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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Scnatoreurevision in Turkestan

des Kriegsministers an den Gouverneur der Provinz Transkaspien, keine Dar¬
lehne aus den amtlichen Fonds zu geben, beantworteten sie mit einer förmlichen
Plünderung der Landschaftskasse. Transkaspien scheint überhaupt eine Brut-
und Pflanzstätte für ungetreue Beamte gewesen zu sein. Der Gouverneur, General
Karzew, ging mit gutem Beispiel voran. So ließ er einmal einen Hausbesitzer
widerrechtlich einsperren. Auf die Frage der Untersuchungskommission, wie er
zur Anwendung einer so ungesetzlichen Maßregel gekommen sei, erwiderte er:
"Ich wußte, daß ich zur Verhängung der Strafe kein Recht hatte, aber der
Mann war frech gegen den Pristaw gewesen, daher wollte ich ein Exempel
statuieren und hielt es für angebracht, meine Machtbefugnisse zu überschreiten."

Überhaupt die Gefängnisse! Sie erschienen den Polizeimeistern als höchst
erfreuliche Einrichtungen, gaben sie doch bei richtig angewandter Methode eine
sehr einträgliche Erwerbsquelle ab. In der Fertigkeit, sich die Gefängnisse
nutzbar zu machen, legten die Herren eine anerkennenswerte Vielseitigkeit an
den Tag. Wohlhabende Eingeborene sperrte man wegen irgendeines fingierten
Verstoßes gegen eine Verfügung, die nicht einmal existierte, ein und gestattete
ihnen dann großmütig, sich loszukaufen. Von dem Gedanken ausgehend, daß
für Gefangene Seife und Licht entbehrliche Luxusgegenstände bedeuten, ließen
die Polizeimeister das für diese und andere derartige Dinge angewiesene Geld
in ihre Taschen fließen. Und indem man die Insassen der Gefängnisse zuweilen
kleinen Hungerkuren unterzog -- wohl in der menschenfreundlichen Absicht, sie
bei ihren: Mangel an Bewegung vor Fettsucht und Podraga zu bewahren --
oder sie auf halbe Rationen setzte, konnte man die Bestände der eigenen Küche
bequem ergänzen. Daß es den Gefängnissen niemals an den nötigen Insassen
fehlte, dafür wurde schon gesorgt. Gründe zur Arretierung waren billig wie
Pistazienkerne. Man holte die Leute einfach von der Arbeit weg; wagten sie
dann in vollständig berechtigtem Ärger auch nur ein Wort des Mißfallens oder
Amantes, so sperrte man sie ein: wegen Widerstands gegen die Staatsgemalt.
Die geringste Nichtbefolgung der egoistischen Wünsche des Polizeimeisters hatte
Haft zur Folge. Sogar die ehrwürdigen eingeborenen Richter wanderten ins
Gefängnis, wenn ihr Urteil dem Polizeigewaltigen nicht paßte oder dem
Interesse eines von ihm in Schutz Geronnenen zuwiderlief.

Damit waren aber die Mittel zur Erhöhung der Einnahmen noch nicht
erschöpft. Ganz praktische Herren steckten die amtlichen Gelder einfach direkt
in die Tasche. Eine Buchführung oder Rechnungsablage existierte meist nicht
einmal dem Namen nach. Belege, Dokumente und Schriftstücke, die sich auf
irgendwelche Mißbräuche bezogen, verschwanden spurlos von der Bildfläche. In einer
einzigenKanzlei fehlten, wie die Kommission feststellt, allein über zweitausend Papiere,
darunter solche von großer Wichtigkeit. Postanweisungen an die Einheimischen
kürzten die Pristaws zu ihren Gunsten, wobei sie sich nicht allzu großer
Bescheidenheit befleißigten: so bekam z.B. ein Mann statt der ihm gesandten
1500 Rubel nur -- 150! Ein anderer Ehrenmann, Esersha mit Namen,


