Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

längst vergessen worden war! Allmählich schwindet ihr Hochmut und Trotz, die
alte Dame wird schrullenhaft und menschenscheu. Sie schreibt einmal an Boblink,
daß "ihr coura^e, die weder Löwen noch Bären scheuet, in eine entsetzliche
Furcht gesetzt worden sei in puncto der ungewissen und lügenhaften Menschen".

Es war, als ob sich auch die Elemente gegen sie verschworen hätten. Schon
1723 erlebte sie das "erschreckliche Zornfeuer", das die ganze Stadt Stolper
in einen Aschenhaufen verwandelte. Damals ging auch die berühmte Mönchs¬
bibliothek zugrunde, die sich aus der Bischofszeit erhalten hatte, ein unersetzlicher
Schatz von alten Büchern und Urkunden. Auch das Schloß fing an verschiedenen
Stellen an zu brennen. Die Glut war so groß, daß davon auf der Festung
mehrere bronzene Kanonenrohre schmolzen. Zwei von ihnen schenkte der Kurfürst
der armen abgebrannten Stadt, und daraus siud die neuen Kirchenglocken
gegossen worden.

In den vierziger Jahren wurde es ganz unheimlich auf dem Schlosse.
Es begann bereits merklich zur Ruine zu werden. Wiederholt schlug der Blitz
in das Wohnhaus der Gräfin und die nächstliegenden Gebäude ein. Das
morsche Mauerwerk drohte ihr überm Kopfe zusammenzubrechen und mußte
durch eiserne Klammern gehalten werden. Schließlich stürzte in ihren: Zimmer
ein großer Ofen plötzlich vor Altersschwäche ein und zerschmetterte der Gräfin
einen Schenkel. Da entschloß sie sich 1744, in den festen Johannesturm über¬
zusiedeln. Und hier, auf engstem Raume, hat sie ihr freudloses Dasein noch
über zwanzig Jahre hingefristet. Im Volksmunde heißt der Turm seither nicht
anders als der Coselturm, und auf diesen Turm konzentrieren sich alle die halb
sagenhaften Vorstellungen, die noch heute im Volke von dem geheimnisvollen,
düsteren Schicksal der schönen Frau fortleben. Aus romantischer Liebe zu
"ihrem" Turme, ihrem letzten und einzigen Freunde, soll sie die Freiheit ver¬
schmäht haben und auf dem Schlosse geblieben sein. Ein unterirdischer Gang
soll von seinem Fuße ins Tal der Letzsche nach der Gegend des jetzigen Bahn¬
hofs führen, durch den sie ihre Boten mit Konterbande ausschickte. Es muß
wohl etwas Wahres an dieser Überlieferung sein; denn erst kürzlich fand man
beim Urpflanzen des Wäldchens, das die Stadt am Fuße des Berges anlegt,
genau in der bezeichneten Richtung ein Stück unterirdisches Gewölbe. In
der Stolpener Chronik von 1764 findet sich nur die trockene Bemerkung:
"Vorietzo haben Jhro Excellenz die Frau Gräfin Cosel dero Wohnung in diesem
Thurme."

Hier spann sie sich nun mehr und mehr mit ihren Büchern ein. Die
Kabbala und andere jüdische Schriften beschäftigten hauptsächlich ihren phan¬
tastischen Sinn. Sie zitierte einen süddeutschen Geistlichen, der als Orientalist
bekannt war, zu sich nach Stolper. Mit Entzücken und Verwunderung erzählte
dieser dann, wie ihm die trotz ihrer sechzig noch immer schöne Frau im vollen
Ornate eines jüdischen Hohenpriesters entgegengetreten sei. Sie bemühte sich
auch, ihm die Stolpener Pfarrstelle auszuwirken. Allein daraus wurde nichts.


Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

längst vergessen worden war! Allmählich schwindet ihr Hochmut und Trotz, die
alte Dame wird schrullenhaft und menschenscheu. Sie schreibt einmal an Boblink,
daß „ihr coura^e, die weder Löwen noch Bären scheuet, in eine entsetzliche
Furcht gesetzt worden sei in puncto der ungewissen und lügenhaften Menschen".

Es war, als ob sich auch die Elemente gegen sie verschworen hätten. Schon
1723 erlebte sie das „erschreckliche Zornfeuer", das die ganze Stadt Stolper
in einen Aschenhaufen verwandelte. Damals ging auch die berühmte Mönchs¬
bibliothek zugrunde, die sich aus der Bischofszeit erhalten hatte, ein unersetzlicher
Schatz von alten Büchern und Urkunden. Auch das Schloß fing an verschiedenen
Stellen an zu brennen. Die Glut war so groß, daß davon auf der Festung
mehrere bronzene Kanonenrohre schmolzen. Zwei von ihnen schenkte der Kurfürst
der armen abgebrannten Stadt, und daraus siud die neuen Kirchenglocken
gegossen worden.

In den vierziger Jahren wurde es ganz unheimlich auf dem Schlosse.
Es begann bereits merklich zur Ruine zu werden. Wiederholt schlug der Blitz
in das Wohnhaus der Gräfin und die nächstliegenden Gebäude ein. Das
morsche Mauerwerk drohte ihr überm Kopfe zusammenzubrechen und mußte
durch eiserne Klammern gehalten werden. Schließlich stürzte in ihren: Zimmer
ein großer Ofen plötzlich vor Altersschwäche ein und zerschmetterte der Gräfin
einen Schenkel. Da entschloß sie sich 1744, in den festen Johannesturm über¬
zusiedeln. Und hier, auf engstem Raume, hat sie ihr freudloses Dasein noch
über zwanzig Jahre hingefristet. Im Volksmunde heißt der Turm seither nicht
anders als der Coselturm, und auf diesen Turm konzentrieren sich alle die halb
sagenhaften Vorstellungen, die noch heute im Volke von dem geheimnisvollen,
düsteren Schicksal der schönen Frau fortleben. Aus romantischer Liebe zu
„ihrem" Turme, ihrem letzten und einzigen Freunde, soll sie die Freiheit ver¬
schmäht haben und auf dem Schlosse geblieben sein. Ein unterirdischer Gang
soll von seinem Fuße ins Tal der Letzsche nach der Gegend des jetzigen Bahn¬
hofs führen, durch den sie ihre Boten mit Konterbande ausschickte. Es muß
wohl etwas Wahres an dieser Überlieferung sein; denn erst kürzlich fand man
beim Urpflanzen des Wäldchens, das die Stadt am Fuße des Berges anlegt,
genau in der bezeichneten Richtung ein Stück unterirdisches Gewölbe. In
der Stolpener Chronik von 1764 findet sich nur die trockene Bemerkung:
„Vorietzo haben Jhro Excellenz die Frau Gräfin Cosel dero Wohnung in diesem
Thurme."

