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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolxen und die Reichsgräfin von Löset

Die vorsichtige Frau des Geistlichen schien es doch nicht für rätlich zu halten,
ihren Mann in der Nähe der berückenden Matrone zu wissen. Und so hintertrieb
sie die Übersiedlung. Die Gräfin aber setzte ihre talmudistischen Liebhabereien
fort. Sie feierte den Sabbat, verzichtete auf Schweinefleisch und sprach zuletzt
sogar Indisch-Deutsch. Im jüdischen Glauben soll sie gestorben sein.

Noch einmal schlugen die Wogen der Weltgeschichte bis an den Sitz der
vergessenen Frau. Zu Beginn des siebenjährigen Krieges besetzten preußische
Husaren die Festung. Dabei schoß ihr Führer auf den greisen Schloßkomman¬
danten von Liebenau, der ihm entgegengekommen war, um ihm die Schlüssel
auszuhändigen. So soll in Stolper der erste Schuß im siebenjährigen Kriege
gefallen sein. Vor ihrem Wegzuge begann die preußische Besatzung auf höhern
Befehl die Ruinierung der Feste. Sie schleppten die guten Geschütze mit fort und
stürzten die schlechten samt allen Vorräten an Gewehren, Geschossen und Pulver
in den tiefen Schloßbrunnen. 1883 hat man aus dieser merkwürdigen Rumpel¬
kammer uuter Schutt und Trümmern ein ganzes Arsenal von altem Kriegsgerät
hervorgeholt; es ist jetzt in verschiedenen Räumen der Ruine aufgestellt. Bald
nach dem Abzüge der Preußen sah die Gräfin von ihrem Turmstübchen aus
andere Bilder. Die siegreichen Regimenter Dauns lagerten längere Zeit auf
den Feldern am Fuße des Schlosses. Tausend preußische Kriegsgefangene wurden
auf der Burg eingepfercht. Da brannten in der kalten Herbstnacht fast hundert
Lagerfeuer in allen Höfen, alle Türen und Gitter der Schösserei wurden zu
Brennholz zerhackt, und Küche und Keller der Gräfin mußten sich trotz der
aufgestellten Posten gefallen lassen, von den hungernden Soldaten ausgeplündert
zu werden.

Und dann wurde es ganz still um sie. Die letzten Jahre ihres Lebens
verließ sie das runde Gemach im zweiten Stocke des Turmes fast nie mehr.
Eine Magd und ein Stübenheizer bildeten ihren ganzen Hausstand. Ihr
Aufenthalt wird von einem Augenzeugen wie folgt geschildert: "In dem kleinen
Wohnzimmer waren keine Tapeten, zwei alte sehr schadhafte Stühle und eben so
viele kleine hölzerne Tische, ein großes hölzernes Bett ohne Vorhänge und der
Gräfin eigener Stuhl, darauf sie zwischen zwei hölzernen Seitenlehnen ohne
Rückenstück auf zwei alten übereinander liegenden Federkissen, den Rücken allzeit
dem Ofen zukehrend, gesessen. Durch den vielen Rauch und Dampf einer
mitten im Zimmer an der Decke herabhängenden Lampe, welche vom Abend bis
zum hellen Morgen brennen mußte, war alles so schwarz geworden, daß man
den Zeiger einer an der Wand hängenden Schlaguhr nicht erkennen konnte."
Hier brütete sie dumpf vor sich hin, ost wie geistesabwesend, so daß man meinte,
ihr Gehirn sei zerrüttet. Aber bisweilen brach sie in leidenschaftliche Schmäh¬
reden aus, die zeigten, daß das Feuer ihrer unbesieglichen Natur doch nicht
ganz erloschen war. So verkam sie, eine der schönsten und geistvollsten Frauen
ihrer Zeit, die einen der glänzendsten Höfe Europas beherrscht hatte, zwischen
schmutzigem Gerümpel in Stumpfsinn und Verbitterung.


