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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Austauschprofcssor

Um es auch den minderbemittelten Volkskreisen zu erleichtern, sich ohne
zare Opfer an dem großen sozialen Hilfswerke zu beteiligen, müßte der
Verwaltungsausschuß Notschatzmarken etwa zu 2, 5 und 10 Pf. in künstlerischer
Ausführung herausgeben. Der Gebrauch dieser Marken würde sich schnell ein¬
bürgern, da ihre Verwendung äußerst mannigfach ist. Auf Briefen und Post¬
karten, auf Einladungen, Verlobungs- Vcrmählungs- und Geburtsanzeigen, auch
auf Tischkarten usw. wäre die Notschatzmarke nicht nur ein Schmuck, sondern
auch der Beweis, daß man der notleidenden Volksgenossen gedacht hat. Man
sage nicht, daß das nichts einbrächte: wenn jeder und jede erwachsene Deutsche
in jedem Monat nur eine einzige Marke zu 2 Pf. verwendete, kämen schon
über 10 Millionen Mark im Jahre heraus!

Außer der dauernden Anregung durch das Nachrichtenblatt, aus dem ja
auch die übrige Presse vieles entnähme und weitergäbe, würden die unaus¬
bleiblichen, sich stets wiederholenden großen Unglücksfälle und Verheerungen die
Gcbefreudigkeit des deutschen Volkes stets von neuem erwecken, so daß man über
das dauernde Fortbestehen des Notschatzes nicht in Sorge zu sein brauchte.
Schon im Hinblick auf seine sehr volkstümliche Bestimmung im Kriegsfalle würden
viele Spenden dauernd und alljährlich wiederholt fließen.

Außer in der praktisch überaus wertvollen Hilfe, die der Reichsnotschatz zu
jeder Stunde sofort und wirksam gewähren kann, liegt seine Bedeutung auch in
dem unverkennbaren sozialen Fortschritt, daß große Schäden durch die Selbst¬
hilfe des Volkes, ohne Anrufen des Staates, gemildert würden. Der Neichs-
notschatz wäre aber auch eine große Beruhigung für alle Bevölkerungskreise, da
diese sich für den Fall plötzlicher Not wenigstens vor den schlimmsten materiellen
Folgen der Naturereignisse usw. nach Möglichkeit geschützt wüßten.

Gerade jetzt pocht die Not wieder vernehmlich an viele Türen, wer hilft
sie für die Zukunft bannen durch freudiges Eintreten für Schaffung eines
N Hermann Lhrhcird, Oberinspektor im Rcichsxostamt eichsnotschatzes?




Der Austauschprofessor
Humoreske
von Wilhelm Pocal-Lullu

4)

Der Sturm wurde schließlich so stark, daß Miß Alice nicht mehr weiter
konnte. Sie war naß von oben bis unten. Noch nasser war Doktor Jerum,
denn sein -- übrigens noch nicht bezahlter -- Paletot war ja kein fohlenlcderner
Panzer, wie ihn seine Gefährtin trug. Sein Hut hatte sich -- man darf den
Ausdruck in diesem Falle wohl gebrauchen -- verflüchtigt. Doktor Jerum hatte


Der Austauschprofcssor

Um es auch den minderbemittelten Volkskreisen zu erleichtern, sich ohne
zare Opfer an dem großen sozialen Hilfswerke zu beteiligen, müßte der
Verwaltungsausschuß Notschatzmarken etwa zu 2, 5 und 10 Pf. in künstlerischer
Ausführung herausgeben. Der Gebrauch dieser Marken würde sich schnell ein¬
bürgern, da ihre Verwendung äußerst mannigfach ist. Auf Briefen und Post¬
karten, auf Einladungen, Verlobungs- Vcrmählungs- und Geburtsanzeigen, auch
auf Tischkarten usw. wäre die Notschatzmarke nicht nur ein Schmuck, sondern
auch der Beweis, daß man der notleidenden Volksgenossen gedacht hat. Man
sage nicht, daß das nichts einbrächte: wenn jeder und jede erwachsene Deutsche
in jedem Monat nur eine einzige Marke zu 2 Pf. verwendete, kämen schon
über 10 Millionen Mark im Jahre heraus!

Außer der dauernden Anregung durch das Nachrichtenblatt, aus dem ja
auch die übrige Presse vieles entnähme und weitergäbe, würden die unaus¬
bleiblichen, sich stets wiederholenden großen Unglücksfälle und Verheerungen die
Gcbefreudigkeit des deutschen Volkes stets von neuem erwecken, so daß man über
das dauernde Fortbestehen des Notschatzes nicht in Sorge zu sein brauchte.
Schon im Hinblick auf seine sehr volkstümliche Bestimmung im Kriegsfalle würden
viele Spenden dauernd und alljährlich wiederholt fließen.

