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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Cavour

setzte Mann mit rundem, von einem wenig gepflegten, ziegenmäßigen Bart ein¬
gefaßten Gesicht, feurigen und schelmischen, stets von einer goldumrandeten Brille
bedeckten Augen, der nie mit einer passenden Antwort in Verlegenheit war, der
bei großer Geschäftigkeit für staatliche und persönliche Interessen mich den
Liebenswürdigen zu spielen wußte, machte Eindruck. Der Botschafter Österreichs,
von Hübner, ermangelte nicht, in ihm den Konspirator "zu fühlen, zu sehen,
zu erkennen". Im Salon der Marquise d'Elp. der Cavour in sozusagen auf¬
opfernder Weise den Hof machte, im Salon der Baronin von Menendorff und
mit Hilfe der selten schönen und allgemein bewunderten Comtessa ti Castiglione.
wußte Cavour bei Napoleon dem Dritten und den anniesenden Diplomaten für
die italienische Sache Stimmung zu machen und so die entgegengesetzten An¬
strengungen der österreichischen Bevollmächtigten zu vereiteln. Am 8. April 1856
hörte das offizielle Europa zum ersten Male aus dein Munde Cavours das
Wort "Italien", vernahm es ein italienisches Verlangen nach Gerechtigkeit. Das
war freilich nicht mehr als ein moralischer Erfolg, obgleich Rußland und Preußen
nicht abgeneigt waren. Österreich ernste Verlegenheiten zu bereiten und England
im gleichen Sinne seine Rechnung fand. Durch den Pariser Kongreß änderte
sich nichts an der Tatsache, daß Italien dem Einfluß und den Waffen Österreichs
unterworfen war. Immerhin wußte Cavour nach Schluß des Kongresses, er,
der Minister von ganzen fünf Millionen Menschen, zu Lord Clarendon, dem
Vertreter Englands, zu sagen: "Der Krieg gegen Österreich schreckt mich nicht,
und wir werden ihn bis aufs Messer führen. Übrigens wird England, wie
kurz der Krieg auch sein mag, gezwungen sein, uns zu unterstützen." Doch Lord
Clarendou machte vor dem englischen Parlament nicht die Erklärungen, die er
Cavour versprochen hatte und von denen Cavour so viel erhoffte. Demgemäß
glaubte er sich außer auf die eigene Kraft nur auf die Hilfe Napoleons stützen
SU dürfen. Während Cavour in diesen: Sinne Alessandria befestigte und mit
Hilfe einer in Paris aufgenommenen Anleihe große Anschaffungen für das Heer¬
wesen machen ließ, spielte ihm das Attentat Orsinis auf Napoleon den Dritten
einen bösen Streich. Um jede Verantwortlichkeit für Orsinis Tat, der überdies
Napoleon vom. Gefängnis aus zur Befreiung Italiens aufforderte, von sich und
Piemont abzuwälzen, brachte Cavour ein Gesetz zur Verabschiedung, das die
Konspiration gegen Fürsten und die Verteidigung solcher Konspiration in Zeitungen
verbot und unter Strafe stellte. Im französischen Volke verminderte Cavour
damit die Antipathie gegen seine nationalen Aspirationen kaum. Die Franzosen
und insonderheit die geistig höchststehenden -- unter ihnen Thiers -- machten
kein Hehl daraus, daß ihnen, selbst abgesehen von politischen Interessen, Italien
als ein Museum verfallener großer Werte und als Sammelstätte aller Unglück¬
lichen der Welt lieber wäre, als daß sie die Schaffung eines lebenskräftigen,
selbstbewußten und wirtschaftlich, sozial und politisch modernen Italiens unter¬
stützten. Allein Napoleon der Dritte, dem damals auch nach Bismarcks Urteil
eine entscheidende Rolle in den Kombinationen der europäischen Politik zukam


Cavour

setzte Mann mit rundem, von einem wenig gepflegten, ziegenmäßigen Bart ein¬
gefaßten Gesicht, feurigen und schelmischen, stets von einer goldumrandeten Brille
bedeckten Augen, der nie mit einer passenden Antwort in Verlegenheit war, der
bei großer Geschäftigkeit für staatliche und persönliche Interessen mich den
Liebenswürdigen zu spielen wußte, machte Eindruck. Der Botschafter Österreichs,
von Hübner, ermangelte nicht, in ihm den Konspirator „zu fühlen, zu sehen,
zu erkennen". Im Salon der Marquise d'Elp. der Cavour in sozusagen auf¬
opfernder Weise den Hof machte, im Salon der Baronin von Menendorff und
mit Hilfe der selten schönen und allgemein bewunderten Comtessa ti Castiglione.
wußte Cavour bei Napoleon dem Dritten und den anniesenden Diplomaten für
die italienische Sache Stimmung zu machen und so die entgegengesetzten An¬
strengungen der österreichischen Bevollmächtigten zu vereiteln. Am 8. April 1856
hörte das offizielle Europa zum ersten Male aus dein Munde Cavours das
Wort „Italien", vernahm es ein italienisches Verlangen nach Gerechtigkeit. Das
war freilich nicht mehr als ein moralischer Erfolg, obgleich Rußland und Preußen
nicht abgeneigt waren. Österreich ernste Verlegenheiten zu bereiten und England
im gleichen Sinne seine Rechnung fand. Durch den Pariser Kongreß änderte
sich nichts an der Tatsache, daß Italien dem Einfluß und den Waffen Österreichs
unterworfen war. Immerhin wußte Cavour nach Schluß des Kongresses, er,
der Minister von ganzen fünf Millionen Menschen, zu Lord Clarendon, dem
Vertreter Englands, zu sagen: „Der Krieg gegen Österreich schreckt mich nicht,
und wir werden ihn bis aufs Messer führen. Übrigens wird England, wie
kurz der Krieg auch sein mag, gezwungen sein, uns zu unterstützen." Doch Lord
Clarendou machte vor dem englischen Parlament nicht die Erklärungen, die er
Cavour versprochen hatte und von denen Cavour so viel erhoffte. Demgemäß
glaubte er sich außer auf die eigene Kraft nur auf die Hilfe Napoleons stützen
SU dürfen. Während Cavour in diesen: Sinne Alessandria befestigte und mit
Hilfe einer in Paris aufgenommenen Anleihe große Anschaffungen für das Heer¬
wesen machen ließ, spielte ihm das Attentat Orsinis auf Napoleon den Dritten
einen bösen Streich. Um jede Verantwortlichkeit für Orsinis Tat, der überdies
Napoleon vom. Gefängnis aus zur Befreiung Italiens aufforderte, von sich und
Piemont abzuwälzen, brachte Cavour ein Gesetz zur Verabschiedung, das die
Konspiration gegen Fürsten und die Verteidigung solcher Konspiration in Zeitungen
verbot und unter Strafe stellte. Im französischen Volke verminderte Cavour
damit die Antipathie gegen seine nationalen Aspirationen kaum. Die Franzosen
und insonderheit die geistig höchststehenden — unter ihnen Thiers — machten
kein Hehl daraus, daß ihnen, selbst abgesehen von politischen Interessen, Italien
als ein Museum verfallener großer Werte und als Sammelstätte aller Unglück¬
lichen der Welt lieber wäre, als daß sie die Schaffung eines lebenskräftigen,
selbstbewußten und wirtschaftlich, sozial und politisch modernen Italiens unter¬
stützten. Allein Napoleon der Dritte, dem damals auch nach Bismarcks Urteil
eine entscheidende Rolle in den Kombinationen der europäischen Politik zukam


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/267>, abgerufen am 23.07.2024.