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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolxen und die Reichsgräfin von Löset

freilich kaum zutreffenden Sage -- die unglückliche Gräfin gestickt haben soll.
Mit Vorliebe braute sie allerhand Latwergen, Tränklein und Aquavite, namentlich
für ihren eigenen Bedarf. Denn einem kräftigen Schluck war sie niemals abhold
gewesen. Läßt doch gelegentlich sogar ihr früherer Gatte Honn eine Bemerkung
fallen über "ihre bösen Qualitäten in puncto ihres Trunkes und höllischen
Bosheit". Und Friedrich August, der Menschenkenner, hatte einst seinen Sturm¬
angriff auf das Herz der schönen Frau damit eröffnet, daß er ihr -- zwei
Fäßchen Tokaier zum Geschenk machte. Auch ein Pfeifchen Tabak wußte sie zu
schätzen.

Ihre Umgebung konnte ihr nichts bieten. Von den wiederholt wechselnden
Kommandanten drangsalierte sie am ärgsten der Oberst Boblink, ein Mann mit
kleinem Hirn und großem Fitz. Von seiner Engherzigkeit in der Behandlung
der hohen Gefangenen sind in den Akten unglaubliche Beispiele aufbewahrt.
Über jedes "Lavement" -- mit Respekt zu vermelden -- holte er in umständ¬
lichen Berichten auf dem Instanzenwege die Entschließung des Geheimen Kabinetts
in Dresden ein. Auch mit ihren: Dienstpersonal war nicht viel anzufangen.
Sie selbst schildert es einmal so: "Keine Seuffer, Spieler, unkeusche noch viel
Manier dienen hierhair, sondern es müssen solche Kreaturen sein, die aus
Dumheit das Kleinode der Freiheit nicht kennen und überhaupt von allen fünf
Sinnen nur ein Viertheil besitzen und absonderlich ohne Empfindlichkeit der Welt
ihre Tage hinbringen, da nun zimblicher maßen ein solch Assortiment zusammen¬
gebracht."

Nur ein einziges Mal nach ihrer Verstoßung sollte sie August den Starken
wiedersehen. An einem schönen Julitage 1727 kam er in aller Frühe mit
einem Gefolge von Offizieren heraus, um Schießversuche mit Kanonen an dem
harten Stolpener Basaltgestein vorzunehmen. Es sollte ein Festtag für Stolper
werden, alle Korporationen der Stadt waren angetreten, und die Gräfin versprach
sich, heute durch die unfehlbare Macht ihres persönlichen Einflusses ihr Schicksal
zu wenden. Aber schon nach wenigen Schüssen wurde das Feuern abgebrochen,
da die Kugeln an den Felsen zersplitterten und einzelne Sprengstücke gefahr¬
bringend in die Stadt flogen. Der Kurfürst erschien zu Rosse am Schloßtore.
Da rief ihn vom Fenster herab die frühere Geliebte mit flehenden Worten
an. Aber er riß das Pferd herum, lüftete nur leicht den Hut und sprengte
davon, ohne ein Wort zu erwidern. Da soll sie in ihrer verzweifelten Wut
nach ihm geschossen haben, eine Sage, die gewiß nicht auf Wahrheit beruht.

Einige Jahre später, 1733, hörte sie, wie ringsum im ganzen Lande die
Glocken geläutet wurden. Da merkte sie gleich, daß Friedrich August gestorben
war. Aber ihre Gefangenschaft dauerte fort. Auch der Thronfolger ließ ihre
Befreiungsgesuche unbeachtet und gewährte ihr nur geringe Erleichterungen. So
erhielt sie die "Leipziger Zeitung" und durfte Besuche empfangen. Als ihr
endlich Jahre danach die Freiheit angeboten wurde, da wollte sie selbst uicht
mehr. Was hatte sie noch in der veränderten Welt zu suchen, von der sie


Schloß Stolxen und die Reichsgräfin von Löset

freilich kaum zutreffenden Sage — die unglückliche Gräfin gestickt haben soll.
Mit Vorliebe braute sie allerhand Latwergen, Tränklein und Aquavite, namentlich
für ihren eigenen Bedarf. Denn einem kräftigen Schluck war sie niemals abhold
gewesen. Läßt doch gelegentlich sogar ihr früherer Gatte Honn eine Bemerkung
fallen über „ihre bösen Qualitäten in puncto ihres Trunkes und höllischen
Bosheit". Und Friedrich August, der Menschenkenner, hatte einst seinen Sturm¬
angriff auf das Herz der schönen Frau damit eröffnet, daß er ihr — zwei
Fäßchen Tokaier zum Geschenk machte. Auch ein Pfeifchen Tabak wußte sie zu
schätzen.

Ihre Umgebung konnte ihr nichts bieten. Von den wiederholt wechselnden
Kommandanten drangsalierte sie am ärgsten der Oberst Boblink, ein Mann mit
kleinem Hirn und großem Fitz. Von seiner Engherzigkeit in der Behandlung
der hohen Gefangenen sind in den Akten unglaubliche Beispiele aufbewahrt.
Über jedes „Lavement" — mit Respekt zu vermelden — holte er in umständ¬
lichen Berichten auf dem Instanzenwege die Entschließung des Geheimen Kabinetts
in Dresden ein. Auch mit ihren: Dienstpersonal war nicht viel anzufangen.
Sie selbst schildert es einmal so: „Keine Seuffer, Spieler, unkeusche noch viel
Manier dienen hierhair, sondern es müssen solche Kreaturen sein, die aus
Dumheit das Kleinode der Freiheit nicht kennen und überhaupt von allen fünf
Sinnen nur ein Viertheil besitzen und absonderlich ohne Empfindlichkeit der Welt
ihre Tage hinbringen, da nun zimblicher maßen ein solch Assortiment zusammen¬
gebracht."

Nur ein einziges Mal nach ihrer Verstoßung sollte sie August den Starken
wiedersehen. An einem schönen Julitage 1727 kam er in aller Frühe mit
einem Gefolge von Offizieren heraus, um Schießversuche mit Kanonen an dem
harten Stolpener Basaltgestein vorzunehmen. Es sollte ein Festtag für Stolper
werden, alle Korporationen der Stadt waren angetreten, und die Gräfin versprach
sich, heute durch die unfehlbare Macht ihres persönlichen Einflusses ihr Schicksal
zu wenden. Aber schon nach wenigen Schüssen wurde das Feuern abgebrochen,
da die Kugeln an den Felsen zersplitterten und einzelne Sprengstücke gefahr¬
bringend in die Stadt flogen. Der Kurfürst erschien zu Rosse am Schloßtore.
Da rief ihn vom Fenster herab die frühere Geliebte mit flehenden Worten
an. Aber er riß das Pferd herum, lüftete nur leicht den Hut und sprengte
davon, ohne ein Wort zu erwidern. Da soll sie in ihrer verzweifelten Wut
nach ihm geschossen haben, eine Sage, die gewiß nicht auf Wahrheit beruht.

Einige Jahre später, 1733, hörte sie, wie ringsum im ganzen Lande die
Glocken geläutet wurden. Da merkte sie gleich, daß Friedrich August gestorben
war. Aber ihre Gefangenschaft dauerte fort. Auch der Thronfolger ließ ihre
Befreiungsgesuche unbeachtet und gewährte ihr nur geringe Erleichterungen. So
erhielt sie die „Leipziger Zeitung" und durfte Besuche empfangen. Als ihr
endlich Jahre danach die Freiheit angeboten wurde, da wollte sie selbst uicht
mehr. Was hatte sie noch in der veränderten Welt zu suchen, von der sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/26>, abgerufen am 23.07.2024.