Scnatoreurevision in Turkestan

des Kriegsministers an den Gouverneur der Provinz Transkaspien, keine Dar¬
lehne aus den amtlichen Fonds zu geben, beantworteten sie mit einer förmlichen
Plünderung der Landschaftskasse. Transkaspien scheint überhaupt eine Brut-
und Pflanzstätte für ungetreue Beamte gewesen zu sein. Der Gouverneur, General
Karzew, ging mit gutem Beispiel voran. So ließ er einmal einen Hausbesitzer
widerrechtlich einsperren. Auf die Frage der Untersuchungskommission, wie er
zur Anwendung einer so ungesetzlichen Maßregel gekommen sei, erwiderte er:
„Ich wußte, daß ich zur Verhängung der Strafe kein Recht hatte, aber der
Mann war frech gegen den Pristaw gewesen, daher wollte ich ein Exempel
statuieren und hielt es für angebracht, meine Machtbefugnisse zu überschreiten."

Überhaupt die Gefängnisse! Sie erschienen den Polizeimeistern als höchst
erfreuliche Einrichtungen, gaben sie doch bei richtig angewandter Methode eine
sehr einträgliche Erwerbsquelle ab. In der Fertigkeit, sich die Gefängnisse
nutzbar zu machen, legten die Herren eine anerkennenswerte Vielseitigkeit an
den Tag. Wohlhabende Eingeborene sperrte man wegen irgendeines fingierten
Verstoßes gegen eine Verfügung, die nicht einmal existierte, ein und gestattete
ihnen dann großmütig, sich loszukaufen. Von dem Gedanken ausgehend, daß
für Gefangene Seife und Licht entbehrliche Luxusgegenstände bedeuten, ließen
die Polizeimeister das für diese und andere derartige Dinge angewiesene Geld
in ihre Taschen fließen. Und indem man die Insassen der Gefängnisse zuweilen
kleinen Hungerkuren unterzog — wohl in der menschenfreundlichen Absicht, sie
bei ihren: Mangel an Bewegung vor Fettsucht und Podraga zu bewahren —
oder sie auf halbe Rationen setzte, konnte man die Bestände der eigenen Küche
bequem ergänzen. Daß es den Gefängnissen niemals an den nötigen Insassen
fehlte, dafür wurde schon gesorgt. Gründe zur Arretierung waren billig wie
Pistazienkerne. Man holte die Leute einfach von der Arbeit weg; wagten sie
dann in vollständig berechtigtem Ärger auch nur ein Wort des Mißfallens oder
Amantes, so sperrte man sie ein: wegen Widerstands gegen die Staatsgemalt.
Die geringste Nichtbefolgung der egoistischen Wünsche des Polizeimeisters hatte
Haft zur Folge. Sogar die ehrwürdigen eingeborenen Richter wanderten ins
Gefängnis, wenn ihr Urteil dem Polizeigewaltigen nicht paßte oder dem
Interesse eines von ihm in Schutz Geronnenen zuwiderlief.

Damit waren aber die Mittel zur Erhöhung der Einnahmen noch nicht
erschöpft. Ganz praktische Herren steckten die amtlichen Gelder einfach direkt
in die Tasche. Eine Buchführung oder Rechnungsablage existierte meist nicht
einmal dem Namen nach. Belege, Dokumente und Schriftstücke, die sich auf
irgendwelche Mißbräuche bezogen, verschwanden spurlos von der Bildfläche. In einer
einzigenKanzlei fehlten, wie die Kommission feststellt, allein über zweitausend Papiere,
darunter solche von großer Wichtigkeit. Postanweisungen an die Einheimischen
kürzten die Pristaws zu ihren Gunsten, wobei sie sich nicht allzu großer
Bescheidenheit befleißigten: so bekam z.B. ein Mann statt der ihm gesandten
1500 Rubel nur — 150! Ein anderer Ehrenmann, Esersha mit Namen,


