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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Über Lichtenbergs Skeptizismus

die egozentrische Weltanschauung entsprach seiner intellektuellen Person durchaus.
So hat er gegen den Ausdruck "Dinge außer uns" die stärksten Bedenken, er
nennt ihn eine "menschliche Erfindung" und vom Idealismus sagt er an einer
Stelle, "er sei unmöglich zu widerlegen", ein Geständnis, das bei einem Professor
der Physik gewiß verwundert. Ja, er kommt schon beinahe zu Fichteschen
Sätzen, wenn er meint: "Wir wissen mit weit mehr Deutlichkeit, daß unser
Wille frei ist, als daß alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse." Hier
Zeigt er bereits eine Tendenz zum Subjektivismus, wie sie erst in neuester Zeit
wieder bei unseren Philosophen, z. B. bei Theodor Lipps, hervorgetreten ist.

Daß all unser Denken und Urteilen durch und durch anthropomorphistisch
sei, davon war er ganz überzeugt; man kann es seine Grundüberzeugung nennen,
die seiner Philosophie die besondere Gebärde und seinem Menschentum den
wehmütigen Grundton gab.

Allem er hat diesen für einen Liebhaber objektiver Wissenschaft gewiß pein¬
lichen Gedanken zu Ende gedacht und deshalb ist er auch mit ihm fertig geworden.
Unser Denken ist anthropomorphistisch heißt: alle unsere Aussagen über Geschehen
in der Welt, alle Fixierungen unserer metaphysischen Träume und Bilder und
Hoffnungen müssen sich unweigerlich einem Schematismus von Symbolen und
Formen einfügen, der unserem menschlichen Geiste eigentümlich ist. So können
wir uns Gott vorstellen nur in der Gestalt eines Menschen, meinetwegen mit
Gliedern und Proportionen, wie Michelangelo sie seinen Gestalten gegeben hat.
Und um sich die unterschiedenen Eigenschaften, Apparate, Funktionen (oder wie
man diese Dinge zu nennen sich gezwungen sehen mag) unserer Seele vor¬
zustellen, wird auch ein Professor der empirischen Psychologie genötigt sein,
vielleicht ohne daß ihn das amüsiert, sie sich als die Tätigkeit von kleinen
Menschlein vorzustellen, die in unseren: Kopfe Hausen möchten.

Lichtenberg fand also, daß diese Vorstellungsart eine Nötigung enthalte und
daß der sophistische Satz der naiven Griechen, der Mensch sei das Maß aller
Dinge, leider mehr Beachtung verdiene, als der strenge Plato sich gestehen wollte.
Er sagt bündig: "Vom schönsten Griechen bis zum Neger ist alles Menschen¬
rasse." Auch Goethe erkannte das und sprach es mit der Aufrichtigkeit aus,
die Lichtenberg einmal als "himmlisch" bezeichnet (in: Gegensatz zu der eitlen
Aufrichtigkeit Rousseaus). Goethe meinte: "Wenn wir ein Phänomen aus¬
sprechen, beschreiben, besprechen, so übersetzen wir es schon in unsere Menschen¬
sprache."

Diese allerdings bittere Einsicht führte nun Lichtenberg aber nicht, wie
viele moderne Geister, zur Verzweiflung -- es gab für ihn nichts Traurigeres
"als einen Menschen, der verzweifelt" --, noch weniger gelangte er auf diesem
Wege zu einem "Willen zur Macht" oder zu einem Agnostizismus, sondern er
schloß zunächst einmal: dann hänge eben alles von der "temporellen Güte des
Subjekts" ab. Wenn die Sache so läge, daß Objektivität nichts anderes als
geläuterte Subjektivität sein könne, dann gälte es, praktisch Verzicht leistend, das


Über Lichtenbergs Skeptizismus

die egozentrische Weltanschauung entsprach seiner intellektuellen Person durchaus.
So hat er gegen den Ausdruck „Dinge außer uns" die stärksten Bedenken, er
nennt ihn eine „menschliche Erfindung" und vom Idealismus sagt er an einer
Stelle, „er sei unmöglich zu widerlegen", ein Geständnis, das bei einem Professor
der Physik gewiß verwundert. Ja, er kommt schon beinahe zu Fichteschen
Sätzen, wenn er meint: „Wir wissen mit weit mehr Deutlichkeit, daß unser
Wille frei ist, als daß alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse." Hier
Zeigt er bereits eine Tendenz zum Subjektivismus, wie sie erst in neuester Zeit
wieder bei unseren Philosophen, z. B. bei Theodor Lipps, hervorgetreten ist.

Daß all unser Denken und Urteilen durch und durch anthropomorphistisch
sei, davon war er ganz überzeugt; man kann es seine Grundüberzeugung nennen,
die seiner Philosophie die besondere Gebärde und seinem Menschentum den
wehmütigen Grundton gab.

Allem er hat diesen für einen Liebhaber objektiver Wissenschaft gewiß pein¬
lichen Gedanken zu Ende gedacht und deshalb ist er auch mit ihm fertig geworden.
Unser Denken ist anthropomorphistisch heißt: alle unsere Aussagen über Geschehen
in der Welt, alle Fixierungen unserer metaphysischen Träume und Bilder und
Hoffnungen müssen sich unweigerlich einem Schematismus von Symbolen und
Formen einfügen, der unserem menschlichen Geiste eigentümlich ist. So können
wir uns Gott vorstellen nur in der Gestalt eines Menschen, meinetwegen mit
Gliedern und Proportionen, wie Michelangelo sie seinen Gestalten gegeben hat.
Und um sich die unterschiedenen Eigenschaften, Apparate, Funktionen (oder wie
man diese Dinge zu nennen sich gezwungen sehen mag) unserer Seele vor¬
zustellen, wird auch ein Professor der empirischen Psychologie genötigt sein,
vielleicht ohne daß ihn das amüsiert, sie sich als die Tätigkeit von kleinen
Menschlein vorzustellen, die in unseren: Kopfe Hausen möchten.

