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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

Erst an solche noch weiter ausgedehnte Schilderungen schließen sich dann die
wehmütigen Betrachtungen des Predigers an, die in den Glauben an göttliche
Weltlenkung münden.

Mit seinem Sinn für das Beschreibende stellt sich der fromme Gerok nahe
neben den unkirchlich lustigen Julius Wolfs. Wolff, der am Kriege als Land¬
wehroffizier teilnahm und seine Eindrücke und Empfindungen in einem Versband
"Aus dem Felde" sammelte, hat lange Zeit hohes Ansehen genossen. Jetzt kennt
man von seinen Kriegsgedichten fast nur noch das Prunkstück: "Die Fahne
der Einundsechziger." (Das gleiche Thema hat auch Gerok sehr viel schlichter
behandelt.) Wolff schildert den Sturmangriff auf eine Fabrik, die von den
Garibaldianern gehalten wird. Die kleine deutsche Truppe wird zusammen¬
geschossen, ihre Fahne bleibt auf dem Schlachtfeld unter einem Leichenhügel.

Wenn ich gegen das Gedicht Bedenken habe, so richten sich diese weniger
gegen Unbeholfenheiten der Wortstellung, als dagegen, daß der Erzähler des
Kampfes gern den schlichten und treffenden Ausdruck mit einer ihm poetischer
scheinenden Phrase, mit einem abgegriffenem Bilde vertauscht. Der Fallende
küßt mit bleichem Mund die Erde, die Wage schwankt in der Hand des Kriegs¬
gottes. . . . Immerhin bietet das Gedicht eine durchgeführte lebendige Schilderung
des Vorganges. Was dem Ruhm dieses Dichters inzwischen einigermaßen Abbruch
getan hat, das dürften wohl die höheren Ansprüche sein, die der moderne Leser
an die Schärfe und Kraft der Schilderung zu stellen gelernt hat. Genauer
gesagt: Die später entstandenen Kriegsbilder Detlev v. Liliencrons haben den
Beschreibungen Julius Wolffs und ähnlich gerichteter Darsteller von Scharmützeln,
Belagerungsszenen und anderen Feldgeschichten gewissermaßen etwas von ihrer
Daseinsberechtigung genommen. Solche späteren Kriegsdichtungen aber, also
auch die Wildenbruchschen, in denen man vielleicht das Bindeglied zwischen
Wolff und Liliencron sehen kann, fallen aus dem Rahmen einer der unmittel¬
baren Kriegslyrik geltenden Arbeit.

Kulturhistorisch sind Wolffs Verse vielleicht durch ihre häufige Lustigkeit am
wertvollsten. Eigentlichen Humor besitzen sie kaum; dazu ist der Dichter nicht
tief genug veranlagt. Aber gerade das ist für die Freude als Grundton der
deutschen Kriegsstimmung so bezeichnend, daß dieser dichtende Offizier inmitten
aller Schrecken und Gefahren so oft harmlos vergnügt und zum Scherz aufgelegt
ist. Er ist nur einer unter vielen vergnügten Reimern; es fehlt im Heere nicht


Die Lyrik des siebziger Krieges

Erst an solche noch weiter ausgedehnte Schilderungen schließen sich dann die
wehmütigen Betrachtungen des Predigers an, die in den Glauben an göttliche
Weltlenkung münden.

Mit seinem Sinn für das Beschreibende stellt sich der fromme Gerok nahe
neben den unkirchlich lustigen Julius Wolfs. Wolff, der am Kriege als Land¬
wehroffizier teilnahm und seine Eindrücke und Empfindungen in einem Versband
„Aus dem Felde" sammelte, hat lange Zeit hohes Ansehen genossen. Jetzt kennt
man von seinen Kriegsgedichten fast nur noch das Prunkstück: „Die Fahne
der Einundsechziger." (Das gleiche Thema hat auch Gerok sehr viel schlichter
behandelt.) Wolff schildert den Sturmangriff auf eine Fabrik, die von den
Garibaldianern gehalten wird. Die kleine deutsche Truppe wird zusammen¬
geschossen, ihre Fahne bleibt auf dem Schlachtfeld unter einem Leichenhügel.