Hier spann sie sich nun mehr und mehr mit ihren Büchern ein. Die
Kabbala und andere jüdische Schriften beschäftigten hauptsächlich ihren phan¬
tastischen Sinn. Sie zitierte einen süddeutschen Geistlichen, der als Orientalist
bekannt war, zu sich nach Stolper. Mit Entzücken und Verwunderung erzählte
dieser dann, wie ihm die trotz ihrer sechzig noch immer schöne Frau im vollen
Ornate eines jüdischen Hohenpriesters entgegengetreten sei. Sie bemühte sich
auch, ihm die Stolpener Pfarrstelle auszuwirken. Allein daraus wurde nichts.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316316"/>
            <fw type="header" place="top"> Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_62" prev="#ID_61"> längst vergessen worden war! Allmählich schwindet ihr Hochmut und Trotz, die<lb/>
alte Dame wird schrullenhaft und menschenscheu. Sie schreibt einmal an Boblink,<lb/>
daß &#x201E;ihr coura^e, die weder Löwen noch Bären scheuet, in eine entsetzliche<lb/>
Furcht gesetzt worden sei in puncto der ungewissen und lügenhaften Menschen".</p><lb/>
            <p xml:id="ID_63"> Es war, als ob sich auch die Elemente gegen sie verschworen hätten. Schon<lb/>
1723 erlebte sie das &#x201E;erschreckliche Zornfeuer", das die ganze Stadt Stolper<lb/>
in einen Aschenhaufen verwandelte. Damals ging auch die berühmte Mönchs¬<lb/>
bibliothek zugrunde, die sich aus der Bischofszeit erhalten hatte, ein unersetzlicher<lb/>
Schatz von alten Büchern und Urkunden. Auch das Schloß fing an verschiedenen<lb/>
Stellen an zu brennen. Die Glut war so groß, daß davon auf der Festung<lb/>
mehrere bronzene Kanonenrohre schmolzen. Zwei von ihnen schenkte der Kurfürst<lb/>
der armen abgebrannten Stadt, und daraus siud die neuen Kirchenglocken<lb/>
gegossen worden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_64"> In den vierziger Jahren wurde es ganz unheimlich auf dem Schlosse.<lb/>
Es begann bereits merklich zur Ruine zu werden. Wiederholt schlug der Blitz<lb/>
in das Wohnhaus der Gräfin und die nächstliegenden Gebäude ein. Das<lb/>
morsche Mauerwerk drohte ihr überm Kopfe zusammenzubrechen und mußte<lb/>
durch eiserne Klammern gehalten werden. Schließlich stürzte in ihren: Zimmer<lb/>
ein großer Ofen plötzlich vor Altersschwäche ein und zerschmetterte der Gräfin<lb/>
einen Schenkel. Da entschloß sie sich 1744, in den festen Johannesturm über¬<lb/>
zusiedeln. Und hier, auf engstem Raume, hat sie ihr freudloses Dasein noch<lb/>
über zwanzig Jahre hingefristet. Im Volksmunde heißt der Turm seither nicht<lb/>
anders als der Coselturm, und auf diesen Turm konzentrieren sich alle die halb<lb/>
sagenhaften Vorstellungen, die noch heute im Volke von dem geheimnisvollen,<lb/>
düsteren Schicksal der schönen Frau fortleben. Aus romantischer Liebe zu<lb/>
&#x201E;ihrem" Turme, ihrem letzten und einzigen Freunde, soll sie die Freiheit ver¬<lb/>
schmäht haben und auf dem Schlosse geblieben sein. Ein unterirdischer Gang<lb/>
soll von seinem Fuße ins Tal der Letzsche nach der Gegend des jetzigen Bahn¬<lb/>
hofs führen, durch den sie ihre Boten mit Konterbande ausschickte. Es muß<lb/>
wohl etwas Wahres an dieser Überlieferung sein; denn erst kürzlich fand man<lb/>
beim Urpflanzen des Wäldchens, das die Stadt am Fuße des Berges anlegt,<lb/>
genau in der bezeichneten Richtung ein Stück unterirdisches Gewölbe. In<lb/>
der Stolpener Chronik von 1764 findet sich nur die trockene Bemerkung:<lb/>
&#x201E;Vorietzo haben Jhro Excellenz die Frau Gräfin Cosel dero Wohnung in diesem<lb/>
Thurme."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_65" next="#ID_66"> Hier spann sie sich nun mehr und mehr mit ihren Büchern ein. Die<lb/>
