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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Scnatoreiirevision i" Turkestan

hielt eine Ansprache an sie und verabschiedete sich dann, indem er jeden ans beide
Wangen küßte. Inzwischen hatten die Damen der Fran Generalgouvemeur a. D.
einen mächtigen Blumenstrauß überreicht. Als der Zug im Schneckentempo den
Bahnhof wieder verließ, wiederholten sich die brausenden Hurrah.

Das glänzende Schauspiel, das wir soeben betrachtet, war etwas mehr als
die Ehrung eines verdienten Offiziers durch seine Untergebenen: es war ein
regelrechter Protest gegen die Regierung, es war eine Militärdemonstration großen
Stils. Der Generalgouvemeur, der höchste Vertreter des Militärs in den: ganz
militärisch verwalteten Turkestan, war der Zivilgewalt unterlegen und nun rächte
sich das Militär, indem es den abgesetzten Generalgouvemeur wie einen siegreichen
Feldherrn aus dem Lande geleitete.

Das bunte Bild von: Bahnhof in Samarkand wiederholte sich in allen
Städten, in denen eine Besatzung lag; da wir in demselben Zug fuhren wie der
scheidende Triumphator, so hatten wir das Vergnügen, das interessante Schau¬
spiel alle paar Stunden zu genießen. Selbst des Nachts um 12 Uhr weckte
uns in Tschartschni am Ann-Darja das Spiel der Militärkapellen.

Inzwischen waltete Graf Pahlen seines Amtes. Natürlich bleiben auch dem
Reisenden die Mißstände nicht ganz verborgen. Die in Turkestan wohnenden
Deutsch-Russen und Deutschen wußten von ihren eigenen Erlebnissen auf diesem
Gebiete so viel zu erzählen, daß man ganze Seiten damit füllen könnte. Auch
löste wohl zuweilen der Wein die Zunge eines Beamten oder Offiziers, und er
plauderte dann Dinge aus, die gerade nicht geeignet waren, unsere Achtung vor
ihm und seinen Kameraden zu erhöhen. Diese Zustände, an die man sich indessen
allmählich gewöhnt, brachten uns zuweilen in eigenartige Situationen. Wir
hatten z. B. Empfehlungen an den Verwalter des "Kaiserguts" in Bairam-Ali,
Exzellenz I. Es ist das eine großartige, in der Nähe der alten Ruinenstadt
Merw gelegene Musterwirtschaft, die hauptsächlich Wein, Obst und Baumwolle
hervorbringt, einen Flächenraum von über 120000 Hektar umfaßt und an Voll¬
kommenheit der landwirtschaftlichen Instrumente und technischen Einrichtungen
kaum übertroffen wird. Das Wasser wird ihr durch ein riesiges Kanal-,
Schleusen- und Stauweihersystem, ein wahres Wunderwerk der Jngenieur-
nnd Wasserbankunst, aus den Ausläufern des Hindukusch zugeführt. Als wir
nach Bairam-Ali kamen, um Exzellenz I. unsere Aufwartung zu machen, fanden
wir den Gesuchten nicht mehr vor: er war kurz vorher großer Unregelmäßigkeiten
wegen weggejagt und gezwungen worden, sein glänzendes Palais, in dein er fern
von der Zivilisation und doch von allen Raffinements der Kultur umgeben,
wie ein kleiner Fürst gelebt hatte, an einen anderen abzutreten. Als wir uus,
nichts ahnend, plötzlich Herrn v. S. und nicht Herrn I. gegenübersahen, mußten
wir schnell unsere Rolle ändern, da es vielleicht keine gute Einführung gewesen
wäre, wenn wir uns auf Empfehlungen an seinen Vorgänger berufen hätten.
Diese Borsicht -- so etwas lernt man in Turkestan -- stellte sich denn auch als
berechtigt heraus, als wir hinterher die Ursache des plötzlichen Beamtenwechsels


Scnatoreiirevision i» Turkestan

hielt eine Ansprache an sie und verabschiedete sich dann, indem er jeden ans beide
Wangen küßte. Inzwischen hatten die Damen der Fran Generalgouvemeur a. D.
einen mächtigen Blumenstrauß überreicht. Als der Zug im Schneckentempo den
Bahnhof wieder verließ, wiederholten sich die brausenden Hurrah.

