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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Senatorenrevision in Turkestan

erhob von jedem Bewohner des Bezirks zu seinem Besten eine neue Steuer in
Höhe von 6 Rubel, die er später auf 8 Rubel 50 Kopeken erhöhte. Die
Staatssteuer und diese "direkte Steuer" trieb er zusammen ein und steckte ihre
Beträge -- der Einfachheit halber -- zusammen in die Tasche. Sein Kollege
in Andishan wiederum zahlte mittels gefälschter Kreditbillette.

Auch die Bestätigungen und Besetzungen von Ämtern bildeten eine ergiebige
Einnahmequelle für die Beamten. So hatte die Bestätigung der Gemeinde¬
ältesten eine feste Taxe in: Betrage von 600 Rubeln.

Zum Schluß noch ein letzter Pinselstrich zu dem eigenartigen Bilde, das
sich hier entrollt: der bereits erwähnte Kutateladse berichtete im Jahre 1907,
daß bei einem Attentat auf ihn sein Fuhrmann Aliew tödlich verwundet
worden sei. Wie sich bei der Revision herausstellte, beruhte das ganze Attentat auf
Erfindung. Der Pristaw hatte sich über seinen Fuhrmann geärgert und ihn im
Zorne derartig geprügelt und mißhandelt, daß er an den Folgen gestorben war.

Die bevorstehende Revision jagte den Behörden begreiflicherweise einen
nicht geringen Schreck ein, doch war man nicht mutlos, sondern sann auf
Gegenmaßregeln. Als sehr praktischer Mann erwies sich wiederum der eben
genannte Esersha. Er verbot den Eingeborenen unter Strafandrohung ganz
einfach, sich mit irgendwelchen Klagen an die Kommission zu wenden. Andere
gingen nicht so weit, unterließen aber nicht, die armen, eingeschüchterten
Menschen auf die Folgen einer Beschwerde aufmerksam zu machen und rieten
ihnen wohlmeinend von einer solchen ab, da sie sich der Gefahr aussetzten -- nach
Sibirien verbannt zu werden. Der Polizeimeister von Taschkend verlangte,
daß ihm alle Gesuche an den Senator vorher zur Begutachtung vorgelegt
würden, und in Petent suchte man die Beschwerden der Einwohner dadurch
zu vereiteln, daß man ihnen sagte, die Revisoren hätten nur einen Jagdausflug
unternommen, sie seien hier Gäste und würden keine Schriftstücke entgegennehmen.

Doch genug hiervon! Graf Pahlen hat mit anerkennenswerter Energie
und rühmlicher Unparteilichkeit seines wenig erfreulichen Amtes gewaltet und
jeden zur Rechenschaft gezogen, dessen Weste selbst für russische Anschauungen
zu auffällige Schmutzflecke aufwies. Wollte man allerdings alle Beamten
anklagen, an deren Fingern gelegentlich einmal eine Kopeke fremden Geldes
kleben geblieben ist, so würde man im weiten russischen Reich kein Gerichts¬
lokal finden, das sie aufzunehmen imstande wäre. Daher hat man sich, wie
verlautet, auf zweihundert beschränkt.

Ob es jetzt in Turkestan besser wird? Für kurze Zeit vielleicht. Eine
vollständige Gesundung der traurigen Verhältnisse wird aber erst eintreten
können, wenn sich die russische Regierung entschließt, die ganze Verwaltung des
Landes von Grund aus umzugestalten und vor allem die vielen Militär¬
behörden durch Zivilbehörden zu ersetzen. Ehe das nicht geschehen ist, werden alle
Senatorenrevisionen doch nur Palliativmittel bleiben -- den,? das System ist falsch.




Krenzboten II 191071
Senatorenrevision in Turkestan

erhob von jedem Bewohner des Bezirks zu seinem Besten eine neue Steuer in
Höhe von 6 Rubel, die er später auf 8 Rubel 50 Kopeken erhöhte. Die
Staatssteuer und diese „direkte Steuer" trieb er zusammen ein und steckte ihre
Beträge — der Einfachheit halber — zusammen in die Tasche. Sein Kollege
in Andishan wiederum zahlte mittels gefälschter Kreditbillette.

Auch die Bestätigungen und Besetzungen von Ämtern bildeten eine ergiebige
Einnahmequelle für die Beamten. So hatte die Bestätigung der Gemeinde¬
ältesten eine feste Taxe in: Betrage von 600 Rubeln.

Zum Schluß noch ein letzter Pinselstrich zu dem eigenartigen Bilde, das
sich hier entrollt: der bereits erwähnte Kutateladse berichtete im Jahre 1907,
daß bei einem Attentat auf ihn sein Fuhrmann Aliew tödlich verwundet
worden sei. Wie sich bei der Revision herausstellte, beruhte das ganze Attentat auf
Erfindung. Der Pristaw hatte sich über seinen Fuhrmann geärgert und ihn im
Zorne derartig geprügelt und mißhandelt, daß er an den Folgen gestorben war.

Die bevorstehende Revision jagte den Behörden begreiflicherweise einen
nicht geringen Schreck ein, doch war man nicht mutlos, sondern sann auf
Gegenmaßregeln. Als sehr praktischer Mann erwies sich wiederum der eben
genannte Esersha. Er verbot den Eingeborenen unter Strafandrohung ganz
einfach, sich mit irgendwelchen Klagen an die Kommission zu wenden. Andere
gingen nicht so weit, unterließen aber nicht, die armen, eingeschüchterten
Menschen auf die Folgen einer Beschwerde aufmerksam zu machen und rieten
ihnen wohlmeinend von einer solchen ab, da sie sich der Gefahr aussetzten — nach
Sibirien verbannt zu werden. Der Polizeimeister von Taschkend verlangte,
daß ihm alle Gesuche an den Senator vorher zur Begutachtung vorgelegt
würden, und in Petent suchte man die Beschwerden der Einwohner dadurch
zu vereiteln, daß man ihnen sagte, die Revisoren hätten nur einen Jagdausflug
unternommen, sie seien hier Gäste und würden keine Schriftstücke entgegennehmen.

Doch genug hiervon! Graf Pahlen hat mit anerkennenswerter Energie
und rühmlicher Unparteilichkeit seines wenig erfreulichen Amtes gewaltet und
jeden zur Rechenschaft gezogen, dessen Weste selbst für russische Anschauungen
zu auffällige Schmutzflecke aufwies. Wollte man allerdings alle Beamten
anklagen, an deren Fingern gelegentlich einmal eine Kopeke fremden Geldes
kleben geblieben ist, so würde man im weiten russischen Reich kein Gerichts¬
lokal finden, das sie aufzunehmen imstande wäre. Daher hat man sich, wie
verlautet, auf zweihundert beschränkt.

Ob es jetzt in Turkestan besser wird? Für kurze Zeit vielleicht. Eine
vollständige Gesundung der traurigen Verhältnisse wird aber erst eintreten
können, wenn sich die russische Regierung entschließt, die ganze Verwaltung des
Landes von Grund aus umzugestalten und vor allem die vielen Militär¬
behörden durch Zivilbehörden zu ersetzen. Ehe das nicht geschehen ist, werden alle
Senatorenrevisionen doch nur Palliativmittel bleiben — den,? das System ist falsch.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/573>, abgerufen am 01.07.2024.