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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Senatovcnrevisioii in Turkestcrn

gar zu bunt trieben, entschloß man sich in Se. Petersburg, eine Senatoren-
revision in die Länder des Oxus und Jaxartes zu senden. Der Senator Graf
Pahlen wurde mit der schwierigen Aufgabe betraut. In der zweiten Hälfte
des Jahres 1908 kam er zum ersten Male nach Zentralasien. Was er dort
fand, übertraf alle seine Befürchtungen. Er ging mit seinen Revisoren von
Behörde zu Behörde, von Amt zu Amt, von Administration zu Administration
und überall entrollte sich ihm dasselbe Bild der Unterschlagung. Nach kurzer
Zeit saßen die Polizeimeister fast aller Städte zwischen dem Kaspischen Meer
und dem Altaigebirge hinter Schloß und Riegel; es folgten die Vorsteher der
Waisenhäuser und die Direktoren und Beamten einer ganzen Reihe anderer
staatlicher Anstalten. Zuletzt kam Graf Pahlen zur Landeshauptstadt Taschkend,
um auch in den Kanzleien des Generalgouverneurs zu revidieren, wie es sein
gutes Recht war.

In das Gouverneur-Palais am eleganten Kauffmanns-Quai in Taschkend
war kurz vorher ein neuer Herr eingezogen, der General der Kavallerie und
Generaladjutant des Kaisers, Mischtschenko. Im russisch-japanischen Kriege hatte
er mit seinen Kosaken jenen berühmten Überfall auf die Japaner bei Jnkau
ausgeführt -- einen der wenigen Erfolge auf russischer Seite. Später machte er
noch einmal durch die blutige Niederwerfung des Aufstandes in Wladiwostok
von sich reden. Mischtschenko war ein tapferer Offizier, ein tüchtiger "Kommiß-
Soldat", wie ihn mir gegenüber ein russischer General nannte. Darüber
hinaus gingen seine Fähigkeiten nicht. Er brachte für seinen exponierten Posten
als fast unumschränkter Gebieter eines großen Reiches die besten Absichten mit,
leider fehlten ihm zur Ausfüllung einer solchen, die größte Vielseitigkeit
erfordernden Stellung die nötigen Eigenschaften. Wie höhere Offiziere und
Beamte in Rußland häufig, so spricht Mischtschenko auch Deutsch, aber er
macht davon nur ungern Gebrauch.

Mischtschenko hatte Japaner niederhauen und Rebellen über dieKlinge springen
lassein er nahm auch den Kampf gegen den "Zivilisten" Pahlen auf und ver¬
wehrte ihm den Zutritt zu seinen Kanzleien. Es kam zu einem erregten Auf¬
tritt zwischen dem Generalgouvemeur und dem Senator; der Erfolg davon
war, daß fürs erste der Militär Sieger blieb und Graf Pahlen unverrichteter
Sache nach Se. Petersburg zurückkehren mußte.

Nicht alle Schuldigen hatte die Nemesis ereilt: eine ganze Reihe ungetreuer
Beamter drohte dem strafenden Arm der Gerechtigkeit zu entgehen. Da zeigte
sich die brüderliche Solidarität der turkestcmischen Beamten: hatten sie im Glück
gemeinsam gestohlen und betrogen, so sollte ihnen auch, nachdem ihr Stern
erloschen, ein gleiches Geschick zuteil werden: diejenigen, die ihres Amtes entsetzt
oder eingekerkert waren, hatten nichts Eiligeres zu tun, als ihre Kollegen, die
genau so viel auf dem Kerbholz hatten wie sie, sich aber noch der goldenen
Freiheit erfreuten, in Se. Petersburg zu denunzieren. Da häuften sich denn
die Beschwerdealten so, daß die Regierung sich genötigt sah, eine zweite Revision


Senatovcnrevisioii in Turkestcrn

gar zu bunt trieben, entschloß man sich in Se. Petersburg, eine Senatoren-
revision in die Länder des Oxus und Jaxartes zu senden. Der Senator Graf
Pahlen wurde mit der schwierigen Aufgabe betraut. In der zweiten Hälfte
des Jahres 1908 kam er zum ersten Male nach Zentralasien. Was er dort
fand, übertraf alle seine Befürchtungen. Er ging mit seinen Revisoren von
Behörde zu Behörde, von Amt zu Amt, von Administration zu Administration
und überall entrollte sich ihm dasselbe Bild der Unterschlagung. Nach kurzer
Zeit saßen die Polizeimeister fast aller Städte zwischen dem Kaspischen Meer
und dem Altaigebirge hinter Schloß und Riegel; es folgten die Vorsteher der
Waisenhäuser und die Direktoren und Beamten einer ganzen Reihe anderer
staatlicher Anstalten. Zuletzt kam Graf Pahlen zur Landeshauptstadt Taschkend,
um auch in den Kanzleien des Generalgouverneurs zu revidieren, wie es sein
gutes Recht war.

In das Gouverneur-Palais am eleganten Kauffmanns-Quai in Taschkend
war kurz vorher ein neuer Herr eingezogen, der General der Kavallerie und
Generaladjutant des Kaisers, Mischtschenko. Im russisch-japanischen Kriege hatte
er mit seinen Kosaken jenen berühmten Überfall auf die Japaner bei Jnkau
ausgeführt — einen der wenigen Erfolge auf russischer Seite. Später machte er
noch einmal durch die blutige Niederwerfung des Aufstandes in Wladiwostok
von sich reden. Mischtschenko war ein tapferer Offizier, ein tüchtiger „Kommiß-
Soldat", wie ihn mir gegenüber ein russischer General nannte. Darüber
hinaus gingen seine Fähigkeiten nicht. Er brachte für seinen exponierten Posten
als fast unumschränkter Gebieter eines großen Reiches die besten Absichten mit,
leider fehlten ihm zur Ausfüllung einer solchen, die größte Vielseitigkeit
erfordernden Stellung die nötigen Eigenschaften. Wie höhere Offiziere und
Beamte in Rußland häufig, so spricht Mischtschenko auch Deutsch, aber er
macht davon nur ungern Gebrauch.

Mischtschenko hatte Japaner niederhauen und Rebellen über dieKlinge springen
lassein er nahm auch den Kampf gegen den „Zivilisten" Pahlen auf und ver¬
wehrte ihm den Zutritt zu seinen Kanzleien. Es kam zu einem erregten Auf¬
tritt zwischen dem Generalgouvemeur und dem Senator; der Erfolg davon
war, daß fürs erste der Militär Sieger blieb und Graf Pahlen unverrichteter
Sache nach Se. Petersburg zurückkehren mußte.

Nicht alle Schuldigen hatte die Nemesis ereilt: eine ganze Reihe ungetreuer
Beamter drohte dem strafenden Arm der Gerechtigkeit zu entgehen. Da zeigte
sich die brüderliche Solidarität der turkestcmischen Beamten: hatten sie im Glück
gemeinsam gestohlen und betrogen, so sollte ihnen auch, nachdem ihr Stern
erloschen, ein gleiches Geschick zuteil werden: diejenigen, die ihres Amtes entsetzt
oder eingekerkert waren, hatten nichts Eiligeres zu tun, als ihre Kollegen, die
genau so viel auf dem Kerbholz hatten wie sie, sich aber noch der goldenen
Freiheit erfreuten, in Se. Petersburg zu denunzieren. Da häuften sich denn
die Beschwerdealten so, daß die Regierung sich genötigt sah, eine zweite Revision


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/567>, abgerufen am 01.07.2024.