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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Aber Lichtenbergs Skeptizismus

sich einen hölzernen Säbel umschnallt und nun als wilder Krieger auf die
Weide stürmt. Beide ahmen den Erwachsenen nach und kommen sich dabei
außerordentlich stolz und männlich vor. Das liegt tief in der Natur des Kindes
begründet. Eine Jagd auf derartige Wendungen würde eine sehr peinliche
Pedanterie sein und würde genau so unnatürlich sein wie jede andere Form der
toten Schulmeisteret. Pannwitz scheint allzusehr Fanatiker einer bestimmten Idee zu
sein, um Humor haben zu können. Ohne Humor aber kommt ein Erwachsener über¬
haupt zu keinem Verständnis des Kindes. Ein rechter Schulmeister soll fröhlich
sein. Ich wüßte kein Wort, das mir tiefer ins Herz geschrieben stünde als dieses.

Es schmeckt auch sehr stark nach Pedanterie, wenn Pannwitz den Kindern
Märchen in die Hände geben will, die von anderen Kindern in der Alters¬
mundart niedergeschrieben oder gar von ihnen geschaffen sind. Dagegen hat er
recht, wenn er von den Lehrbüchern verlangt, daß sie möglichst auf die Alters¬
mundart der Kinder Rücksicht nehmen und erzählender Natur sein sollen. Ich
bin hier wie überall nur ein bedingter Anhänger seiner Ausführungen und muß
oft widersprechen. Bin ich aber nur ein bedingter Anhänger, so kann ich darum
doch seine Bücher den deutschen Lehrern und den deutschen Gebildeten unbedingt
empfehlen, weil sie gerade durch ihre Einseitigkeit die wichtigen Fragen in der
denkbar schärfsten Form stellen. In: besonderen, daß Pannwitz die Boden¬
ständigkeit der Bildung erstrebt, ist für mich von großem Wert, denn Boden¬
ständigkeit heißt für uns ja deutsch. Und in wessen Seele wäre nicht die
Sehnsucht, daß wir Deutschen in allen Schulen, also auch in unseren höheren,
endlich den Mut zu uns selber gewonnen? Es ist eine Frage von großem
kulturellen Rang, die dieser Sehnsucht zugrunde liegt. Wird unsere Kultur nicht
endlich auch in den Schulen deutsch, so werdeu wir ewig eine hilflose Beute
der frivolen Ausländerei sein, die von sehr dunklen Elementen betrieben wird,
um unser nationales Leben zu schwächen.




Über Lichtenbergs Skeptizismus
von Guido Dinkgraeve

! an hat die Schriften Georg Christoph Lichtenbergs, des großen
Satirikers und Psychologen, neuerdings wieder in modernen,
monumentalen Ausgaben herausgegeben und auch von seinen
Briefen endlich eine vollständige, kritische Sammlung veranstaltet.
> Beides war längst notwendig; denn Lichtenberg hat uns noch
vieles zu sagen; für viele Gedanken und Anregungen von ihm ist die Zeit erst
heute reif geworden. Sein Räsonnement kann fraglos auch den literarisch


Aber Lichtenbergs Skeptizismus

sich einen hölzernen Säbel umschnallt und nun als wilder Krieger auf die
Weide stürmt. Beide ahmen den Erwachsenen nach und kommen sich dabei
außerordentlich stolz und männlich vor. Das liegt tief in der Natur des Kindes
begründet. Eine Jagd auf derartige Wendungen würde eine sehr peinliche
Pedanterie sein und würde genau so unnatürlich sein wie jede andere Form der
toten Schulmeisteret. Pannwitz scheint allzusehr Fanatiker einer bestimmten Idee zu
sein, um Humor haben zu können. Ohne Humor aber kommt ein Erwachsener über¬
haupt zu keinem Verständnis des Kindes. Ein rechter Schulmeister soll fröhlich
sein. Ich wüßte kein Wort, das mir tiefer ins Herz geschrieben stünde als dieses.