Schloß Stolxen und die Reichsgräfin von Löset

Die vorsichtige Frau des Geistlichen schien es doch nicht für rätlich zu halten,
ihren Mann in der Nähe der berückenden Matrone zu wissen. Und so hintertrieb
sie die Übersiedlung. Die Gräfin aber setzte ihre talmudistischen Liebhabereien
fort. Sie feierte den Sabbat, verzichtete auf Schweinefleisch und sprach zuletzt
sogar Indisch-Deutsch. Im jüdischen Glauben soll sie gestorben sein.

Noch einmal schlugen die Wogen der Weltgeschichte bis an den Sitz der
vergessenen Frau. Zu Beginn des siebenjährigen Krieges besetzten preußische
Husaren die Festung. Dabei schoß ihr Führer auf den greisen Schloßkomman¬
danten von Liebenau, der ihm entgegengekommen war, um ihm die Schlüssel
auszuhändigen. So soll in Stolper der erste Schuß im siebenjährigen Kriege
gefallen sein. Vor ihrem Wegzuge begann die preußische Besatzung auf höhern
Befehl die Ruinierung der Feste. Sie schleppten die guten Geschütze mit fort und
stürzten die schlechten samt allen Vorräten an Gewehren, Geschossen und Pulver
in den tiefen Schloßbrunnen. 1883 hat man aus dieser merkwürdigen Rumpel¬
kammer uuter Schutt und Trümmern ein ganzes Arsenal von altem Kriegsgerät
hervorgeholt; es ist jetzt in verschiedenen Räumen der Ruine aufgestellt. Bald
nach dem Abzüge der Preußen sah die Gräfin von ihrem Turmstübchen aus
andere Bilder. Die siegreichen Regimenter Dauns lagerten längere Zeit auf
den Feldern am Fuße des Schlosses. Tausend preußische Kriegsgefangene wurden
auf der Burg eingepfercht. Da brannten in der kalten Herbstnacht fast hundert
Lagerfeuer in allen Höfen, alle Türen und Gitter der Schösserei wurden zu
Brennholz zerhackt, und Küche und Keller der Gräfin mußten sich trotz der
aufgestellten Posten gefallen lassen, von den hungernden Soldaten ausgeplündert
zu werden.

Und dann wurde es ganz still um sie. Die letzten Jahre ihres Lebens
verließ sie das runde Gemach im zweiten Stocke des Turmes fast nie mehr.
Eine Magd und ein Stübenheizer bildeten ihren ganzen Hausstand. Ihr
Aufenthalt wird von einem Augenzeugen wie folgt geschildert: „In dem kleinen
Wohnzimmer waren keine Tapeten, zwei alte sehr schadhafte Stühle und eben so
viele kleine hölzerne Tische, ein großes hölzernes Bett ohne Vorhänge und der
Gräfin eigener Stuhl, darauf sie zwischen zwei hölzernen Seitenlehnen ohne
Rückenstück auf zwei alten übereinander liegenden Federkissen, den Rücken allzeit
dem Ofen zukehrend, gesessen. Durch den vielen Rauch und Dampf einer
mitten im Zimmer an der Decke herabhängenden Lampe, welche vom Abend bis
zum hellen Morgen brennen mußte, war alles so schwarz geworden, daß man
den Zeiger einer an der Wand hängenden Schlaguhr nicht erkennen konnte."
Hier brütete sie dumpf vor sich hin, ost wie geistesabwesend, so daß man meinte,
ihr Gehirn sei zerrüttet. Aber bisweilen brach sie in leidenschaftliche Schmäh¬
reden aus, die zeigten, daß das Feuer ihrer unbesieglichen Natur doch nicht
ganz erloschen war. So verkam sie, eine der schönsten und geistvollsten Frauen
ihrer Zeit, die einen der glänzendsten Höfe Europas beherrscht hatte, zwischen
schmutzigem Gerümpel in Stumpfsinn und Verbitterung.