Außer in der praktisch überaus wertvollen Hilfe, die der Reichsnotschatz zu
jeder Stunde sofort und wirksam gewähren kann, liegt seine Bedeutung auch in
dem unverkennbaren sozialen Fortschritt, daß große Schäden durch die Selbst¬
hilfe des Volkes, ohne Anrufen des Staates, gemildert würden. Der Neichs-
notschatz wäre aber auch eine große Beruhigung für alle Bevölkerungskreise, da
diese sich für den Fall plötzlicher Not wenigstens vor den schlimmsten materiellen
Folgen der Naturereignisse usw. nach Möglichkeit geschützt wüßten.

Gerade jetzt pocht die Not wieder vernehmlich an viele Türen, wer hilft
sie für die Zukunft bannen durch freudiges Eintreten für Schaffung eines
N Hermann Lhrhcird, Oberinspektor im Rcichsxostamt eichsnotschatzes?




Der Austauschprofessor
Humoreske
von Wilhelm Pocal-Lullu

4)

Der Sturm wurde schließlich so stark, daß Miß Alice nicht mehr weiter
konnte. Sie war naß von oben bis unten. Noch nasser war Doktor Jerum,
denn sein — übrigens noch nicht bezahlter — Paletot war ja kein fohlenlcderner
Panzer, wie ihn seine Gefährtin trug. Sein Hut hatte sich — man darf den
Ausdruck in diesem Falle wohl gebrauchen — verflüchtigt. Doktor Jerum hatte


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[0625] Der Austauschprofcssor Um es auch den minderbemittelten Volkskreisen zu erleichtern, sich ohne zare Opfer an dem großen sozialen Hilfswerke zu beteiligen, müßte der Verwaltungsausschuß Notschatzmarken etwa zu 2, 5 und 10 Pf. in künstlerischer Ausführung herausgeben. Der Gebrauch dieser Marken würde sich schnell ein¬ bürgern, da ihre Verwendung äußerst mannigfach ist. Auf Briefen und Post¬ karten, auf Einladungen, Verlobungs- Vcrmählungs- und Geburtsanzeigen, auch auf Tischkarten usw. wäre die Notschatzmarke nicht nur ein Schmuck, sondern auch der Beweis, daß man der notleidenden Volksgenossen gedacht hat. Man sage nicht, daß das nichts einbrächte: wenn jeder und jede erwachsene Deutsche in jedem Monat nur eine einzige Marke zu 2 Pf. verwendete, kämen schon über 10 Millionen Mark im Jahre heraus! Außer der dauernden Anregung durch das Nachrichtenblatt, aus dem ja auch die übrige Presse vieles entnähme und weitergäbe, würden die unaus¬ bleiblichen, sich stets wiederholenden großen Unglücksfälle und Verheerungen die Gcbefreudigkeit des deutschen Volkes stets von neuem erwecken, so daß man über das dauernde Fortbestehen des Notschatzes nicht in Sorge zu sein brauchte. Schon im Hinblick auf seine sehr volkstümliche Bestimmung im Kriegsfalle würden viele Spenden dauernd und alljährlich wiederholt fließen. Außer in der praktisch überaus wertvollen Hilfe, die der Reichsnotschatz zu jeder Stunde sofort und wirksam gewähren kann, liegt seine Bedeutung auch in dem unverkennbaren sozialen Fortschritt, daß große Schäden durch die Selbst¬ hilfe des Volkes, ohne Anrufen des Staates, gemildert würden. Der Neichs- notschatz wäre aber auch eine große Beruhigung für alle Bevölkerungskreise, da diese sich für den Fall plötzlicher Not wenigstens vor den schlimmsten materiellen Folgen der Naturereignisse usw. nach Möglichkeit geschützt wüßten. Gerade jetzt pocht die Not wieder vernehmlich an viele Türen, wer hilft sie für die Zukunft bannen durch freudiges Eintreten für Schaffung eines N Hermann Lhrhcird, Oberinspektor im Rcichsxostamt eichsnotschatzes? Der Austauschprofessor Humoreske von Wilhelm Pocal-Lullu 4) Der Sturm wurde schließlich so stark, daß Miß Alice nicht mehr weiter konnte. Sie war naß von oben bis unten. Noch nasser war Doktor Jerum, denn sein — übrigens noch nicht bezahlter — Paletot war ja kein fohlenlcderner Panzer, wie ihn seine Gefährtin trug. Sein Hut hatte sich — man darf den Ausdruck in diesem Falle wohl gebrauchen — verflüchtigt. Doktor Jerum hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/625>, abgerufen am 22.07.2024.