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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

1765, in ihrem fünfundachtzigsten Lebensjahre, starb sie und wurde in der
Schloßkapelle beigesetzt. Nach langem Suchen hat man 1881 ihr von Schutt
und Nasen überdecktes Felsengrab gefunden. Eine Kommission hat sich überzeugt,
daß ihre schlanken Knochen reingenagt in dem einfachen Tannensarge liegen und
daß ihr bis zuletzt tiefschwarzes Haar goldgelb gebleicht ist. Dann hat man
die Gruft wieder geschlossen. Eine Steinplatte bezeichnet die Stelle, wo die
Gräfin ruht.

Das Volk freilich weiß es besser. Nicht weit von Stolper, bei Langen-
wolmsdorf, erhebt sich ein stattlicher Hügel, auf dem ein einsamer Baum steht.
Dort, so geht die Sage, ist die Cosel begraben mitsamt ihren ungeheuren
Schätzen, die sie aus ihrer Glanzzeit gerettet hat. Aber sie hat keine Ruhe
gefunden. Bisweilen erscheint sie einem Schnitter, der am heißen Erntemittag
allein auf dem Felde bleibt. Wunderschön ist sie anzusehen, wie eine Fee im
weißen Gewände, und wenn der Überraschte sich nicht fürchtet und sie freundlich
anspricht, dann füllt sie ihm den Hut mit Talern.

Das Schloß ist zerfallen. Napoleon hat es 1813 auf seinem Rückzüge
nach Leipzig vollends zerstört, um es nicht den nachdrängenden Russen als festen
Punkt in die Hände fallen zu lassen. Bis auf den Coselturm, den Seigerturm
und den Siebenspitzenturm ließen die Franzosen so ziemlich alles, auch die
reizende Schloßkapelle, in die Luft fliegen. Und als 18(>6 die preußischen
Truppen einrückten, da fanden sie nur noch eine bedeutungslose Ruine. Kaum
je wieder wird sie berufen sein, in der Geschichte von sich hören zu lassen.

Ein duftiger Schleier von Birken und Buschwerk ist über die kolossalen
düstern Mauerreste ausgebreitet. Dohlen schreien um deu Coselturm. Wir
stehen auf dem rasigen Rundplatz, der den Sockel des einstigen Kapitelsturmes
bildet, und sehen entzückt weit hinaus über die Sächsische Schweiz und die
Lausitzer Berge, und dann kehren wir uns um und überblicken noch einmal in
ihrer Gesamtheit die malerischen Trümmer der Vorzeit. Da dürfen wir wohl
bekennen: Schloß Stolper steht nicht zurück hinter so mancher süd- und west¬
deutschen Burgruine gefeierten Namens, ein erinnerungsreiches, ergreifendes
Denkmal vaterländischer Geschichte.




Grenzboten III!i
Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

1765, in ihrem fünfundachtzigsten Lebensjahre, starb sie und wurde in der
Schloßkapelle beigesetzt. Nach langem Suchen hat man 1881 ihr von Schutt
und Nasen überdecktes Felsengrab gefunden. Eine Kommission hat sich überzeugt,
daß ihre schlanken Knochen reingenagt in dem einfachen Tannensarge liegen und
daß ihr bis zuletzt tiefschwarzes Haar goldgelb gebleicht ist. Dann hat man
die Gruft wieder geschlossen. Eine Steinplatte bezeichnet die Stelle, wo die
Gräfin ruht.

Das Volk freilich weiß es besser. Nicht weit von Stolper, bei Langen-
wolmsdorf, erhebt sich ein stattlicher Hügel, auf dem ein einsamer Baum steht.
Dort, so geht die Sage, ist die Cosel begraben mitsamt ihren ungeheuren
Schätzen, die sie aus ihrer Glanzzeit gerettet hat. Aber sie hat keine Ruhe
gefunden. Bisweilen erscheint sie einem Schnitter, der am heißen Erntemittag
allein auf dem Felde bleibt. Wunderschön ist sie anzusehen, wie eine Fee im
weißen Gewände, und wenn der Überraschte sich nicht fürchtet und sie freundlich
anspricht, dann füllt sie ihm den Hut mit Talern.

