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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Wasserwirtschaft im rheinisch-westfälischen Industriebezirk

dem es aus dem verhältnismäßig schmalen Ruhrtal über die hochgelegenen Ränder
hinaufgepumpt war, fand es zum großen Teil seinen Ablauf nach anderen Flu߬
gebieten, im Norden, im eigentlichen Kohlendistrikt, hauptsächlich nach der Emscher.
Diese windet sich mitten durch das Gebiet in flacher Niederung mit geringen:
Gefälle und in unendlichen Krümmungen; sie war allmählich der große Schmutz¬
wasserkanal der Gegend geworden. In die Emscher gelangen letzten Endes ebenso
die Abwässer aller städtischen Kanalisationen wie die beim Bergwerksbetrieb herauf¬
gepumpten, mit Kohlenstaub versetzten Grubenwasser. Diese gewaltige Schmutz¬
wassermenge mit genügender Schnelligkeit abzuführen, war die Emscher außer¬
stande. Ihr Gefälle in ihrem Unterlauf betrug achtzig Zentimeter auf den
Kilometer. Überall stagnierte das träge Wasser, verschlammte bei Über¬
schwemmungen die Umgegend und verpestete weithin die Luft. Hinzu kam,
daß sowohl der Emscherlauf auf weiten Strecken wie das Land zu beiden Seiten
durch den Bergbaubetrieb Senkungen erfuhr. Dadurch entstanden Stauungen,
die noch durch einzelne Triebwerke vermehrt wurden, und der zur Entsumpfung
der gesunkenen Ländereien von den Bergwerken eingeführte Polderbetrieb war
bei den sich immer mehr verschlechternden Vorflutverhältnissen nicht durchzuführen.

Seit langem war schon die Verwaltung mit allen ihr bekannten Mitteln wie
Polizeiverordnungen, Ernennung von Schaukommissionen und unzählige Besich¬
tigungen bestrebt, diese Verhältnisse zu bessern. Aber keins von ihnen brachte
Erfolge. Auch die Begradigung einzelner Emscherstrecken vermochte nur in
geringem Maße die Vorflut zu verbessern. Es war klar, daß etwas Durch¬
greifendes für den ganzen Emscherlauf geschehen mußte.

Im Jahre 1384 wurde ein allgemeiner Plan aufgestellt, der die systematische
Begradignng und Vertiefung des Emscherlaufes und die Regulierung seiner Zuflüsse
vorsah. Er kam wegen der Frage der Kostendeckung nicht zur Ausführung.
Vom Staat war nicht einmal ein Zuschuß zu erlangen; der Versuch, den Berg¬
werksbetrieben als den Hauptschädigern im Wege der Gesetzgebung die Kosten
allein aufzubürden, mußte scheitern, da das Projekt offenbar weit über die
Beseitigung der durch den Bergbau herbeigeführten Schäden hinausging.

Indessen stieg mit den wachsenden Mißständen und dem Anwachsen der Bevölke¬
rung auch das Interesse der Gemeinden an der Frage. Denn einerseits waren
sie gezwungen, sür ihre Kanalisationsabwässer eine einwandfreie Ableitung zu suchen
und andererseits wurden sie von den unterhalb liegenden Gemeinden und Grund¬
besitzern mit Prozessen bedroht, die Schadenersatz für Verschlammung und die Klärung
der zur Emscher geleiteten Abwässer anstrebten. Erst um die Wende des Jahrhunderts
geschahen die ersten erfolgreichen Schritte zur Beseitigung dieser Landeskalamität,
kurz nachdem auch die Frage der Ruhrwasserhaltung ihre Erledigung gefunden
hatte. Beide Unternehmungen sind gleich interessant, sowohl wegen der technischen
Lösung, die die gestellten Probleme gefunden haben, als auch wegen des Ver¬
fahrens, das zu ihrer Organisation im Verwaltungswege geführt hat.




