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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Senatorenrevision in Turkestan

kennen lernten. So aber fanden wir denn auf dem "Kaisergut" eine sehr
gastliche Aufnahme. Ein anderes Mal ließ sich eine Exzellenz, eine der höchsten
im ganzen Gebiete zwischen dem Kaspischen Meer und dem hohen Gebirgswall,
der Rußland von China trennt, verleugnen, als wir sie, mit reichen Empfehlungen
ausgestattet, aufsuchten. Der Herr ging uns auch während unseres ganzen
Aufenthalts in der Stadt scheu aus dem Wege. Den Grund für dieses auffällige
Benehmen erfuhren wir erst später: man hatte in seiner Kanzlei große Unter¬
schlagungen entdeckt; ob er selbst an ihnen beteiligt war, habe ich nicht in
Erfahrung bringen können, jedenfalls hatte er den ungetreuen Beamten gedeckt
und die Angelegenheit zu vertuschen gesucht. Die Sache war für ihn sehr
unangenehm, denn sie drohte ihm das Amt zu kosten; da wollte er uns also
nicht unter die Augen kommen. Als wir einige Wochen später wiederum jene
Stadt berührten, stand der hohe Herr uns in der entgegenkommendster Weise
zur Verfügung, bemühte sich um uns, wo er konnte, kurz, war die Liebens¬
würdigkeit selbst. Warum? Das drohende Ungewitter war an ihm vorüber¬
gegangen; er hatte seinen Posten behalten und war nun wieder obenauf. Die
ganze Angelegenheit schien vergessen: an derartige Kleinigkeiten denkt man in
Turkestan nicht lange.

Daß Beamte, die wegen Amtsvergehens ans dem Dienst entlassen sind,
oft schon wenige Monate später wieder angestellt werden, ist nichts seltenes.
Es finden sich immer wieder Vorgesetzte, die sich der armen Sünder annehmen;
nicht etwa aus christlicher Nächstenliebe, sondern offenbar, weil irgendein inneres
Verhältnis die beiden Ehrenmänner miteinander verbindet. Welcher Art dieses
ist, kann man unschwer erraten. Zwei derartige Fälle sind nur allein aus
Merw bekannt. Der wegen Fälschung und Verschleuderung amtlicher Gelder
weggejagte Pristaw Kntateladse in Merw wurde kurze Zeit nachher in derselben
Stadt wieder als Pristaw angestellt. Noch toller ist ein anderer Fall: er bietet
das typische Beispiel für die Zähigkeit dieser Musterbeamten. Im Mai 1905
entließ man den Pristaw Borrow wegen grober Pflichtvergessenheit. Wenige
Monate später finden wir ihn als Pristawgehilfen in Ashabat, der Hauptstadt
der Provinz Transkaspien, und ein Jahr darauf wiederum als Pristaw in Merw.
Damit war aber der Ehrgeiz des Mannes noch nicht gestillt: ihn lockte die
Stellung eines Kreischefs. Da dieser Posten aber besetzt war, so schreckte er
nicht vor dem Versuch zurück, den derzeitigen Inhaber mittels eines kleinen
Attentats aus dem Wege zu räumen. Zum Glück schlug der hinterlistige
Anschlag fehl.

Unvergeßlich in der Erinnerung ist mir ein Erlebnis, das besser als alle
anderen die ganze moralische Minderwertigkeit und die verbrecherische Energie
dieser beamteten Gauner beleuchtet. Wir waren an einem schönen Tage mit
unseren Samarkander Gastfreunden ins Hissargebirge gefahren, um im idyllischen
Dörfchen Agalyk asiatisches Landleben zu genießen. Hier haben die wohl¬
habenden europäischen Bewohner von Samarkand kleine Villen, Datschen genannt,


Senatorenrevision in Turkestan

kennen lernten. So aber fanden wir denn auf dem „Kaisergut" eine sehr
gastliche Aufnahme. Ein anderes Mal ließ sich eine Exzellenz, eine der höchsten
im ganzen Gebiete zwischen dem Kaspischen Meer und dem hohen Gebirgswall,
der Rußland von China trennt, verleugnen, als wir sie, mit reichen Empfehlungen
ausgestattet, aufsuchten. Der Herr ging uns auch während unseres ganzen
Aufenthalts in der Stadt scheu aus dem Wege. Den Grund für dieses auffällige
Benehmen erfuhren wir erst später: man hatte in seiner Kanzlei große Unter¬
schlagungen entdeckt; ob er selbst an ihnen beteiligt war, habe ich nicht in
Erfahrung bringen können, jedenfalls hatte er den ungetreuen Beamten gedeckt
und die Angelegenheit zu vertuschen gesucht. Die Sache war für ihn sehr
unangenehm, denn sie drohte ihm das Amt zu kosten; da wollte er uns also
nicht unter die Augen kommen. Als wir einige Wochen später wiederum jene
Stadt berührten, stand der hohe Herr uns in der entgegenkommendster Weise
zur Verfügung, bemühte sich um uns, wo er konnte, kurz, war die Liebens¬
würdigkeit selbst. Warum? Das drohende Ungewitter war an ihm vorüber¬
gegangen; er hatte seinen Posten behalten und war nun wieder obenauf. Die
ganze Angelegenheit schien vergessen: an derartige Kleinigkeiten denkt man in
Turkestan nicht lange.