Das Schloß ist zerfallen. Napoleon hat es 1813 auf seinem Rückzüge
nach Leipzig vollends zerstört, um es nicht den nachdrängenden Russen als festen
Punkt in die Hände fallen zu lassen. Bis auf den Coselturm, den Seigerturm
und den Siebenspitzenturm ließen die Franzosen so ziemlich alles, auch die
reizende Schloßkapelle, in die Luft fliegen. Und als 18(>6 die preußischen
Truppen einrückten, da fanden sie nur noch eine bedeutungslose Ruine. Kaum
je wieder wird sie berufen sein, in der Geschichte von sich hören zu lassen.

Ein duftiger Schleier von Birken und Buschwerk ist über die kolossalen
düstern Mauerreste ausgebreitet. Dohlen schreien um deu Coselturm. Wir
stehen auf dem rasigen Rundplatz, der den Sockel des einstigen Kapitelsturmes
bildet, und sehen entzückt weit hinaus über die Sächsische Schweiz und die
Lausitzer Berge, und dann kehren wir uns um und überblicken noch einmal in
ihrer Gesamtheit die malerischen Trümmer der Vorzeit. Da dürfen wir wohl
bekennen: Schloß Stolper steht nicht zurück hinter so mancher süd- und west¬
deutschen Burgruine gefeierten Namens, ein erinnerungsreiches, ergreifendes
Denkmal vaterländischer Geschichte.




Grenzboten III!i
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[0029] Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset 1765, in ihrem fünfundachtzigsten Lebensjahre, starb sie und wurde in der Schloßkapelle beigesetzt. Nach langem Suchen hat man 1881 ihr von Schutt und Nasen überdecktes Felsengrab gefunden. Eine Kommission hat sich überzeugt, daß ihre schlanken Knochen reingenagt in dem einfachen Tannensarge liegen und daß ihr bis zuletzt tiefschwarzes Haar goldgelb gebleicht ist. Dann hat man die Gruft wieder geschlossen. Eine Steinplatte bezeichnet die Stelle, wo die Gräfin ruht. Das Volk freilich weiß es besser. Nicht weit von Stolper, bei Langen- wolmsdorf, erhebt sich ein stattlicher Hügel, auf dem ein einsamer Baum steht. Dort, so geht die Sage, ist die Cosel begraben mitsamt ihren ungeheuren Schätzen, die sie aus ihrer Glanzzeit gerettet hat. Aber sie hat keine Ruhe gefunden. Bisweilen erscheint sie einem Schnitter, der am heißen Erntemittag allein auf dem Felde bleibt. Wunderschön ist sie anzusehen, wie eine Fee im weißen Gewände, und wenn der Überraschte sich nicht fürchtet und sie freundlich anspricht, dann füllt sie ihm den Hut mit Talern. Das Schloß ist zerfallen. Napoleon hat es 1813 auf seinem Rückzüge nach Leipzig vollends zerstört, um es nicht den nachdrängenden Russen als festen Punkt in die Hände fallen zu lassen. Bis auf den Coselturm, den Seigerturm und den Siebenspitzenturm ließen die Franzosen so ziemlich alles, auch die reizende Schloßkapelle, in die Luft fliegen. Und als 18(>6 die preußischen Truppen einrückten, da fanden sie nur noch eine bedeutungslose Ruine. Kaum je wieder wird sie berufen sein, in der Geschichte von sich hören zu lassen. Ein duftiger Schleier von Birken und Buschwerk ist über die kolossalen düstern Mauerreste ausgebreitet. Dohlen schreien um deu Coselturm. Wir stehen auf dem rasigen Rundplatz, der den Sockel des einstigen Kapitelsturmes bildet, und sehen entzückt weit hinaus über die Sächsische Schweiz und die Lausitzer Berge, und dann kehren wir uns um und überblicken noch einmal in ihrer Gesamtheit die malerischen Trümmer der Vorzeit. Da dürfen wir wohl bekennen: Schloß Stolper steht nicht zurück hinter so mancher süd- und west¬ deutschen Burgruine gefeierten Namens, ein erinnerungsreiches, ergreifendes Denkmal vaterländischer Geschichte. Grenzboten III!i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/29>, abgerufen am 01.07.2024.