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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Wohltätigkeit, sowie für eine soziale, wirtschaftliche und öffentlich-rechtliche Hebung
des Arbeiterstandes. Ein eklatanter Bruch mit d'Azeglio veranlaßte ihn aber,
das Kabinett zu verlassen.

Schon wenige Monate später, am 4. November 1852, treffen wir indessen
Cavour als Ministerpräsidenten wieder. In diesem Amte, das er mit nur einer
kurzen Unterbrechung, die aber die Überlegenheit seiner Person und seiner
Macht erst recht offenbarte, die ganzen neun Jahre bis zu seinem Tode
behielt, hat er nach und nach alle äußeren und inneren Widerstände besiegt,
hat er Piemont auf kühnen, gemeinhin als unmöglich geltenden Wegen") in
den Rat der Staaten Europas eingeführt, ihm mächtige Verbündete gesichert,
ihm zu kriegerischen Erfolgen verholfen und so Italiens politische Einheit teils
sicher gestellt, teils aufs beste vorbereitet. Gewiß, ohne Mazzini und die nationale
Aktionspartei, ohne die Spontaneität und das glückliche Heldentum Garibaldis
und ohne den loyalen, soldatischen König Viktor Emanuel den Zweiten wäre,
um nur die entscheidendsten Faktoren zu nennen, Cavour dergleichen nicht
gelungen.

Was er zur Hebung des Finanzwesens, zur Mehrung der Verkehrsmittel,
zur Ausgestaltung und Belebung der Volkswirtschaft, zur Milderung der sozialen
Gegensätze als untergeordneter Minister begonnen, das setzte er als Minister¬
präsident fort und ergänzte es durch umsichtige und energische Fürsorge für
das Heerwesen, durch Sicherung der Personal-, Religions- und Preßfreiheit
sowie durch mehrfache wirksame Beschränkung der Machtstellung des katholischen
Klerus und der kirchlichen Korporationen.

Nachdem Piemont sich zu einen: lebenskräftigen Staatswesen emporgearbeitet
hatte, ging Cavour daran, die Erinnerung an Custozza und Novara zu tilgen
und das militärische Ansehen, sowie die internationale Geltung seines Landes
zu heben. Der Krimkrieg bot die Gelegenheit. Zur Unterstützung der West¬
mächte schickte das kleine, Iroe "verbündete" Königreich fünfzehntausend Mann
unter La Marmora auf dem Kriegsschauplatz. Hier leisteten diese in der Tat
ansehnliche Dienste, und bei Traktir erlangten sie auch für ihr Teil den so
erwünschten Waffenruhm.

Im übrigen war hiermit ein Titel gegeben, auf Grund dessen Cavour die
Zulassung Piemonts zum Pariser Kongreß verlangen konnte. Cavour selbst
begab sich als Vertreter seines Staates nach Paris. Was er hier wollen konnte,
war nicht eigentlich eine Entschädigung für die Beteiligung am Krimkriege. Ihm
lag daran, unter den Mächten in aller Form zu figurieren, was das gewiß
stärkere und angesehenere Preußen nur auf Verwenden Napoleons des Dritten
durchsetzen konnte. Cavour lag ferner daran, irgendeinen Anlaß zu finden, um vor
dem Forum der Mächte die "italienische Frage" stellen zu können. Der unter-



") "Die Staatsmänner eines jedes Landes sind viel zu sehr Routiniers, an einen kühnen
Plan anzunehmen, der als dein Gleise der Diplomatie austritt", so sagt Cavour selbst in
einem Briefe.
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Wohltätigkeit, sowie für eine soziale, wirtschaftliche und öffentlich-rechtliche Hebung
des Arbeiterstandes. Ein eklatanter Bruch mit d'Azeglio veranlaßte ihn aber,
das Kabinett zu verlassen.

Schon wenige Monate später, am 4. November 1852, treffen wir indessen
Cavour als Ministerpräsidenten wieder. In diesem Amte, das er mit nur einer
kurzen Unterbrechung, die aber die Überlegenheit seiner Person und seiner
Macht erst recht offenbarte, die ganzen neun Jahre bis zu seinem Tode
behielt, hat er nach und nach alle äußeren und inneren Widerstände besiegt,
hat er Piemont auf kühnen, gemeinhin als unmöglich geltenden Wegen") in
den Rat der Staaten Europas eingeführt, ihm mächtige Verbündete gesichert,
ihm zu kriegerischen Erfolgen verholfen und so Italiens politische Einheit teils
sicher gestellt, teils aufs beste vorbereitet. Gewiß, ohne Mazzini und die nationale
Aktionspartei, ohne die Spontaneität und das glückliche Heldentum Garibaldis
und ohne den loyalen, soldatischen König Viktor Emanuel den Zweiten wäre,
um nur die entscheidendsten Faktoren zu nennen, Cavour dergleichen nicht
gelungen.

Was er zur Hebung des Finanzwesens, zur Mehrung der Verkehrsmittel,
zur Ausgestaltung und Belebung der Volkswirtschaft, zur Milderung der sozialen
Gegensätze als untergeordneter Minister begonnen, das setzte er als Minister¬
präsident fort und ergänzte es durch umsichtige und energische Fürsorge für
das Heerwesen, durch Sicherung der Personal-, Religions- und Preßfreiheit
sowie durch mehrfache wirksame Beschränkung der Machtstellung des katholischen
Klerus und der kirchlichen Korporationen.

Nachdem Piemont sich zu einen: lebenskräftigen Staatswesen emporgearbeitet
hatte, ging Cavour daran, die Erinnerung an Custozza und Novara zu tilgen
und das militärische Ansehen, sowie die internationale Geltung seines Landes
zu heben. Der Krimkrieg bot die Gelegenheit. Zur Unterstützung der West¬
mächte schickte das kleine, Iroe „verbündete" Königreich fünfzehntausend Mann
unter La Marmora auf dem Kriegsschauplatz. Hier leisteten diese in der Tat
ansehnliche Dienste, und bei Traktir erlangten sie auch für ihr Teil den so
erwünschten Waffenruhm.

Im übrigen war hiermit ein Titel gegeben, auf Grund dessen Cavour die
Zulassung Piemonts zum Pariser Kongreß verlangen konnte. Cavour selbst
begab sich als Vertreter seines Staates nach Paris. Was er hier wollen konnte,
war nicht eigentlich eine Entschädigung für die Beteiligung am Krimkriege. Ihm
lag daran, unter den Mächten in aller Form zu figurieren, was das gewiß
stärkere und angesehenere Preußen nur auf Verwenden Napoleons des Dritten
durchsetzen konnte. Cavour lag ferner daran, irgendeinen Anlaß zu finden, um vor
dem Forum der Mächte die „italienische Frage" stellen zu können. Der unter-



") „Die Staatsmänner eines jedes Landes sind viel zu sehr Routiniers, an einen kühnen
Plan anzunehmen, der als dein Gleise der Diplomatie austritt", so sagt Cavour selbst in
einem Briefe.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/266>, abgerufen am 23.07.2024.