Wenn ich gegen das Gedicht Bedenken habe, so richten sich diese weniger
gegen Unbeholfenheiten der Wortstellung, als dagegen, daß der Erzähler des
Kampfes gern den schlichten und treffenden Ausdruck mit einer ihm poetischer
scheinenden Phrase, mit einem abgegriffenem Bilde vertauscht. Der Fallende
küßt mit bleichem Mund die Erde, die Wage schwankt in der Hand des Kriegs¬
gottes. . . . Immerhin bietet das Gedicht eine durchgeführte lebendige Schilderung
des Vorganges. Was dem Ruhm dieses Dichters inzwischen einigermaßen Abbruch
getan hat, das dürften wohl die höheren Ansprüche sein, die der moderne Leser
an die Schärfe und Kraft der Schilderung zu stellen gelernt hat. Genauer
gesagt: Die später entstandenen Kriegsbilder Detlev v. Liliencrons haben den
Beschreibungen Julius Wolffs und ähnlich gerichteter Darsteller von Scharmützeln,
Belagerungsszenen und anderen Feldgeschichten gewissermaßen etwas von ihrer
Daseinsberechtigung genommen. Solche späteren Kriegsdichtungen aber, also
auch die Wildenbruchschen, in denen man vielleicht das Bindeglied zwischen
Wolff und Liliencron sehen kann, fallen aus dem Rahmen einer der unmittel¬
baren Kriegslyrik geltenden Arbeit.

Kulturhistorisch sind Wolffs Verse vielleicht durch ihre häufige Lustigkeit am
wertvollsten. Eigentlichen Humor besitzen sie kaum; dazu ist der Dichter nicht
tief genug veranlagt. Aber gerade das ist für die Freude als Grundton der
deutschen Kriegsstimmung so bezeichnend, daß dieser dichtende Offizier inmitten
aller Schrecken und Gefahren so oft harmlos vergnügt und zum Scherz aufgelegt
ist. Er ist nur einer unter vielen vergnügten Reimern; es fehlt im Heere nicht


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[0619] Die Lyrik des siebziger Krieges Erst an solche noch weiter ausgedehnte Schilderungen schließen sich dann die wehmütigen Betrachtungen des Predigers an, die in den Glauben an göttliche Weltlenkung münden. Mit seinem Sinn für das Beschreibende stellt sich der fromme Gerok nahe neben den unkirchlich lustigen Julius Wolfs. Wolff, der am Kriege als Land¬ wehroffizier teilnahm und seine Eindrücke und Empfindungen in einem Versband „Aus dem Felde" sammelte, hat lange Zeit hohes Ansehen genossen. Jetzt kennt man von seinen Kriegsgedichten fast nur noch das Prunkstück: „Die Fahne der Einundsechziger." (Das gleiche Thema hat auch Gerok sehr viel schlichter behandelt.) Wolff schildert den Sturmangriff auf eine Fabrik, die von den Garibaldianern gehalten wird. Die kleine deutsche Truppe wird zusammen¬ geschossen, ihre Fahne bleibt auf dem Schlachtfeld unter einem Leichenhügel. Wenn ich gegen das Gedicht Bedenken habe, so richten sich diese weniger gegen Unbeholfenheiten der Wortstellung, als dagegen, daß der Erzähler des Kampfes gern den schlichten und treffenden Ausdruck mit einer ihm poetischer scheinenden Phrase, mit einem abgegriffenem Bilde vertauscht. Der Fallende küßt mit bleichem Mund die Erde, die Wage schwankt in der Hand des Kriegs¬ gottes. . . . Immerhin bietet das Gedicht eine durchgeführte lebendige Schilderung des Vorganges. Was dem Ruhm dieses Dichters inzwischen einigermaßen Abbruch getan hat, das dürften wohl die höheren Ansprüche sein, die der moderne Leser an die Schärfe und Kraft der Schilderung zu stellen gelernt hat. Genauer gesagt: Die später entstandenen Kriegsbilder Detlev v. Liliencrons haben den Beschreibungen Julius Wolffs und ähnlich gerichteter Darsteller von Scharmützeln, Belagerungsszenen und anderen Feldgeschichten gewissermaßen etwas von ihrer Daseinsberechtigung genommen. Solche späteren Kriegsdichtungen aber, also auch die Wildenbruchschen, in denen man vielleicht das Bindeglied zwischen Wolff und Liliencron sehen kann, fallen aus dem Rahmen einer der unmittel¬ baren Kriegslyrik geltenden Arbeit. Kulturhistorisch sind Wolffs Verse vielleicht durch ihre häufige Lustigkeit am wertvollsten. Eigentlichen Humor besitzen sie kaum; dazu ist der Dichter nicht tief genug veranlagt. Aber gerade das ist für die Freude als Grundton der deutschen Kriegsstimmung so bezeichnend, daß dieser dichtende Offizier inmitten aller Schrecken und Gefahren so oft harmlos vergnügt und zum Scherz aufgelegt ist. Er ist nur einer unter vielen vergnügten Reimern; es fehlt im Heere nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/619>, abgerufen am 03.07.2024.