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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

meine Wilhelm Imsen, dessen wunderschöne "Lieder aus Frankreich" längst
nicht mehr genügende Würdigung finden. Dies reiche Buch allein sollte eigentlich
genügen, das Wort von dein geringen Wert der siebziger Poesie hinfällig zu
machen. Wilhelm Jensei: malt aufs schlichteste die Gefühle eines friedlichen
Träumers im Heer. Sehnsucht nach den Angehörigen, Angst um deren Angst,
Qual des Tötenmüssens, Mitleid mit dein Feinde als einzelnem Menschen
kommen zu Worte. Dabei ist in diesem Träumer nichts kleinlich Enges und
auch nichts Unmännliches.

Das fühlen wir tief innen-.
Wir stehn hier als Soldat
Des Heiligsten, das drinnen
Im Herzen ein jeder hat!
Das ist's, das mit uns schreitet,
Das liegt mit uns ans Wacht;
DaS ist'S, das für uns streitet
Und mit uns zieht zur Schlacht!
Das Kraft gibt zum Vollenden,
Und wenn die Kugel traf,
Uns wie mit Mutterbruten
Die Augen schlicht zum Schlaf.

So ist denn seine Freude über die deutschen Siege, die Eroberung des
Elsaß, sein Haß gegen den Anstifter des Krieges nicht geringer als die der
allgemeiner gerichteten Dichter. Und er empfindet auch jenes "Heiligste" nicht
nur traumhaft; er überblickt auch mit Klarheit den Gang der deutschen Ent¬
wicklung. Er legt sich Rechenschaft ab von dem Preis des großen Blutopfers,
er stellt Forderungen an die Krone, die man eben schmiedet. Nicht das alte
Diadem soll es werden, das so "bittere Furchen in Deutschlands Angesicht
gegraben", vielmehr:

Die Krone, die nicht Deutschlands Mark
In fremden Gauen verzehret;
Die nur die Heimat riesenstark
Gen fremde Gier bewehret I
Die, blutige Flamme" lodernd, nicht
Dem Flug des Geistes wehreti
Die Krone, die mit heiligem Licht
Der Freiheit Saaten nähret!

Sieht man von dem tvrtäischen Pathos ab, das freilich zur weitreichenden
Wirkung eines Kriegsliedes notwendig erscheint, so ist Wilhelm Imsen der
reichste unter den siebziger Dichtern. Und gerade was ihn um jenes Pathos
bringt, ist sein größter Reichtum: er kennt sich in der Vielfältigkeit der Einzel¬
seele zu gut aus, als daß er dauernd das laute Pathos einer einzigen allgemeinen
Stimmung bewahren könnte. In seinen Gedichten ist schon vieles einer neuen
Zeit, viel betont Individuelles. Aber, wenn auch derart abgedämpft, so
sprechen sie doch auch die gleiche Hingabe an das Allgemeine aus, die das
Kennzeichen und den sittlichen Kern der gesamten siebziger Lyrik bildet.


Grenzboten II 1910 77
Die Lyrik des siebziger Krieges

meine Wilhelm Imsen, dessen wunderschöne „Lieder aus Frankreich" längst
nicht mehr genügende Würdigung finden. Dies reiche Buch allein sollte eigentlich
genügen, das Wort von dein geringen Wert der siebziger Poesie hinfällig zu
machen. Wilhelm Jensei: malt aufs schlichteste die Gefühle eines friedlichen
Träumers im Heer. Sehnsucht nach den Angehörigen, Angst um deren Angst,
Qual des Tötenmüssens, Mitleid mit dein Feinde als einzelnem Menschen
kommen zu Worte. Dabei ist in diesem Träumer nichts kleinlich Enges und
auch nichts Unmännliches.

Das fühlen wir tief innen-.
Wir stehn hier als Soldat
Des Heiligsten, das drinnen
Im Herzen ein jeder hat!
Das ist's, das mit uns schreitet,
Das liegt mit uns ans Wacht;
DaS ist'S, das für uns streitet
Und mit uns zieht zur Schlacht!
Das Kraft gibt zum Vollenden,
Und wenn die Kugel traf,
Uns wie mit Mutterbruten
Die Augen schlicht zum Schlaf.

So ist denn seine Freude über die deutschen Siege, die Eroberung des
Elsaß, sein Haß gegen den Anstifter des Krieges nicht geringer als die der
allgemeiner gerichteten Dichter. Und er empfindet auch jenes „Heiligste" nicht
nur traumhaft; er überblickt auch mit Klarheit den Gang der deutschen Ent¬
wicklung. Er legt sich Rechenschaft ab von dem Preis des großen Blutopfers,
er stellt Forderungen an die Krone, die man eben schmiedet. Nicht das alte
Diadem soll es werden, das so „bittere Furchen in Deutschlands Angesicht
gegraben", vielmehr:

Die Krone, die nicht Deutschlands Mark
In fremden Gauen verzehret;
Die nur die Heimat riesenstark
Gen fremde Gier bewehret I
Die, blutige Flamme» lodernd, nicht
Dem Flug des Geistes wehreti
Die Krone, die mit heiligem Licht
Der Freiheit Saaten nähret!

Sieht man von dem tvrtäischen Pathos ab, das freilich zur weitreichenden
Wirkung eines Kriegsliedes notwendig erscheint, so ist Wilhelm Imsen der
reichste unter den siebziger Dichtern. Und gerade was ihn um jenes Pathos
bringt, ist sein größter Reichtum: er kennt sich in der Vielfältigkeit der Einzel¬
seele zu gut aus, als daß er dauernd das laute Pathos einer einzigen allgemeinen
Stimmung bewahren könnte. In seinen Gedichten ist schon vieles einer neuen
Zeit, viel betont Individuelles. Aber, wenn auch derart abgedämpft, so
sprechen sie doch auch die gleiche Hingabe an das Allgemeine aus, die das
Kennzeichen und den sittlichen Kern der gesamten siebziger Lyrik bildet.


Grenzboten II 1910 77
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/621>, abgerufen am 01.07.2024.