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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hans Memling

Aus den nächsten Jahren verzeichnet Voll eine Anzahl Bilder, meist Porträts,
deren Autorschaft immerhin Zweifeln unterworfen ist. Die Ansichten in solchen
Dingen gehen natürlich leicht auseinander. Crowe und Cavalcaselle, Geschichte
der altniederländischen Malerei, glauben in einem zu Turin befindlichen Tafel¬
bilde mit den sieben Schmerzen der Maria ein nachweislich im Jahre 1478
an den "Meester Hans" bezahltes Bild nachweisen zu können. Voll erwähnt
es gar nicht einmal, so daß die Theorie wohl als abgetan gilt.

Von 1470 an wird die Kunde von dem in aller Stille schaffenden Meister
zu Brügge deutlicher. Im Mai 1480 ist Memling nachweislich der Besitzer
zweier mit Ziegeln gedeckter Häuser und eines Stückes Land, wofür er einen
Grundzins zu entrichten hat. Während des Krieges zwischen Burgund und
Frankreich von 1479 bis 1482 ist Memling eine der zweihundertvierzig Personen,
die Anteile einer Kriegsanleihe übernehmen. Er ist also schon ein wohlhabender
Mann geworden.

Von 1479 stammt der herrliche "Johannes-Altar" im Johannes-Hospital
zu Brügge, dessen Mittelbild eine Vermählung der heil. Katharina mit dem
Jesuskindchen darstellt, einer Szene, die an die gleichzeitige lombardische Malerei
erinnert. Die Flügel tragen auf der Innenseite den Apokalyptiker Johannes,
wie er Visionen hat, und den Täufer Johannes im Augenblick seiner Enthauptung.
Die Außenseiten der Flügel enthalten die Stifter mit Heiligen. Hier steht
Memling vollkommen auf der Höhe seiner Kunst. Das Werk wird mit Recht
zu den schönsten gerechnet, die seiner Palette entsprungen sind. Neben dem
Ursula-Schrein ist es der stärkste Magnet des Johannes-Hospitals. "Memling",
so sagt Karl Voll, "wollte hier nicht nur ein köstliches, traumseliges Idyll geben,
wie er es so oft in seinen Bildern getan hatte. Was er an Anmut und Poesie
über die Madonnendarstellung der Haupttafel ausgegossen, hat. das gewann
seinen Reiz aus der freudigen Beobachtung der Schönheiten unsrer Welt, im
besonderen aber aus einer selbst für das fünfzehnte Jahrhundert ungewöhnlichen
Freude an der Eleganz der durch die damalige Mode auch nach unsern Begriffen
sehr "schick" gehaltenen Frauentracht. Die weiblichen Heiligen, die sich um die
Madonna versammeln, dürften, wie allerdings auch sonst bei Memling. das
Kostüm der vornehmsten Damen des burgundischen Hofes, den Mantel der
französischen Herzoginnen, tragen, und sie tun es nicht nur mit Würde, sondern
Mit vieler Grazie. Damit ist der Eindruck des gesamten Werkes bestimmt und
auch die Entwicklung der altniederländischen Malerei gekennzeichnet. Wenn Jan
van Guck und seine Gesinnungsgenossen in den Anfangszeiten der Schule die
Bewohner des Himmels, wie man wohl gesagt hat, auf die Erde verpflanzten,
so hat sie Memling uns noch näher gebracht und dem religiösen Bild,
dem er doch seine ganze Weihe ließ, doch den Zauber persönlicher Poesie
gegeben."

Das ist es überhaupt, was ihn vor seinen Vorgängern und landsmännischen
Zeitgenossen auszeichnet. Er ist so voll zarter Innigkeit, so voll Hingebung an


Grenzboteii III 1910 ^
Hans Memling

Aus den nächsten Jahren verzeichnet Voll eine Anzahl Bilder, meist Porträts,
deren Autorschaft immerhin Zweifeln unterworfen ist. Die Ansichten in solchen
Dingen gehen natürlich leicht auseinander. Crowe und Cavalcaselle, Geschichte
der altniederländischen Malerei, glauben in einem zu Turin befindlichen Tafel¬
bilde mit den sieben Schmerzen der Maria ein nachweislich im Jahre 1478
an den „Meester Hans" bezahltes Bild nachweisen zu können. Voll erwähnt
es gar nicht einmal, so daß die Theorie wohl als abgetan gilt.

Von 1470 an wird die Kunde von dem in aller Stille schaffenden Meister
zu Brügge deutlicher. Im Mai 1480 ist Memling nachweislich der Besitzer
zweier mit Ziegeln gedeckter Häuser und eines Stückes Land, wofür er einen
Grundzins zu entrichten hat. Während des Krieges zwischen Burgund und
Frankreich von 1479 bis 1482 ist Memling eine der zweihundertvierzig Personen,
die Anteile einer Kriegsanleihe übernehmen. Er ist also schon ein wohlhabender
Mann geworden.