Die Wasserwirtschaft im rheinisch-westfälischen Industriebezirk

dem es aus dem verhältnismäßig schmalen Ruhrtal über die hochgelegenen Ränder
hinaufgepumpt war, fand es zum großen Teil seinen Ablauf nach anderen Flu߬
gebieten, im Norden, im eigentlichen Kohlendistrikt, hauptsächlich nach der Emscher.
Diese windet sich mitten durch das Gebiet in flacher Niederung mit geringen:
Gefälle und in unendlichen Krümmungen; sie war allmählich der große Schmutz¬
wasserkanal der Gegend geworden. In die Emscher gelangen letzten Endes ebenso
die Abwässer aller städtischen Kanalisationen wie die beim Bergwerksbetrieb herauf¬
gepumpten, mit Kohlenstaub versetzten Grubenwasser. Diese gewaltige Schmutz¬
wassermenge mit genügender Schnelligkeit abzuführen, war die Emscher außer¬
stande. Ihr Gefälle in ihrem Unterlauf betrug achtzig Zentimeter auf den
Kilometer. Überall stagnierte das träge Wasser, verschlammte bei Über¬
schwemmungen die Umgegend und verpestete weithin die Luft. Hinzu kam,
daß sowohl der Emscherlauf auf weiten Strecken wie das Land zu beiden Seiten
durch den Bergbaubetrieb Senkungen erfuhr. Dadurch entstanden Stauungen,
die noch durch einzelne Triebwerke vermehrt wurden, und der zur Entsumpfung
der gesunkenen Ländereien von den Bergwerken eingeführte Polderbetrieb war
bei den sich immer mehr verschlechternden Vorflutverhältnissen nicht durchzuführen.

Seit langem war schon die Verwaltung mit allen ihr bekannten Mitteln wie
Polizeiverordnungen, Ernennung von Schaukommissionen und unzählige Besich¬
tigungen bestrebt, diese Verhältnisse zu bessern. Aber keins von ihnen brachte
Erfolge. Auch die Begradigung einzelner Emscherstrecken vermochte nur in
geringem Maße die Vorflut zu verbessern. Es war klar, daß etwas Durch¬
greifendes für den ganzen Emscherlauf geschehen mußte.

Im Jahre 1384 wurde ein allgemeiner Plan aufgestellt, der die systematische
Begradignng und Vertiefung des Emscherlaufes und die Regulierung seiner Zuflüsse
vorsah. Er kam wegen der Frage der Kostendeckung nicht zur Ausführung.
Vom Staat war nicht einmal ein Zuschuß zu erlangen; der Versuch, den Berg¬
werksbetrieben als den Hauptschädigern im Wege der Gesetzgebung die Kosten
allein aufzubürden, mußte scheitern, da das Projekt offenbar weit über die
Beseitigung der durch den Bergbau herbeigeführten Schäden hinausging.

Indessen stieg mit den wachsenden Mißständen und dem Anwachsen der Bevölke¬
rung auch das Interesse der Gemeinden an der Frage. Denn einerseits waren
sie gezwungen, sür ihre Kanalisationsabwässer eine einwandfreie Ableitung zu suchen
und andererseits wurden sie von den unterhalb liegenden Gemeinden und Grund¬
besitzern mit Prozessen bedroht, die Schadenersatz für Verschlammung und die Klärung
der zur Emscher geleiteten Abwässer anstrebten. Erst um die Wende des Jahrhunderts
geschahen die ersten erfolgreichen Schritte zur Beseitigung dieser Landeskalamität,
kurz nachdem auch die Frage der Ruhrwasserhaltung ihre Erledigung gefunden
hatte. Beide Unternehmungen sind gleich interessant, sowohl wegen der technischen
Lösung, die die gestellten Probleme gefunden haben, als auch wegen des Ver¬
fahrens, das zu ihrer Organisation im Verwaltungswege geführt hat.