Kabbala und andere jüdische Schriften beschäftigten hauptsächlich ihren phan¬<lb/>
tastischen Sinn. Sie zitierte einen süddeutschen Geistlichen, der als Orientalist<lb/>
bekannt war, zu sich nach Stolper. Mit Entzücken und Verwunderung erzählte<lb/>
dieser dann, wie ihm die trotz ihrer sechzig noch immer schöne Frau im vollen<lb/>
Ornate eines jüdischen Hohenpriesters entgegengetreten sei. Sie bemühte sich<lb/>
auch, ihm die Stolpener Pfarrstelle auszuwirken. Allein daraus wurde nichts.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset längst vergessen worden war! Allmählich schwindet ihr Hochmut und Trotz, die alte Dame wird schrullenhaft und menschenscheu. Sie schreibt einmal an Boblink, daß „ihr coura^e, die weder Löwen noch Bären scheuet, in eine entsetzliche Furcht gesetzt worden sei in puncto der ungewissen und lügenhaften Menschen". Es war, als ob sich auch die Elemente gegen sie verschworen hätten. Schon 1723 erlebte sie das „erschreckliche Zornfeuer", das die ganze Stadt Stolper in einen Aschenhaufen verwandelte. Damals ging auch die berühmte Mönchs¬ bibliothek zugrunde, die sich aus der Bischofszeit erhalten hatte, ein unersetzlicher Schatz von alten Büchern und Urkunden. Auch das Schloß fing an verschiedenen Stellen an zu brennen. Die Glut war so groß, daß davon auf der Festung mehrere bronzene Kanonenrohre schmolzen. Zwei von ihnen schenkte der Kurfürst der armen abgebrannten Stadt, und daraus siud die neuen Kirchenglocken gegossen worden. In den vierziger Jahren wurde es ganz unheimlich auf dem Schlosse. Es begann bereits merklich zur Ruine zu werden. Wiederholt schlug der Blitz in das Wohnhaus der Gräfin und die nächstliegenden Gebäude ein. Das morsche Mauerwerk drohte ihr überm Kopfe zusammenzubrechen und mußte durch eiserne Klammern gehalten werden. Schließlich stürzte in ihren: Zimmer ein großer Ofen plötzlich vor Altersschwäche ein und zerschmetterte der Gräfin einen Schenkel. Da entschloß sie sich 1744, in den festen Johannesturm über¬ zusiedeln. Und hier, auf engstem Raume, hat sie ihr freudloses Dasein noch über zwanzig Jahre hingefristet. Im Volksmunde heißt der Turm seither nicht anders als der Coselturm, und auf diesen Turm konzentrieren sich alle die halb sagenhaften Vorstellungen, die noch heute im Volke von dem geheimnisvollen, düsteren Schicksal der schönen Frau fortleben. Aus romantischer Liebe zu „ihrem" Turme, ihrem letzten und einzigen Freunde, soll sie die Freiheit ver¬ schmäht haben und auf dem Schlosse geblieben sein. Ein unterirdischer Gang soll von seinem Fuße ins Tal der Letzsche nach der Gegend des jetzigen Bahn¬ hofs führen, durch den sie ihre Boten mit Konterbande ausschickte. Es muß wohl etwas Wahres an dieser Überlieferung sein; denn erst kürzlich fand man beim Urpflanzen des Wäldchens, das die Stadt am Fuße des Berges anlegt, genau in der bezeichneten Richtung ein Stück unterirdisches Gewölbe. In der Stolpener Chronik von 1764 findet sich nur die trockene Bemerkung: „Vorietzo haben Jhro Excellenz die Frau Gräfin Cosel dero Wohnung in diesem Thurme." Hier spann sie sich nun mehr und mehr mit ihren Büchern ein. Die Kabbala und andere jüdische Schriften beschäftigten hauptsächlich ihren phan¬ tastischen Sinn. Sie zitierte einen süddeutschen Geistlichen, der als Orientalist bekannt war, zu sich nach Stolper. Mit Entzücken und Verwunderung erzählte dieser dann, wie ihm die trotz ihrer sechzig noch immer schöne Frau im vollen Ornate eines jüdischen Hohenpriesters entgegengetreten sei. Sie bemühte sich auch, ihm die Stolpener Pfarrstelle auszuwirken. Allein daraus wurde nichts.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/27>, abgerufen am 22.07.2024.