anderseits aber auch, diese vertragsmäßigen Grenzen genau innezuhalten.
Eines der besten Beispiele hierfür ist die Unfallversicherung, die in neuerer Zeit
so stark in Aufnahme gekommen ist. Eine Unfallversicherung vereinigt in sich
eine ganze Reihe von Versicherungen: einmal eine Lebensversicherung, wenn
der Verunglückte stirbt; eine Krankenversicherung, insofern sie die Kurkosten trägt,
und endlich eine Jnvaliditätsversicherung, die für den Fall des Eintritts der
Arbeitsunfähigkeit eine lebenslängliche Rente zahlt. Diese Leistungen werden
gewährt für eine verhältnismäßig außerordentlich geringe Prämie, von deren
Beibehaltung die Verbreitung der Unfallversicherung wesentlich abhängt. Möglich
ist dies nur, wenn der Entschädigungsfall, also der Begriff des entschädigungs-
pflichtigen Unfalls, aufs engste abgegrenzt wird, und wir finden deshalb sowohl
in den alten als in den neuen Bedingungen Vorschriften von minutiöser, zum Teil
übertrieben kleinlicher Genauigkeit, bei welchen Unglücksfällen Entschädigung
gewährt wird und bei welchen nicht. In: Publikum findet dies vielfach geringes
Verständnis; bekannt ist die Schnurre, daß ein Vater von seiner Unfall¬
versicherungsgesellschaft deshalb Entschädigung haben wollte, weil seine Tochter
ein Kind bekommen hatte, was er gleichfalls für einen Unfall taxierte.

Bei den meisten Versicherungszweigen ist der Verhinderer in: Hinblick auf
diese Bemessung des Risikos in einer ungünstigen Lage, weil er die Verhältnisse
des Versicherungsnehmers nicht so genau kennt wie dieser selbst. Er ist deshalb
darauf angewiesen, sich beim Vertragsschluß vom Versicherungsnehmer genaue
Auskunft über alle in Betracht kommenden Verhältnisse erteilen zu lassen; so
erklären sich die mehr oder weniger ausführlichen Fragebogen, die bei jedem
Versicherungsantrag ausgefüllt werden müssen, also bei einer Feuerversicherung
über die Lage und Bauart des Hauses, über die Nachbarschaft besonders feuer¬
gefährlicher Betriebe und dergleichen, was in kleinen Städten und auf dem
Lande eine größere Rolle spielt als hier in Berlin; bei der Lebensversicherung
und Unfallversicherung die Fragen nach dem Gesundheitszustande, nach den
Krankheiten, die der Antragsteller in seinem Leben schon durchgemacht hat, nach
den Todesursachen der Eltern, um daraus Anhaltspunkte für eine etwaige
Krankheitsvererbung zu gewinnen und anderes. Falsche und unvollständige
Angaben des Versicherungsnehmers führen zur Verwirrung der Entschädigung;
die Strenge, mit der die Versicherungsgesellschaften hierbei früher vorgegangen


Das neue versichermigsrecht

Versicherung ausgebildet, die auf Grund ihrer langjährigen Sterblichkeitsunter¬
suchungen die Prämie fast mit mathematischer Genauigkeit ausrechnen kann;
ähnliches gilt aber auch bei allen andern Versicherungsarten. Der geringste
Rechenfehler, der hierbei begangen wird, kann sich noch nach Jahrzehnten für
den Bestand der Gesellschaft verhängnisvoll erweisen. Es liegt auf der Hand,
daß ein Verhinderer, der über die vertragsmäßigen Grenzen seiner Entschüdigungs-
pslicht hinausgehen will, dies nur kann, wenn er gleichzeitig die Prämie erhöht.
Hieraus ergibt sich einerseits die Notwendigkeit, den vertragsmäßigen Ent¬
schädigungsfall, das Risiko, wie man es technisch nennt, genau festzulegen,
anderseits aber auch, diese vertragsmäßigen Grenzen genau innezuhalten.
Eines der besten Beispiele hierfür ist die Unfallversicherung, die in neuerer Zeit
so stark in Aufnahme gekommen ist. Eine Unfallversicherung vereinigt in sich
eine ganze Reihe von Versicherungen: einmal eine Lebensversicherung, wenn
der Verunglückte stirbt; eine Krankenversicherung, insofern sie die Kurkosten trägt,
und endlich eine Jnvaliditätsversicherung, die für den Fall des Eintritts der
Arbeitsunfähigkeit eine lebenslängliche Rente zahlt. Diese Leistungen werden
gewährt für eine verhältnismäßig außerordentlich geringe Prämie, von deren
Beibehaltung die Verbreitung der Unfallversicherung wesentlich abhängt. Möglich
ist dies nur, wenn der Entschädigungsfall, also der Begriff des entschädigungs-
pflichtigen Unfalls, aufs engste abgegrenzt wird, und wir finden deshalb sowohl
in den alten als in den neuen Bedingungen Vorschriften von minutiöser, zum Teil
übertrieben kleinlicher Genauigkeit, bei welchen Unglücksfällen Entschädigung
gewährt wird und bei welchen nicht. In: Publikum findet dies vielfach geringes
Verständnis; bekannt ist die Schnurre, daß ein Vater von seiner Unfall¬
versicherungsgesellschaft deshalb Entschädigung haben wollte, weil seine Tochter
ein Kind bekommen hatte, was er gleichfalls für einen Unfall taxierte.

