Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Der Austauschprofessor "O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den "O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses. "Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. "Zwei bis drei Dutzend, wenn's "Sind denn die Menschen nicht fromm hier?" Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn "Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst, Aber Alice sagte: "Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬ Der Austauschprofessor „O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den „O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses. „Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. „Zwei bis drei Dutzend, wenn's „Sind denn die Menschen nicht fromm hier?" Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn „Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst, Aber Alice sagte: „Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316217"/> <fw type="header" place="top"> Der Austauschprofessor</fw><lb/> <p xml:id="ID_3029"> „O, das tut nichts. 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Wie muß diese Kirche voll sein von Menschen jeden Sonntag.<lb/> Nicht wahr?"</p><lb/> <p xml:id="ID_3032"> „Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. „Zwei bis drei Dutzend, wenn's<lb/> hoch kommt."</p><lb/> <p xml:id="ID_3033"> „Sind denn die Menschen nicht fromm hier?"</p><lb/> <p xml:id="ID_3034"> Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn<lb/> sie alle so wären wie du, dann würde Pastor Lehmann wohl mehr Freude an<lb/> seiner Kirchengemeinde haben. Und er sagte:</p><lb/> <p xml:id="ID_3035"> „Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so<lb/> schrecklich viel auf dein Lande zu tuu, daß sie des Sonntags lieber ausschlafen."</p><lb/> <p xml:id="ID_3036"> Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus<lb/> und leuchteten über das Gestühl und vergoldeten den Altar. Das Gestühl war<lb/> in verschiedenen Abstufungen von Blau gehalten, dem ein leiser Ton Rot bei¬<lb/> gemischt war. So wirkte es warm und anheimelnd. Die Eingangstüren zu<lb/> den Stühlen waren mit köstlichen alten und neuen Intarsien bekleidet, die aller-<lb/> ültesten mit Holzschnitzmerk. Auf den Bänken lagen uralte, mit seidener Kreuzstich¬<lb/> stickerei von vornehmster Farbengebung verzierte Tuchkisseu. Über ihnen waren<lb/> ebenso alte schmiedeeiserne Huthalter der mannigfaltigsten Formen angebracht.<lb/> Im Mittelgange stand ein bronzenes Taufbecken mit geschnitzter Holzkrone. 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Der Austauschprofessor
„O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann
die Trauung."
Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den
er kannte, und lud dann zum Betreten der Kirche ein. Er selbst entschuldigte
sich: er habe noch mit dem Memorieren der Traurede zu tun.
„O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses.
„O, das ist — entzückend! So eine Kirche, so eine Dorfkirche haben wir nicht
in Amerika. Solche Kirche hat man nur in Europa. Wenn ich wohnte in
Altpoggensiel, so ginge ich nicht nur jeden Sonntag in diese Kirche, auch jeden
Wochentag. Wie muß diese Kirche voll sein von Menschen jeden Sonntag.
Nicht wahr?"
„Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. „Zwei bis drei Dutzend, wenn's
hoch kommt."
„Sind denn die Menschen nicht fromm hier?"
Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn
sie alle so wären wie du, dann würde Pastor Lehmann wohl mehr Freude an
seiner Kirchengemeinde haben. Und er sagte:
„Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so
schrecklich viel auf dein Lande zu tuu, daß sie des Sonntags lieber ausschlafen."
Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus
und leuchteten über das Gestühl und vergoldeten den Altar. Das Gestühl war
in verschiedenen Abstufungen von Blau gehalten, dem ein leiser Ton Rot bei¬
gemischt war. So wirkte es warm und anheimelnd. Die Eingangstüren zu
den Stühlen waren mit köstlichen alten und neuen Intarsien bekleidet, die aller-
ültesten mit Holzschnitzmerk. Auf den Bänken lagen uralte, mit seidener Kreuzstich¬
stickerei von vornehmster Farbengebung verzierte Tuchkisseu. Über ihnen waren
ebenso alte schmiedeeiserne Huthalter der mannigfaltigsten Formen angebracht.
Im Mittelgange stand ein bronzenes Taufbecken mit geschnitzter Holzkrone. Die
Kirche war ein Museum alter Bauernkunst, so reich, farbig, stilgerecht, anheimelnd,
wie man sie selten und in Norddeutschland nur einmal findet.
Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst,
die einzelnen Muster uach ihrer Entwicklung und ihrer Ornamentik, er erzählte,
daß wohl einmal — vielleicht aus dem Süden — ein fremder Schmiedegeselle
hierher gekommen sei und den ersten Hnthalter angefertigt haben möge, dessen
Form die ansässigen Schmiede dann weiter ausgebildet hätten, er zeigte ihr die
über den Fenstern aufgehängten alten Totenkronen und vieles andere.
Aber Alice sagte:
„Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬
kenner mit seine Brille sieht, nein, wie ein Mensch mit sein Herz sieht. O, eine
solche Kirche kann man nur in Deutschland finden, nur in Deutschland. Meine
Großeltern von mütterliche Seite waren auch Deutsche — o, Mr. Jerum, ich
habe manchmal eine große, so große Sehnsucht für Deutschland, und eine so
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