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[0215] Die Wasserwirtschaft im rheinisch-westfälischen Industriebezirk dem es aus dem verhältnismäßig schmalen Ruhrtal über die hochgelegenen Ränder hinaufgepumpt war, fand es zum großen Teil seinen Ablauf nach anderen Flu߬ gebieten, im Norden, im eigentlichen Kohlendistrikt, hauptsächlich nach der Emscher. Diese windet sich mitten durch das Gebiet in flacher Niederung mit geringen: Gefälle und in unendlichen Krümmungen; sie war allmählich der große Schmutz¬ wasserkanal der Gegend geworden. In die Emscher gelangen letzten Endes ebenso die Abwässer aller städtischen Kanalisationen wie die beim Bergwerksbetrieb herauf¬ gepumpten, mit Kohlenstaub versetzten Grubenwasser. Diese gewaltige Schmutz¬ wassermenge mit genügender Schnelligkeit abzuführen, war die Emscher außer¬ stande. Ihr Gefälle in ihrem Unterlauf betrug achtzig Zentimeter auf den Kilometer. Überall stagnierte das träge Wasser, verschlammte bei Über¬ schwemmungen die Umgegend und verpestete weithin die Luft. Hinzu kam, daß sowohl der Emscherlauf auf weiten Strecken wie das Land zu beiden Seiten durch den Bergbaubetrieb Senkungen erfuhr. Dadurch entstanden Stauungen, die noch durch einzelne Triebwerke vermehrt wurden, und der zur Entsumpfung der gesunkenen Ländereien von den Bergwerken eingeführte Polderbetrieb war bei den sich immer mehr verschlechternden Vorflutverhältnissen nicht durchzuführen. Seit langem war schon die Verwaltung mit allen ihr bekannten Mitteln wie Polizeiverordnungen, Ernennung von Schaukommissionen und unzählige Besich¬ tigungen bestrebt, diese Verhältnisse zu bessern. Aber keins von ihnen brachte Erfolge. Auch die Begradigung einzelner Emscherstrecken vermochte nur in geringem Maße die Vorflut zu verbessern. Es war klar, daß etwas Durch¬ greifendes für den ganzen Emscherlauf geschehen mußte. Im Jahre 1384 wurde ein allgemeiner Plan aufgestellt, der die systematische Begradignng und Vertiefung des Emscherlaufes und die Regulierung seiner Zuflüsse vorsah. Er kam wegen der Frage der Kostendeckung nicht zur Ausführung. Vom Staat war nicht einmal ein Zuschuß zu erlangen; der Versuch, den Berg¬ werksbetrieben als den Hauptschädigern im Wege der Gesetzgebung die Kosten allein aufzubürden, mußte scheitern, da das Projekt offenbar weit über die Beseitigung der durch den Bergbau herbeigeführten Schäden hinausging. Indessen stieg mit den wachsenden Mißständen und dem Anwachsen der Bevölke¬ rung auch das Interesse der Gemeinden an der Frage. Denn einerseits waren sie gezwungen, sür ihre Kanalisationsabwässer eine einwandfreie Ableitung zu suchen und andererseits wurden sie von den unterhalb liegenden Gemeinden und Grund¬ besitzern mit Prozessen bedroht, die Schadenersatz für Verschlammung und die Klärung der zur Emscher geleiteten Abwässer anstrebten. Erst um die Wende des Jahrhunderts geschahen die ersten erfolgreichen Schritte zur Beseitigung dieser Landeskalamität, kurz nachdem auch die Frage der Ruhrwasserhaltung ihre Erledigung gefunden hatte. Beide Unternehmungen sind gleich interessant, sowohl wegen der technischen Lösung, die die gestellten Probleme gefunden haben, als auch wegen des Ver¬ fahrens, das zu ihrer Organisation im Verwaltungswege geführt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/215>, abgerufen am 23.07.2024.