Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Austauschprofessor

"O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann
die Trauung."

Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den
er kannte, und lud dann zum Betreten der Kirche ein. Er selbst entschuldigte
sich: er habe noch mit dem Memorieren der Traurede zu tun.

"O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses.
"O, das ist -- entzückend! So eine Kirche, so eine Dorfkirche haben wir nicht
in Amerika. Solche Kirche hat man nur in Europa. Wenn ich wohnte in
Altpoggensiel, so ginge ich nicht nur jeden Sonntag in diese Kirche, auch jeden
Wochentag. Wie muß diese Kirche voll sein von Menschen jeden Sonntag.
Nicht wahr?"

"Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. "Zwei bis drei Dutzend, wenn's
hoch kommt."

"Sind denn die Menschen nicht fromm hier?"

Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn
sie alle so wären wie du, dann würde Pastor Lehmann wohl mehr Freude an
seiner Kirchengemeinde haben. Und er sagte:

"Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so
schrecklich viel auf dein Lande zu tuu, daß sie des Sonntags lieber ausschlafen."

Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus
und leuchteten über das Gestühl und vergoldeten den Altar. Das Gestühl war
in verschiedenen Abstufungen von Blau gehalten, dem ein leiser Ton Rot bei¬
gemischt war. So wirkte es warm und anheimelnd. Die Eingangstüren zu
den Stühlen waren mit köstlichen alten und neuen Intarsien bekleidet, die aller-
ültesten mit Holzschnitzmerk. Auf den Bänken lagen uralte, mit seidener Kreuzstich¬
stickerei von vornehmster Farbengebung verzierte Tuchkisseu. Über ihnen waren
ebenso alte schmiedeeiserne Huthalter der mannigfaltigsten Formen angebracht.
Im Mittelgange stand ein bronzenes Taufbecken mit geschnitzter Holzkrone. Die
Kirche war ein Museum alter Bauernkunst, so reich, farbig, stilgerecht, anheimelnd,
wie man sie selten und in Norddeutschland nur einmal findet.

Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst,
die einzelnen Muster uach ihrer Entwicklung und ihrer Ornamentik, er erzählte,
daß wohl einmal -- vielleicht aus dem Süden -- ein fremder Schmiedegeselle
hierher gekommen sei und den ersten Hnthalter angefertigt haben möge, dessen
Form die ansässigen Schmiede dann weiter ausgebildet hätten, er zeigte ihr die
über den Fenstern aufgehängten alten Totenkronen und vieles andere.

Aber Alice sagte:

"Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬
kenner mit seine Brille sieht, nein, wie ein Mensch mit sein Herz sieht. O, eine
solche Kirche kann man nur in Deutschland finden, nur in Deutschland. Meine
Großeltern von mütterliche Seite waren auch Deutsche -- o, Mr. Jerum, ich
habe manchmal eine große, so große Sehnsucht für Deutschland, und eine so


Der Austauschprofessor

„O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann
die Trauung."

Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den
er kannte, und lud dann zum Betreten der Kirche ein. Er selbst entschuldigte
sich: er habe noch mit dem Memorieren der Traurede zu tun.

„O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses.
„O, das ist — entzückend! So eine Kirche, so eine Dorfkirche haben wir nicht
in Amerika. Solche Kirche hat man nur in Europa. Wenn ich wohnte in
Altpoggensiel, so ginge ich nicht nur jeden Sonntag in diese Kirche, auch jeden
Wochentag. Wie muß diese Kirche voll sein von Menschen jeden Sonntag.
Nicht wahr?"

„Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. „Zwei bis drei Dutzend, wenn's
hoch kommt."

„Sind denn die Menschen nicht fromm hier?"

Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn
sie alle so wären wie du, dann würde Pastor Lehmann wohl mehr Freude an
seiner Kirchengemeinde haben. Und er sagte:

„Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so
schrecklich viel auf dein Lande zu tuu, daß sie des Sonntags lieber ausschlafen."

Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus
und leuchteten über das Gestühl und vergoldeten den Altar. Das Gestühl war
in verschiedenen Abstufungen von Blau gehalten, dem ein leiser Ton Rot bei¬
gemischt war. So wirkte es warm und anheimelnd. Die Eingangstüren zu
den Stühlen waren mit köstlichen alten und neuen Intarsien bekleidet, die aller-
ültesten mit Holzschnitzmerk. Auf den Bänken lagen uralte, mit seidener Kreuzstich¬
stickerei von vornehmster Farbengebung verzierte Tuchkisseu. Über ihnen waren
ebenso alte schmiedeeiserne Huthalter der mannigfaltigsten Formen angebracht.
Im Mittelgange stand ein bronzenes Taufbecken mit geschnitzter Holzkrone. Die
Kirche war ein Museum alter Bauernkunst, so reich, farbig, stilgerecht, anheimelnd,
wie man sie selten und in Norddeutschland nur einmal findet.

Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst,
die einzelnen Muster uach ihrer Entwicklung und ihrer Ornamentik, er erzählte,
daß wohl einmal — vielleicht aus dem Süden — ein fremder Schmiedegeselle
hierher gekommen sei und den ersten Hnthalter angefertigt haben möge, dessen
Form die ansässigen Schmiede dann weiter ausgebildet hätten, er zeigte ihr die
über den Fenstern aufgehängten alten Totenkronen und vieles andere.

Aber Alice sagte:

„Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬
kenner mit seine Brille sieht, nein, wie ein Mensch mit sein Herz sieht. O, eine
solche Kirche kann man nur in Deutschland finden, nur in Deutschland. Meine
Großeltern von mütterliche Seite waren auch Deutsche — o, Mr. Jerum, ich
habe manchmal eine große, so große Sehnsucht für Deutschland, und eine so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0578" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316217"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Austauschprofessor</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3029"> &#x201E;O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann<lb/>
die Trauung."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3030"> Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den<lb/>
er kannte, und lud dann zum Betreten der Kirche ein. Er selbst entschuldigte<lb/>
sich: er habe noch mit dem Memorieren der Traurede zu tun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3031"> &#x201E;O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses.<lb/>
&#x201E;O, das ist &#x2014; entzückend! So eine Kirche, so eine Dorfkirche haben wir nicht<lb/>
in Amerika. Solche Kirche hat man nur in Europa. Wenn ich wohnte in<lb/>
Altpoggensiel, so ginge ich nicht nur jeden Sonntag in diese Kirche, auch jeden<lb/>
Wochentag. Wie muß diese Kirche voll sein von Menschen jeden Sonntag.<lb/>
Nicht wahr?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3032"> &#x201E;Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. &#x201E;Zwei bis drei Dutzend, wenn's<lb/>
hoch kommt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3033"> &#x201E;Sind denn die Menschen nicht fromm hier?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3034"> Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn<lb/>
sie alle so wären wie du, dann würde Pastor Lehmann wohl mehr Freude an<lb/>
seiner Kirchengemeinde haben. Und er sagte:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3035"> &#x201E;Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so<lb/>
schrecklich viel auf dein Lande zu tuu, daß sie des Sonntags lieber ausschlafen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3036"> Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus<lb/>
und leuchteten über das Gestühl und vergoldeten den Altar. Das Gestühl war<lb/>
in verschiedenen Abstufungen von Blau gehalten, dem ein leiser Ton Rot bei¬<lb/>
gemischt war. So wirkte es warm und anheimelnd. Die Eingangstüren zu<lb/>
den Stühlen waren mit köstlichen alten und neuen Intarsien bekleidet, die aller-<lb/>
ültesten mit Holzschnitzmerk. Auf den Bänken lagen uralte, mit seidener Kreuzstich¬<lb/>
stickerei von vornehmster Farbengebung verzierte Tuchkisseu. Über ihnen waren<lb/>
ebenso alte schmiedeeiserne Huthalter der mannigfaltigsten Formen angebracht.<lb/>
Im Mittelgange stand ein bronzenes Taufbecken mit geschnitzter Holzkrone. Die<lb/>
Kirche war ein Museum alter Bauernkunst, so reich, farbig, stilgerecht, anheimelnd,<lb/>
wie man sie selten und in Norddeutschland nur einmal findet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3037"> Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst,<lb/>
die einzelnen Muster uach ihrer Entwicklung und ihrer Ornamentik, er erzählte,<lb/>
daß wohl einmal &#x2014; vielleicht aus dem Süden &#x2014; ein fremder Schmiedegeselle<lb/>
hierher gekommen sei und den ersten Hnthalter angefertigt haben möge, dessen<lb/>
Form die ansässigen Schmiede dann weiter ausgebildet hätten, er zeigte ihr die<lb/>
über den Fenstern aufgehängten alten Totenkronen und vieles andere.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3038"> Aber Alice sagte:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3039" next="#ID_3040"> &#x201E;Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬<lb/>
kenner mit seine Brille sieht, nein, wie ein Mensch mit sein Herz sieht. O, eine<lb/>
solche Kirche kann man nur in Deutschland finden, nur in Deutschland. Meine<lb/>
Großeltern von mütterliche Seite waren auch Deutsche &#x2014; o, Mr. Jerum, ich<lb/>
habe manchmal eine große, so große Sehnsucht für Deutschland, und eine so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0578] Der Austauschprofessor „O, das tut nichts. So werden wir zuerst die Kirche besehen und dann die Trauung." Der Pastor machte eine Verbeugung, begrüßte sich mit Doktor Jerum, den er kannte, und lud dann zum Betreten der Kirche ein. Er selbst entschuldigte sich: er habe noch mit dem Memorieren der Traurede zu tun. „O, wie vvoncierkul!" rief Miß Granton beim Betreten des Gotteshauses. „O, das ist — entzückend! So eine Kirche, so eine Dorfkirche haben wir nicht in Amerika. Solche Kirche hat man nur in Europa. Wenn ich wohnte in Altpoggensiel, so ginge ich nicht nur jeden Sonntag in diese Kirche, auch jeden Wochentag. Wie muß diese Kirche voll sein von Menschen jeden Sonntag. Nicht wahr?" „Da schneiden Sie sich," erwiderte Jerum. „Zwei bis drei Dutzend, wenn's hoch kommt." „Sind denn die Menschen nicht fromm hier?" Doktor Jerum ergriff Miß Grantons Hand, küßte sie und dachte: Ja, wenn sie alle so wären wie du, dann würde Pastor Lehmann wohl mehr Freude an seiner Kirchengemeinde haben. Und er sagte: „Es gibt auch eine Herzensfrömmigkeit. Und dann haben die Leute so schrecklich viel auf dein Lande zu tuu, daß sie des Sonntags lieber ausschlafen." Schräge Sonnenstrahlen fielen von: Westen her in das kleine Gotteshaus und leuchteten über das Gestühl und vergoldeten den Altar. Das Gestühl war in verschiedenen Abstufungen von Blau gehalten, dem ein leiser Ton Rot bei¬ gemischt war. So wirkte es warm und anheimelnd. Die Eingangstüren zu den Stühlen waren mit köstlichen alten und neuen Intarsien bekleidet, die aller- ültesten mit Holzschnitzmerk. Auf den Bänken lagen uralte, mit seidener Kreuzstich¬ stickerei von vornehmster Farbengebung verzierte Tuchkisseu. Über ihnen waren ebenso alte schmiedeeiserne Huthalter der mannigfaltigsten Formen angebracht. Im Mittelgange stand ein bronzenes Taufbecken mit geschnitzter Holzkrone. Die Kirche war ein Museum alter Bauernkunst, so reich, farbig, stilgerecht, anheimelnd, wie man sie selten und in Norddeutschland nur einmal findet. Doktor Jerum erklärte nun seiner Begleiterin die Technik der Jntarsienkunst, die einzelnen Muster uach ihrer Entwicklung und ihrer Ornamentik, er erzählte, daß wohl einmal — vielleicht aus dem Süden — ein fremder Schmiedegeselle hierher gekommen sei und den ersten Hnthalter angefertigt haben möge, dessen Form die ansässigen Schmiede dann weiter ausgebildet hätten, er zeigte ihr die über den Fenstern aufgehängten alten Totenkronen und vieles andere. Aber Alice sagte: „Erklären Sie nicht so viel. Ich will nur sehen. Nicht wie ein Kunst¬ kenner mit seine Brille sieht, nein, wie ein Mensch mit sein Herz sieht. O, eine solche Kirche kann man nur in Deutschland finden, nur in Deutschland. Meine Großeltern von mütterliche Seite waren auch Deutsche — o, Mr. Jerum, ich habe manchmal eine große, so große Sehnsucht für Deutschland, und eine so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/578
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/578>, abgerufen am 01.07.2024.