Von 1479 stammt der herrliche „Johannes-Altar" im Johannes-Hospital
zu Brügge, dessen Mittelbild eine Vermählung der heil. Katharina mit dem
Jesuskindchen darstellt, einer Szene, die an die gleichzeitige lombardische Malerei
erinnert. Die Flügel tragen auf der Innenseite den Apokalyptiker Johannes,
wie er Visionen hat, und den Täufer Johannes im Augenblick seiner Enthauptung.
Die Außenseiten der Flügel enthalten die Stifter mit Heiligen. Hier steht
Memling vollkommen auf der Höhe seiner Kunst. Das Werk wird mit Recht
zu den schönsten gerechnet, die seiner Palette entsprungen sind. Neben dem
Ursula-Schrein ist es der stärkste Magnet des Johannes-Hospitals. „Memling",
so sagt Karl Voll, „wollte hier nicht nur ein köstliches, traumseliges Idyll geben,
wie er es so oft in seinen Bildern getan hatte. Was er an Anmut und Poesie
über die Madonnendarstellung der Haupttafel ausgegossen, hat. das gewann
seinen Reiz aus der freudigen Beobachtung der Schönheiten unsrer Welt, im
besonderen aber aus einer selbst für das fünfzehnte Jahrhundert ungewöhnlichen
Freude an der Eleganz der durch die damalige Mode auch nach unsern Begriffen
sehr „schick" gehaltenen Frauentracht. Die weiblichen Heiligen, die sich um die
Madonna versammeln, dürften, wie allerdings auch sonst bei Memling. das
Kostüm der vornehmsten Damen des burgundischen Hofes, den Mantel der
französischen Herzoginnen, tragen, und sie tun es nicht nur mit Würde, sondern
Mit vieler Grazie. Damit ist der Eindruck des gesamten Werkes bestimmt und
auch die Entwicklung der altniederländischen Malerei gekennzeichnet. Wenn Jan
van Guck und seine Gesinnungsgenossen in den Anfangszeiten der Schule die
Bewohner des Himmels, wie man wohl gesagt hat, auf die Erde verpflanzten,
so hat sie Memling uns noch näher gebracht und dem religiösen Bild,
dem er doch seine ganze Weihe ließ, doch den Zauber persönlicher Poesie
gegeben."

Das ist es überhaupt, was ihn vor seinen Vorgängern und landsmännischen
Zeitgenossen auszeichnet. Er ist so voll zarter Innigkeit, so voll Hingebung an


Grenzboteii III 1910 ^
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[0141] Hans Memling Aus den nächsten Jahren verzeichnet Voll eine Anzahl Bilder, meist Porträts, deren Autorschaft immerhin Zweifeln unterworfen ist. Die Ansichten in solchen Dingen gehen natürlich leicht auseinander. Crowe und Cavalcaselle, Geschichte der altniederländischen Malerei, glauben in einem zu Turin befindlichen Tafel¬ bilde mit den sieben Schmerzen der Maria ein nachweislich im Jahre 1478 an den „Meester Hans" bezahltes Bild nachweisen zu können. Voll erwähnt es gar nicht einmal, so daß die Theorie wohl als abgetan gilt. Von 1470 an wird die Kunde von dem in aller Stille schaffenden Meister zu Brügge deutlicher. Im Mai 1480 ist Memling nachweislich der Besitzer zweier mit Ziegeln gedeckter Häuser und eines Stückes Land, wofür er einen Grundzins zu entrichten hat. Während des Krieges zwischen Burgund und Frankreich von 1479 bis 1482 ist Memling eine der zweihundertvierzig Personen, die Anteile einer Kriegsanleihe übernehmen. Er ist also schon ein wohlhabender Mann geworden. Von 1479 stammt der herrliche „Johannes-Altar" im Johannes-Hospital zu Brügge, dessen Mittelbild eine Vermählung der heil. Katharina mit dem Jesuskindchen darstellt, einer Szene, die an die gleichzeitige lombardische Malerei erinnert. Die Flügel tragen auf der Innenseite den Apokalyptiker Johannes, wie er Visionen hat, und den Täufer Johannes im Augenblick seiner Enthauptung. Die Außenseiten der Flügel enthalten die Stifter mit Heiligen. Hier steht Memling vollkommen auf der Höhe seiner Kunst. Das Werk wird mit Recht zu den schönsten gerechnet, die seiner Palette entsprungen sind. Neben dem Ursula-Schrein ist es der stärkste Magnet des Johannes-Hospitals. „Memling", so sagt Karl Voll, „wollte hier nicht nur ein köstliches, traumseliges Idyll geben, wie er es so oft in seinen Bildern getan hatte. Was er an Anmut und Poesie über die Madonnendarstellung der Haupttafel ausgegossen, hat. das gewann seinen Reiz aus der freudigen Beobachtung der Schönheiten unsrer Welt, im besonderen aber aus einer selbst für das fünfzehnte Jahrhundert ungewöhnlichen Freude an der Eleganz der durch die damalige Mode auch nach unsern Begriffen sehr „schick" gehaltenen Frauentracht. Die weiblichen Heiligen, die sich um die Madonna versammeln, dürften, wie allerdings auch sonst bei Memling. das Kostüm der vornehmsten Damen des burgundischen Hofes, den Mantel der französischen Herzoginnen, tragen, und sie tun es nicht nur mit Würde, sondern Mit vieler Grazie. Damit ist der Eindruck des gesamten Werkes bestimmt und auch die Entwicklung der altniederländischen Malerei gekennzeichnet. Wenn Jan van Guck und seine Gesinnungsgenossen in den Anfangszeiten der Schule die Bewohner des Himmels, wie man wohl gesagt hat, auf die Erde verpflanzten, so hat sie Memling uns noch näher gebracht und dem religiösen Bild, dem er doch seine ganze Weihe ließ, doch den Zauber persönlicher Poesie gegeben." Das ist es überhaupt, was ihn vor seinen Vorgängern und landsmännischen Zeitgenossen auszeichnet. Er ist so voll zarter Innigkeit, so voll Hingebung an Grenzboteii III 1910 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/141>, abgerufen am 23.07.2024.