Bei den meisten Versicherungszweigen ist der Verhinderer in: Hinblick auf
diese Bemessung des Risikos in einer ungünstigen Lage, weil er die Verhältnisse
des Versicherungsnehmers nicht so genau kennt wie dieser selbst. Er ist deshalb
darauf angewiesen, sich beim Vertragsschluß vom Versicherungsnehmer genaue
Auskunft über alle in Betracht kommenden Verhältnisse erteilen zu lassen; so
erklären sich die mehr oder weniger ausführlichen Fragebogen, die bei jedem
Versicherungsantrag ausgefüllt werden müssen, also bei einer Feuerversicherung
über die Lage und Bauart des Hauses, über die Nachbarschaft besonders feuer¬
gefährlicher Betriebe und dergleichen, was in kleinen Städten und auf dem
Lande eine größere Rolle spielt als hier in Berlin; bei der Lebensversicherung
und Unfallversicherung die Fragen nach dem Gesundheitszustande, nach den
Krankheiten, die der Antragsteller in seinem Leben schon durchgemacht hat, nach
den Todesursachen der Eltern, um daraus Anhaltspunkte für eine etwaige
Krankheitsvererbung zu gewinnen und anderes. Falsche und unvollständige
Angaben des Versicherungsnehmers führen zur Verwirrung der Entschädigung;
die Strenge, mit der die Versicherungsgesellschaften hierbei früher vorgegangen


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[0338] Das neue versichermigsrecht Versicherung ausgebildet, die auf Grund ihrer langjährigen Sterblichkeitsunter¬ suchungen die Prämie fast mit mathematischer Genauigkeit ausrechnen kann; ähnliches gilt aber auch bei allen andern Versicherungsarten. Der geringste Rechenfehler, der hierbei begangen wird, kann sich noch nach Jahrzehnten für den Bestand der Gesellschaft verhängnisvoll erweisen. Es liegt auf der Hand, daß ein Verhinderer, der über die vertragsmäßigen Grenzen seiner Entschüdigungs- pslicht hinausgehen will, dies nur kann, wenn er gleichzeitig die Prämie erhöht. Hieraus ergibt sich einerseits die Notwendigkeit, den vertragsmäßigen Ent¬ schädigungsfall, das Risiko, wie man es technisch nennt, genau festzulegen, anderseits aber auch, diese vertragsmäßigen Grenzen genau innezuhalten. Eines der besten Beispiele hierfür ist die Unfallversicherung, die in neuerer Zeit so stark in Aufnahme gekommen ist. Eine Unfallversicherung vereinigt in sich eine ganze Reihe von Versicherungen: einmal eine Lebensversicherung, wenn der Verunglückte stirbt; eine Krankenversicherung, insofern sie die Kurkosten trägt, und endlich eine Jnvaliditätsversicherung, die für den Fall des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit eine lebenslängliche Rente zahlt. Diese Leistungen werden gewährt für eine verhältnismäßig außerordentlich geringe Prämie, von deren Beibehaltung die Verbreitung der Unfallversicherung wesentlich abhängt. Möglich ist dies nur, wenn der Entschädigungsfall, also der Begriff des entschädigungs- pflichtigen Unfalls, aufs engste abgegrenzt wird, und wir finden deshalb sowohl in den alten als in den neuen Bedingungen Vorschriften von minutiöser, zum Teil übertrieben kleinlicher Genauigkeit, bei welchen Unglücksfällen Entschädigung gewährt wird und bei welchen nicht. In: Publikum findet dies vielfach geringes Verständnis; bekannt ist die Schnurre, daß ein Vater von seiner Unfall¬ versicherungsgesellschaft deshalb Entschädigung haben wollte, weil seine Tochter ein Kind bekommen hatte, was er gleichfalls für einen Unfall taxierte. Bei den meisten Versicherungszweigen ist der Verhinderer in: Hinblick auf diese Bemessung des Risikos in einer ungünstigen Lage, weil er die Verhältnisse des Versicherungsnehmers nicht so genau kennt wie dieser selbst. Er ist deshalb darauf angewiesen, sich beim Vertragsschluß vom Versicherungsnehmer genaue Auskunft über alle in Betracht kommenden Verhältnisse erteilen zu lassen; so erklären sich die mehr oder weniger ausführlichen Fragebogen, die bei jedem Versicherungsantrag ausgefüllt werden müssen, also bei einer Feuerversicherung über die Lage und Bauart des Hauses, über die Nachbarschaft besonders feuer¬ gefährlicher Betriebe und dergleichen, was in kleinen Städten und auf dem Lande eine größere Rolle spielt als hier in Berlin; bei der Lebensversicherung und Unfallversicherung die Fragen nach dem Gesundheitszustande, nach den Krankheiten, die der Antragsteller in seinem Leben schon durchgemacht hat, nach den Todesursachen der Eltern, um daraus Anhaltspunkte für eine etwaige Krankheitsvererbung zu gewinnen und anderes. Falsche und unvollständige Angaben des Versicherungsnehmers führen zur Verwirrung der Entschädigung; die Strenge, mit der die Versicherungsgesellschaften hierbei früher vorgegangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/338>, abgerufen am 22.07.2024.