Es schmeckt auch sehr stark nach Pedanterie, wenn Pannwitz den Kindern
Märchen in die Hände geben will, die von anderen Kindern in der Alters¬
mundart niedergeschrieben oder gar von ihnen geschaffen sind. Dagegen hat er
recht, wenn er von den Lehrbüchern verlangt, daß sie möglichst auf die Alters¬
mundart der Kinder Rücksicht nehmen und erzählender Natur sein sollen. Ich
bin hier wie überall nur ein bedingter Anhänger seiner Ausführungen und muß
oft widersprechen. Bin ich aber nur ein bedingter Anhänger, so kann ich darum
doch seine Bücher den deutschen Lehrern und den deutschen Gebildeten unbedingt
empfehlen, weil sie gerade durch ihre Einseitigkeit die wichtigen Fragen in der
denkbar schärfsten Form stellen. In: besonderen, daß Pannwitz die Boden¬
ständigkeit der Bildung erstrebt, ist für mich von großem Wert, denn Boden¬
ständigkeit heißt für uns ja deutsch. Und in wessen Seele wäre nicht die
Sehnsucht, daß wir Deutschen in allen Schulen, also auch in unseren höheren,
endlich den Mut zu uns selber gewonnen? Es ist eine Frage von großem
kulturellen Rang, die dieser Sehnsucht zugrunde liegt. Wird unsere Kultur nicht
endlich auch in den Schulen deutsch, so werdeu wir ewig eine hilflose Beute
der frivolen Ausländerei sein, die von sehr dunklen Elementen betrieben wird,
um unser nationales Leben zu schwächen.




Über Lichtenbergs Skeptizismus
von Guido Dinkgraeve

! an hat die Schriften Georg Christoph Lichtenbergs, des großen
Satirikers und Psychologen, neuerdings wieder in modernen,
monumentalen Ausgaben herausgegeben und auch von seinen
Briefen endlich eine vollständige, kritische Sammlung veranstaltet.
> Beides war längst notwendig; denn Lichtenberg hat uns noch
vieles zu sagen; für viele Gedanken und Anregungen von ihm ist die Zeit erst
heute reif geworden. Sein Räsonnement kann fraglos auch den literarisch


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[0558] Aber Lichtenbergs Skeptizismus sich einen hölzernen Säbel umschnallt und nun als wilder Krieger auf die Weide stürmt. Beide ahmen den Erwachsenen nach und kommen sich dabei außerordentlich stolz und männlich vor. Das liegt tief in der Natur des Kindes begründet. Eine Jagd auf derartige Wendungen würde eine sehr peinliche Pedanterie sein und würde genau so unnatürlich sein wie jede andere Form der toten Schulmeisteret. Pannwitz scheint allzusehr Fanatiker einer bestimmten Idee zu sein, um Humor haben zu können. Ohne Humor aber kommt ein Erwachsener über¬ haupt zu keinem Verständnis des Kindes. Ein rechter Schulmeister soll fröhlich sein. Ich wüßte kein Wort, das mir tiefer ins Herz geschrieben stünde als dieses. Es schmeckt auch sehr stark nach Pedanterie, wenn Pannwitz den Kindern Märchen in die Hände geben will, die von anderen Kindern in der Alters¬ mundart niedergeschrieben oder gar von ihnen geschaffen sind. Dagegen hat er recht, wenn er von den Lehrbüchern verlangt, daß sie möglichst auf die Alters¬ mundart der Kinder Rücksicht nehmen und erzählender Natur sein sollen. Ich bin hier wie überall nur ein bedingter Anhänger seiner Ausführungen und muß oft widersprechen. Bin ich aber nur ein bedingter Anhänger, so kann ich darum doch seine Bücher den deutschen Lehrern und den deutschen Gebildeten unbedingt empfehlen, weil sie gerade durch ihre Einseitigkeit die wichtigen Fragen in der denkbar schärfsten Form stellen. In: besonderen, daß Pannwitz die Boden¬ ständigkeit der Bildung erstrebt, ist für mich von großem Wert, denn Boden¬ ständigkeit heißt für uns ja deutsch. Und in wessen Seele wäre nicht die Sehnsucht, daß wir Deutschen in allen Schulen, also auch in unseren höheren, endlich den Mut zu uns selber gewonnen? Es ist eine Frage von großem kulturellen Rang, die dieser Sehnsucht zugrunde liegt. Wird unsere Kultur nicht endlich auch in den Schulen deutsch, so werdeu wir ewig eine hilflose Beute der frivolen Ausländerei sein, die von sehr dunklen Elementen betrieben wird, um unser nationales Leben zu schwächen. Über Lichtenbergs Skeptizismus von Guido Dinkgraeve ! an hat die Schriften Georg Christoph Lichtenbergs, des großen Satirikers und Psychologen, neuerdings wieder in modernen, monumentalen Ausgaben herausgegeben und auch von seinen Briefen endlich eine vollständige, kritische Sammlung veranstaltet. > Beides war längst notwendig; denn Lichtenberg hat uns noch vieles zu sagen; für viele Gedanken und Anregungen von ihm ist die Zeit erst heute reif geworden. Sein Räsonnement kann fraglos auch den literarisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/558>, abgerufen am 01.07.2024.