Das glänzende Schauspiel, das wir soeben betrachtet, war etwas mehr als
die Ehrung eines verdienten Offiziers durch seine Untergebenen: es war ein
regelrechter Protest gegen die Regierung, es war eine Militärdemonstration großen
Stils. Der Generalgouvemeur, der höchste Vertreter des Militärs in den: ganz
militärisch verwalteten Turkestan, war der Zivilgewalt unterlegen und nun rächte
sich das Militär, indem es den abgesetzten Generalgouvemeur wie einen siegreichen
Feldherrn aus dem Lande geleitete.

Das bunte Bild von: Bahnhof in Samarkand wiederholte sich in allen
Städten, in denen eine Besatzung lag; da wir in demselben Zug fuhren wie der
scheidende Triumphator, so hatten wir das Vergnügen, das interessante Schau¬
spiel alle paar Stunden zu genießen. Selbst des Nachts um 12 Uhr weckte
uns in Tschartschni am Ann-Darja das Spiel der Militärkapellen.

Inzwischen waltete Graf Pahlen seines Amtes. Natürlich bleiben auch dem
Reisenden die Mißstände nicht ganz verborgen. Die in Turkestan wohnenden
Deutsch-Russen und Deutschen wußten von ihren eigenen Erlebnissen auf diesem
Gebiete so viel zu erzählen, daß man ganze Seiten damit füllen könnte. Auch
löste wohl zuweilen der Wein die Zunge eines Beamten oder Offiziers, und er
plauderte dann Dinge aus, die gerade nicht geeignet waren, unsere Achtung vor
ihm und seinen Kameraden zu erhöhen. Diese Zustände, an die man sich indessen
allmählich gewöhnt, brachten uns zuweilen in eigenartige Situationen. Wir
hatten z. B. Empfehlungen an den Verwalter des „Kaiserguts" in Bairam-Ali,
Exzellenz I. Es ist das eine großartige, in der Nähe der alten Ruinenstadt
Merw gelegene Musterwirtschaft, die hauptsächlich Wein, Obst und Baumwolle
hervorbringt, einen Flächenraum von über 120000 Hektar umfaßt und an Voll¬
kommenheit der landwirtschaftlichen Instrumente und technischen Einrichtungen
kaum übertroffen wird. Das Wasser wird ihr durch ein riesiges Kanal-,
Schleusen- und Stauweihersystem, ein wahres Wunderwerk der Jngenieur-
nnd Wasserbankunst, aus den Ausläufern des Hindukusch zugeführt. Als wir
nach Bairam-Ali kamen, um Exzellenz I. unsere Aufwartung zu machen, fanden
wir den Gesuchten nicht mehr vor: er war kurz vorher großer Unregelmäßigkeiten
wegen weggejagt und gezwungen worden, sein glänzendes Palais, in dein er fern
von der Zivilisation und doch von allen Raffinements der Kultur umgeben,
wie ein kleiner Fürst gelebt hatte, an einen anderen abzutreten. Als wir uus,
nichts ahnend, plötzlich Herrn v. S. und nicht Herrn I. gegenübersahen, mußten
wir schnell unsere Rolle ändern, da es vielleicht keine gute Einführung gewesen
wäre, wenn wir uns auf Empfehlungen an seinen Vorgänger berufen hätten.
Diese Borsicht — so etwas lernt man in Turkestan — stellte sich denn auch als
berechtigt heraus, als wir hinterher die Ursache des plötzlichen Beamtenwechsels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/569>, abgerufen am 01.07.2024.