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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Austauschprofessor

Herr Doktor Jerum. Des Postwirts Fuchsstute wurde vorgespannt, und dann
ging's heidi! rattattattah! nach Bergstadt.

Miß Alice sprach unterwegs kein Wort.

Die Unterhaltung wurde ausschließlich von den Droschkenkutschern bestritten,
die sich in der Zwischenzeit bei des Postwirts Getränken mächtig angefreundet
hatten.

Als man in Bergstadt eintraf, leerten sich gerade die Kneipen. Oberpost¬
sekretär Krause mit Frau und Tochter Maki, Professor Graunzer, Deichinspektor
Lühmann, Mühlenbesitzer Kloksnut, sämtlich mit Gattinnen, verabschiedeten
sich gerade vor dem Tor von .Stadt Hamburg', um nach Hause zu gehen --
da kam des Kruslaker Postwirts Stuhlwagen daher.

Auf dem Vordersitz der Automobilneger von heute morgen! Auf dem Rücksitz
Doktor Jerum mit einer alten Soldatenmütze auf dem Kopf, neben ihm die
durch einen Schal dick vermummte unbekannte Dame!

Hin, hin, hin, hin! El, el, el, el!

So ähnlich dachte auch Doktor Jerums Direktor, der vom Bahnhof kam,
und Polizeisergeant Bunte, der auf der Bahnhofstraße Patrouille ging.

Hin, hur! -- El, el! -- Hin, hin!

Am Bahnhof verabschiedete sich Miß Granton mit einigen konventionellen
Worten von Doktor Jerum, verabfolgte ihm seinen Schal, befahl ihrem Ilm,
sofort das Aut für Hamburg anzuheizen, -- und begab sich ins Bahnhofshotel.

Da stand nun Doktor Jerum, naß und halb erfroren, vorm Bahnhofshotel
und dachte über seine Erlebnisse nach. Er wollte zuerst nach Hause gehen, ging
dann aber lieber nach .Stadt Hamburg'. Hier war's, wie er's sich gedacht
hatte, ziemlich leer. Nur seine Freunde, Assessor Weißnix, Buchhändler Negen-
schwert und Dr. Jug. Viola, waren noch da und stritten sich -- selbstverständlich --
über Zeppelin.

"Donnerwetter -- Jerum!" rief der Assessor.

"Und in Uniform", fügte Doktor Viola hinzu. (Doktor Jerum hatte nämlich
nicht an seine Soldatenmütze gedacht.)

"Nu verteilen S' man mal, oll Fründ", sagte Buchhändler Negenschwert.

"Mit Ihnen, das ist ja -- das ist ja -- der reine Roman."

"Leihbibliotheksroman," lachte der Assessor, "was für Sie, Negenschwert."
Negenschwert hatte nämlich auch eine Leihbibliothek.

Jerum erzählte aber nicht sehr viel. Er trank nur so viel Grog, als sein
durchfeuchteter Zustand erforderte, und ging dann nach Hause.




Den Sonnabend darauf ^ er hatte sich inzwischen bei seinem Direktor
und anderen Leuten einigermaßen befriedigend herausgelogen -- saß Doktor
Jerum, etwa um die achte Abendstunde, wieder mit seinen Kumpanen beim
Dämmerschoppen.


Der Austauschprofessor

Herr Doktor Jerum. Des Postwirts Fuchsstute wurde vorgespannt, und dann
ging's heidi! rattattattah! nach Bergstadt.

Miß Alice sprach unterwegs kein Wort.

Die Unterhaltung wurde ausschließlich von den Droschkenkutschern bestritten,
die sich in der Zwischenzeit bei des Postwirts Getränken mächtig angefreundet
hatten.

Als man in Bergstadt eintraf, leerten sich gerade die Kneipen. Oberpost¬
sekretär Krause mit Frau und Tochter Maki, Professor Graunzer, Deichinspektor
Lühmann, Mühlenbesitzer Kloksnut, sämtlich mit Gattinnen, verabschiedeten
sich gerade vor dem Tor von .Stadt Hamburg', um nach Hause zu gehen —
da kam des Kruslaker Postwirts Stuhlwagen daher.

Auf dem Vordersitz der Automobilneger von heute morgen! Auf dem Rücksitz
Doktor Jerum mit einer alten Soldatenmütze auf dem Kopf, neben ihm die
durch einen Schal dick vermummte unbekannte Dame!

Hin, hin, hin, hin! El, el, el, el!

So ähnlich dachte auch Doktor Jerums Direktor, der vom Bahnhof kam,
und Polizeisergeant Bunte, der auf der Bahnhofstraße Patrouille ging.

Hin, hur! — El, el! — Hin, hin!

Am Bahnhof verabschiedete sich Miß Granton mit einigen konventionellen
Worten von Doktor Jerum, verabfolgte ihm seinen Schal, befahl ihrem Ilm,
sofort das Aut für Hamburg anzuheizen, — und begab sich ins Bahnhofshotel.

Da stand nun Doktor Jerum, naß und halb erfroren, vorm Bahnhofshotel
und dachte über seine Erlebnisse nach. Er wollte zuerst nach Hause gehen, ging
dann aber lieber nach .Stadt Hamburg'. Hier war's, wie er's sich gedacht
hatte, ziemlich leer. Nur seine Freunde, Assessor Weißnix, Buchhändler Negen-
schwert und Dr. Jug. Viola, waren noch da und stritten sich — selbstverständlich —
über Zeppelin.

„Donnerwetter — Jerum!" rief der Assessor.

„Und in Uniform", fügte Doktor Viola hinzu. (Doktor Jerum hatte nämlich
nicht an seine Soldatenmütze gedacht.)

„Nu verteilen S' man mal, oll Fründ", sagte Buchhändler Negenschwert.

„Mit Ihnen, das ist ja — das ist ja — der reine Roman."

„Leihbibliotheksroman," lachte der Assessor, „was für Sie, Negenschwert."
Negenschwert hatte nämlich auch eine Leihbibliothek.

Jerum erzählte aber nicht sehr viel. Er trank nur so viel Grog, als sein
durchfeuchteter Zustand erforderte, und ging dann nach Hause.




Den Sonnabend darauf ^ er hatte sich inzwischen bei seinem Direktor
und anderen Leuten einigermaßen befriedigend herausgelogen — saß Doktor
Jerum, etwa um die achte Abendstunde, wieder mit seinen Kumpanen beim
Dämmerschoppen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/631>, abgerufen am 22.07.2024.