Daß Beamte, die wegen Amtsvergehens ans dem Dienst entlassen sind,
oft schon wenige Monate später wieder angestellt werden, ist nichts seltenes.
Es finden sich immer wieder Vorgesetzte, die sich der armen Sünder annehmen;
nicht etwa aus christlicher Nächstenliebe, sondern offenbar, weil irgendein inneres
Verhältnis die beiden Ehrenmänner miteinander verbindet. Welcher Art dieses
ist, kann man unschwer erraten. Zwei derartige Fälle sind nur allein aus
Merw bekannt. Der wegen Fälschung und Verschleuderung amtlicher Gelder
weggejagte Pristaw Kntateladse in Merw wurde kurze Zeit nachher in derselben
Stadt wieder als Pristaw angestellt. Noch toller ist ein anderer Fall: er bietet
das typische Beispiel für die Zähigkeit dieser Musterbeamten. Im Mai 1905
entließ man den Pristaw Borrow wegen grober Pflichtvergessenheit. Wenige
Monate später finden wir ihn als Pristawgehilfen in Ashabat, der Hauptstadt
der Provinz Transkaspien, und ein Jahr darauf wiederum als Pristaw in Merw.
Damit war aber der Ehrgeiz des Mannes noch nicht gestillt: ihn lockte die
Stellung eines Kreischefs. Da dieser Posten aber besetzt war, so schreckte er
nicht vor dem Versuch zurück, den derzeitigen Inhaber mittels eines kleinen
Attentats aus dem Wege zu räumen. Zum Glück schlug der hinterlistige
Anschlag fehl.

Unvergeßlich in der Erinnerung ist mir ein Erlebnis, das besser als alle
anderen die ganze moralische Minderwertigkeit und die verbrecherische Energie
dieser beamteten Gauner beleuchtet. Wir waren an einem schönen Tage mit
unseren Samarkander Gastfreunden ins Hissargebirge gefahren, um im idyllischen
Dörfchen Agalyk asiatisches Landleben zu genießen. Hier haben die wohl¬
habenden europäischen Bewohner von Samarkand kleine Villen, Datschen genannt,


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[0570] Senatorenrevision in Turkestan kennen lernten. So aber fanden wir denn auf dem „Kaisergut" eine sehr gastliche Aufnahme. Ein anderes Mal ließ sich eine Exzellenz, eine der höchsten im ganzen Gebiete zwischen dem Kaspischen Meer und dem hohen Gebirgswall, der Rußland von China trennt, verleugnen, als wir sie, mit reichen Empfehlungen ausgestattet, aufsuchten. Der Herr ging uns auch während unseres ganzen Aufenthalts in der Stadt scheu aus dem Wege. Den Grund für dieses auffällige Benehmen erfuhren wir erst später: man hatte in seiner Kanzlei große Unter¬ schlagungen entdeckt; ob er selbst an ihnen beteiligt war, habe ich nicht in Erfahrung bringen können, jedenfalls hatte er den ungetreuen Beamten gedeckt und die Angelegenheit zu vertuschen gesucht. Die Sache war für ihn sehr unangenehm, denn sie drohte ihm das Amt zu kosten; da wollte er uns also nicht unter die Augen kommen. Als wir einige Wochen später wiederum jene Stadt berührten, stand der hohe Herr uns in der entgegenkommendster Weise zur Verfügung, bemühte sich um uns, wo er konnte, kurz, war die Liebens¬ würdigkeit selbst. Warum? Das drohende Ungewitter war an ihm vorüber¬ gegangen; er hatte seinen Posten behalten und war nun wieder obenauf. Die ganze Angelegenheit schien vergessen: an derartige Kleinigkeiten denkt man in Turkestan nicht lange. Daß Beamte, die wegen Amtsvergehens ans dem Dienst entlassen sind, oft schon wenige Monate später wieder angestellt werden, ist nichts seltenes. Es finden sich immer wieder Vorgesetzte, die sich der armen Sünder annehmen; nicht etwa aus christlicher Nächstenliebe, sondern offenbar, weil irgendein inneres Verhältnis die beiden Ehrenmänner miteinander verbindet. Welcher Art dieses ist, kann man unschwer erraten. Zwei derartige Fälle sind nur allein aus Merw bekannt. Der wegen Fälschung und Verschleuderung amtlicher Gelder weggejagte Pristaw Kntateladse in Merw wurde kurze Zeit nachher in derselben Stadt wieder als Pristaw angestellt. Noch toller ist ein anderer Fall: er bietet das typische Beispiel für die Zähigkeit dieser Musterbeamten. Im Mai 1905 entließ man den Pristaw Borrow wegen grober Pflichtvergessenheit. Wenige Monate später finden wir ihn als Pristawgehilfen in Ashabat, der Hauptstadt der Provinz Transkaspien, und ein Jahr darauf wiederum als Pristaw in Merw. Damit war aber der Ehrgeiz des Mannes noch nicht gestillt: ihn lockte die Stellung eines Kreischefs. Da dieser Posten aber besetzt war, so schreckte er nicht vor dem Versuch zurück, den derzeitigen Inhaber mittels eines kleinen Attentats aus dem Wege zu räumen. Zum Glück schlug der hinterlistige Anschlag fehl. Unvergeßlich in der Erinnerung ist mir ein Erlebnis, das besser als alle anderen die ganze moralische Minderwertigkeit und die verbrecherische Energie dieser beamteten Gauner beleuchtet. Wir waren an einem schönen Tage mit unseren Samarkander Gastfreunden ins Hissargebirge gefahren, um im idyllischen Dörfchen Agalyk asiatisches Landleben zu genießen. Hier haben die wohl¬ habenden europäischen Bewohner von Samarkand kleine Villen, Datschen genannt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/570>, abgerufen am 01.07.2024.