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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

an volkstümlichen lustigen Hervorbringungen. Zum Kutschkelied ist manches
ähnliche Erzeugnis hinzugekommen. Die Soldaten politisieren:

Sie spaßen:

Auch die Daheimgebliebenen finden bei allem Ernst fröhliche Stimmungen,
neben dem Pathos leichte Töne. Das "Kriegsgedenkbuch aus dem .Kladde¬
radatsch'", das Johannes Trojan und Julius Lohmeyer gemeinsam veröffentlicht
haben, zähle ich zu den literarisch wertvollen Schriften des siebziger Krieges.
Neben durchaus ernsten Stücken, neben treffendem Witz und scharfer Satire ist
hier auch mehrfach ein wirklicher Humor anzutreffen. So wird in Lohmeyers
"Lyrischen Patronenhülsen eines gefühlvollen Landwehrmannes" anschaulich
geschildert, "wie wir Metz erobern":

Es is eine schöne Jejend
Um diese Festung hier,
Und Wenn's manchmal nich rejent,
Denn sieht man was von ihr.
Jewöhnlich rejnet's jrnßlich
Und jieße daneben her,
Und is das Wetter häßlich,
Denn plattere's noch viel mehr.


Das Enzge, was noch trocken,
Sind Kehle und Humor.
Kurz, dieser Heroismus
Is nich janz ohne Reiz: ^
Mich zieht der Rheumatismus
Fürs Unterland durchs Kreuz,
In: Halse bin ich heiser
Ooch seit oerwichne Nacht:
So wird der Deutsche Kaiser
Im einzelnen jemncht.

Der Hinweis auf die kleinen Leiden, auf die stolzen Gefühle des namen¬
losen Einzelnen, der mitwirkt an der Reichsgründung, ist doppelt wertwoll, wo
die Mehrzahl der Dichter deu Einzelnen über der Gesamtheit aus dem Auge
verliert. Wohl auch verliere" muß, denn Hingabe der Persönlichkeit an das
Ganze zu predigen und darzustellen, Schilderer des Ganzen zu sein, ist ja die
eigentliche Aufgabe des politischen Dichters. Deshalb wird man auch die vom
Individuellen unbeirrten Kriegssänger Freiligrath und Geibel immer die Meister
der siebziger Lyrik nennen müssen. Dem Herzen des modernen Lesers aber
mag doch vielleicht ein Dichter näher kommen, der -- ohne Verengung des
Ideenkreises, nur bei geringerem Pathos -- die Gefühle des Einzelnen bis¬
weilen im Scherz und häufig im bittersten Ernst sehr nachdrücklich betonte. Ich


Die Lyrik des siebziger Krieges

an volkstümlichen lustigen Hervorbringungen. Zum Kutschkelied ist manches
ähnliche Erzeugnis hinzugekommen. Die Soldaten politisieren:

Sie spaßen:

Auch die Daheimgebliebenen finden bei allem Ernst fröhliche Stimmungen,
neben dem Pathos leichte Töne. Das „Kriegsgedenkbuch aus dem .Kladde¬
radatsch'", das Johannes Trojan und Julius Lohmeyer gemeinsam veröffentlicht
haben, zähle ich zu den literarisch wertvollen Schriften des siebziger Krieges.
Neben durchaus ernsten Stücken, neben treffendem Witz und scharfer Satire ist
hier auch mehrfach ein wirklicher Humor anzutreffen. So wird in Lohmeyers
„Lyrischen Patronenhülsen eines gefühlvollen Landwehrmannes" anschaulich
geschildert, „wie wir Metz erobern":

Es is eine schöne Jejend
Um diese Festung hier,
Und Wenn's manchmal nich rejent,
Denn sieht man was von ihr.
Jewöhnlich rejnet's jrnßlich
Und jieße daneben her,
Und is das Wetter häßlich,
Denn plattere's noch viel mehr.


Das Enzge, was noch trocken,
Sind Kehle und Humor.
Kurz, dieser Heroismus
Is nich janz ohne Reiz: ^
Mich zieht der Rheumatismus
Fürs Unterland durchs Kreuz,
In: Halse bin ich heiser
Ooch seit oerwichne Nacht:
So wird der Deutsche Kaiser
Im einzelnen jemncht.

Der Hinweis auf die kleinen Leiden, auf die stolzen Gefühle des namen¬
losen Einzelnen, der mitwirkt an der Reichsgründung, ist doppelt wertwoll, wo
die Mehrzahl der Dichter deu Einzelnen über der Gesamtheit aus dem Auge
verliert. Wohl auch verliere« muß, denn Hingabe der Persönlichkeit an das
Ganze zu predigen und darzustellen, Schilderer des Ganzen zu sein, ist ja die
eigentliche Aufgabe des politischen Dichters. Deshalb wird man auch die vom
Individuellen unbeirrten Kriegssänger Freiligrath und Geibel immer die Meister
der siebziger Lyrik nennen müssen. Dem Herzen des modernen Lesers aber
mag doch vielleicht ein Dichter näher kommen, der — ohne Verengung des
Ideenkreises, nur bei geringerem Pathos — die Gefühle des Einzelnen bis¬
weilen im Scherz und häufig im bittersten Ernst sehr nachdrücklich betonte. Ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/620>, abgerufen am 03.07.2024.