Lichtenberg fand also, daß diese Vorstellungsart eine Nötigung enthalte und
daß der sophistische Satz der naiven Griechen, der Mensch sei das Maß aller
Dinge, leider mehr Beachtung verdiene, als der strenge Plato sich gestehen wollte.
Er sagt bündig: „Vom schönsten Griechen bis zum Neger ist alles Menschen¬
rasse." Auch Goethe erkannte das und sprach es mit der Aufrichtigkeit aus,
die Lichtenberg einmal als „himmlisch" bezeichnet (in: Gegensatz zu der eitlen
Aufrichtigkeit Rousseaus). Goethe meinte: „Wenn wir ein Phänomen aus¬
sprechen, beschreiben, besprechen, so übersetzen wir es schon in unsere Menschen¬
sprache."

Diese allerdings bittere Einsicht führte nun Lichtenberg aber nicht, wie
viele moderne Geister, zur Verzweiflung — es gab für ihn nichts Traurigeres
„als einen Menschen, der verzweifelt" —, noch weniger gelangte er auf diesem
Wege zu einem „Willen zur Macht" oder zu einem Agnostizismus, sondern er
schloß zunächst einmal: dann hänge eben alles von der „temporellen Güte des
Subjekts" ab. Wenn die Sache so läge, daß Objektivität nichts anderes als
geläuterte Subjektivität sein könne, dann gälte es, praktisch Verzicht leistend, das


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[0560] Über Lichtenbergs Skeptizismus die egozentrische Weltanschauung entsprach seiner intellektuellen Person durchaus. So hat er gegen den Ausdruck „Dinge außer uns" die stärksten Bedenken, er nennt ihn eine „menschliche Erfindung" und vom Idealismus sagt er an einer Stelle, „er sei unmöglich zu widerlegen", ein Geständnis, das bei einem Professor der Physik gewiß verwundert. Ja, er kommt schon beinahe zu Fichteschen Sätzen, wenn er meint: „Wir wissen mit weit mehr Deutlichkeit, daß unser Wille frei ist, als daß alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse." Hier Zeigt er bereits eine Tendenz zum Subjektivismus, wie sie erst in neuester Zeit wieder bei unseren Philosophen, z. B. bei Theodor Lipps, hervorgetreten ist. Daß all unser Denken und Urteilen durch und durch anthropomorphistisch sei, davon war er ganz überzeugt; man kann es seine Grundüberzeugung nennen, die seiner Philosophie die besondere Gebärde und seinem Menschentum den wehmütigen Grundton gab. Allem er hat diesen für einen Liebhaber objektiver Wissenschaft gewiß pein¬ lichen Gedanken zu Ende gedacht und deshalb ist er auch mit ihm fertig geworden. Unser Denken ist anthropomorphistisch heißt: alle unsere Aussagen über Geschehen in der Welt, alle Fixierungen unserer metaphysischen Träume und Bilder und Hoffnungen müssen sich unweigerlich einem Schematismus von Symbolen und Formen einfügen, der unserem menschlichen Geiste eigentümlich ist. So können wir uns Gott vorstellen nur in der Gestalt eines Menschen, meinetwegen mit Gliedern und Proportionen, wie Michelangelo sie seinen Gestalten gegeben hat. Und um sich die unterschiedenen Eigenschaften, Apparate, Funktionen (oder wie man diese Dinge zu nennen sich gezwungen sehen mag) unserer Seele vor¬ zustellen, wird auch ein Professor der empirischen Psychologie genötigt sein, vielleicht ohne daß ihn das amüsiert, sie sich als die Tätigkeit von kleinen Menschlein vorzustellen, die in unseren: Kopfe Hausen möchten. Lichtenberg fand also, daß diese Vorstellungsart eine Nötigung enthalte und daß der sophistische Satz der naiven Griechen, der Mensch sei das Maß aller Dinge, leider mehr Beachtung verdiene, als der strenge Plato sich gestehen wollte. Er sagt bündig: „Vom schönsten Griechen bis zum Neger ist alles Menschen¬ rasse." Auch Goethe erkannte das und sprach es mit der Aufrichtigkeit aus, die Lichtenberg einmal als „himmlisch" bezeichnet (in: Gegensatz zu der eitlen Aufrichtigkeit Rousseaus). Goethe meinte: „Wenn wir ein Phänomen aus¬ sprechen, beschreiben, besprechen, so übersetzen wir es schon in unsere Menschen¬ sprache." Diese allerdings bittere Einsicht führte nun Lichtenberg aber nicht, wie viele moderne Geister, zur Verzweiflung — es gab für ihn nichts Traurigeres „als einen Menschen, der verzweifelt" —, noch weniger gelangte er auf diesem Wege zu einem „Willen zur Macht" oder zu einem Agnostizismus, sondern er schloß zunächst einmal: dann hänge eben alles von der „temporellen Güte des Subjekts" ab. Wenn die Sache so läge, daß Objektivität nichts anderes als geläuterte Subjektivität sein könne, dann gälte es, praktisch Verzicht leistend, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/560>, abgerufen am 01.07.2024.