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[0572] Scnatoreurevision in Turkestan des Kriegsministers an den Gouverneur der Provinz Transkaspien, keine Dar¬ lehne aus den amtlichen Fonds zu geben, beantworteten sie mit einer förmlichen Plünderung der Landschaftskasse. Transkaspien scheint überhaupt eine Brut- und Pflanzstätte für ungetreue Beamte gewesen zu sein. Der Gouverneur, General Karzew, ging mit gutem Beispiel voran. So ließ er einmal einen Hausbesitzer widerrechtlich einsperren. Auf die Frage der Untersuchungskommission, wie er zur Anwendung einer so ungesetzlichen Maßregel gekommen sei, erwiderte er: „Ich wußte, daß ich zur Verhängung der Strafe kein Recht hatte, aber der Mann war frech gegen den Pristaw gewesen, daher wollte ich ein Exempel statuieren und hielt es für angebracht, meine Machtbefugnisse zu überschreiten." Überhaupt die Gefängnisse! Sie erschienen den Polizeimeistern als höchst erfreuliche Einrichtungen, gaben sie doch bei richtig angewandter Methode eine sehr einträgliche Erwerbsquelle ab. In der Fertigkeit, sich die Gefängnisse nutzbar zu machen, legten die Herren eine anerkennenswerte Vielseitigkeit an den Tag. Wohlhabende Eingeborene sperrte man wegen irgendeines fingierten Verstoßes gegen eine Verfügung, die nicht einmal existierte, ein und gestattete ihnen dann großmütig, sich loszukaufen. Von dem Gedanken ausgehend, daß für Gefangene Seife und Licht entbehrliche Luxusgegenstände bedeuten, ließen die Polizeimeister das für diese und andere derartige Dinge angewiesene Geld in ihre Taschen fließen. Und indem man die Insassen der Gefängnisse zuweilen kleinen Hungerkuren unterzog — wohl in der menschenfreundlichen Absicht, sie bei ihren: Mangel an Bewegung vor Fettsucht und Podraga zu bewahren — oder sie auf halbe Rationen setzte, konnte man die Bestände der eigenen Küche bequem ergänzen. Daß es den Gefängnissen niemals an den nötigen Insassen fehlte, dafür wurde schon gesorgt. Gründe zur Arretierung waren billig wie Pistazienkerne. Man holte die Leute einfach von der Arbeit weg; wagten sie dann in vollständig berechtigtem Ärger auch nur ein Wort des Mißfallens oder Amantes, so sperrte man sie ein: wegen Widerstands gegen die Staatsgemalt. Die geringste Nichtbefolgung der egoistischen Wünsche des Polizeimeisters hatte Haft zur Folge. Sogar die ehrwürdigen eingeborenen Richter wanderten ins Gefängnis, wenn ihr Urteil dem Polizeigewaltigen nicht paßte oder dem Interesse eines von ihm in Schutz Geronnenen zuwiderlief. Damit waren aber die Mittel zur Erhöhung der Einnahmen noch nicht erschöpft. Ganz praktische Herren steckten die amtlichen Gelder einfach direkt in die Tasche. Eine Buchführung oder Rechnungsablage existierte meist nicht einmal dem Namen nach. Belege, Dokumente und Schriftstücke, die sich auf irgendwelche Mißbräuche bezogen, verschwanden spurlos von der Bildfläche. In einer einzigenKanzlei fehlten, wie die Kommission feststellt, allein über zweitausend Papiere, darunter solche von großer Wichtigkeit. Postanweisungen an die Einheimischen kürzten die Pristaws zu ihren Gunsten, wobei sie sich nicht allzu großer Bescheidenheit befleißigten: so bekam z.B. ein Mann statt der ihm gesandten 1500 Rubel nur — 150! Ein anderer Ehrenmann, Esersha mit Namen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/572>, abgerufen am 01.07.2024.