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[0028] Schloß Stolxen und die Reichsgräfin von Löset Die vorsichtige Frau des Geistlichen schien es doch nicht für rätlich zu halten, ihren Mann in der Nähe der berückenden Matrone zu wissen. Und so hintertrieb sie die Übersiedlung. Die Gräfin aber setzte ihre talmudistischen Liebhabereien fort. Sie feierte den Sabbat, verzichtete auf Schweinefleisch und sprach zuletzt sogar Indisch-Deutsch. Im jüdischen Glauben soll sie gestorben sein. Noch einmal schlugen die Wogen der Weltgeschichte bis an den Sitz der vergessenen Frau. Zu Beginn des siebenjährigen Krieges besetzten preußische Husaren die Festung. Dabei schoß ihr Führer auf den greisen Schloßkomman¬ danten von Liebenau, der ihm entgegengekommen war, um ihm die Schlüssel auszuhändigen. So soll in Stolper der erste Schuß im siebenjährigen Kriege gefallen sein. Vor ihrem Wegzuge begann die preußische Besatzung auf höhern Befehl die Ruinierung der Feste. Sie schleppten die guten Geschütze mit fort und stürzten die schlechten samt allen Vorräten an Gewehren, Geschossen und Pulver in den tiefen Schloßbrunnen. 1883 hat man aus dieser merkwürdigen Rumpel¬ kammer uuter Schutt und Trümmern ein ganzes Arsenal von altem Kriegsgerät hervorgeholt; es ist jetzt in verschiedenen Räumen der Ruine aufgestellt. Bald nach dem Abzüge der Preußen sah die Gräfin von ihrem Turmstübchen aus andere Bilder. Die siegreichen Regimenter Dauns lagerten längere Zeit auf den Feldern am Fuße des Schlosses. Tausend preußische Kriegsgefangene wurden auf der Burg eingepfercht. Da brannten in der kalten Herbstnacht fast hundert Lagerfeuer in allen Höfen, alle Türen und Gitter der Schösserei wurden zu Brennholz zerhackt, und Küche und Keller der Gräfin mußten sich trotz der aufgestellten Posten gefallen lassen, von den hungernden Soldaten ausgeplündert zu werden. Und dann wurde es ganz still um sie. Die letzten Jahre ihres Lebens verließ sie das runde Gemach im zweiten Stocke des Turmes fast nie mehr. Eine Magd und ein Stübenheizer bildeten ihren ganzen Hausstand. Ihr Aufenthalt wird von einem Augenzeugen wie folgt geschildert: „In dem kleinen Wohnzimmer waren keine Tapeten, zwei alte sehr schadhafte Stühle und eben so viele kleine hölzerne Tische, ein großes hölzernes Bett ohne Vorhänge und der Gräfin eigener Stuhl, darauf sie zwischen zwei hölzernen Seitenlehnen ohne Rückenstück auf zwei alten übereinander liegenden Federkissen, den Rücken allzeit dem Ofen zukehrend, gesessen. Durch den vielen Rauch und Dampf einer mitten im Zimmer an der Decke herabhängenden Lampe, welche vom Abend bis zum hellen Morgen brennen mußte, war alles so schwarz geworden, daß man den Zeiger einer an der Wand hängenden Schlaguhr nicht erkennen konnte." Hier brütete sie dumpf vor sich hin, ost wie geistesabwesend, so daß man meinte, ihr Gehirn sei zerrüttet. Aber bisweilen brach sie in leidenschaftliche Schmäh¬ reden aus, die zeigten, daß das Feuer ihrer unbesieglichen Natur doch nicht ganz erloschen war. So verkam sie, eine der schönsten und geistvollsten Frauen ihrer Zeit, die einen der glänzendsten Höfe Europas beherrscht hatte, zwischen schmutzigem Gerümpel in Stumpfsinn und Verbitterung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/28>, abgerufen am 03.07.2024.