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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der volksschullehrcr und die deutsche Sprache

versäumt werden, die lebendige Beziehung wieder herzustellen, die zunächst
aufgehoben werden mußte. Es wird das sehr häufig versäumt, es ist das
aber keine notwendige Eigenschaft des Fachunterrichts, sondern nur die Eigen¬
schaft eines schlechten Fachunterrichts. Es könnten vielleicht besondere Stunden
eingerichtet werden, in denen die einzelnen Teile in ihrer organischen Zusammen¬
gehörigkeit erkannt und wieder zum natürlichen Bild zusammengefügt würden.
Ich weiß, daß ich mit diesem Vorschlag die Ironie meines Verfassers Heraus¬
sordern werde. Er wird mich für einen Mann halten, der die Schäden des
Fachunterrichts zu heilen trachtet, indem er ein neues Fach erfindet, für einen
Mann, der erst mit einiger Mühe etwas in Fetzen gerissen hat, um es dann
wieder in einer besonderen Stunde zusammenzuflicken. Ich weiß aber auch,
daß ich mich im Einklang mit der Eigenart des menschlichen Schauens befinde,
und so mag Pannwitz seine Ironie behalten, wenn ich nur meine Ansicht
behalten darf.

Es braucht uach dem Vorangegangenen nicht wunderzunehmen, daß
Pannwitz einen gesonderten Fachunterricht in der deutschen Sprache überhaupt
nicht will. Da die deutsche Sprache in jeder Stunde des Unterrichts gebraucht
wird, da sie die Sprache des ganzen Verkehrs zwischen Lehrer und Schüler ist,
bedarf es nach seiner Ansicht eines besonderen Sprachunterrichts überhaupt nicht.
Ich persönlich stehe zu dieser Auffassung in denkbar schärfsten Widerspruch. Ich
glaube nicht an dieses Ineinander und Durcheinander aller Dinge und glaube
vor allem nicht, daß es zu einer einheitlichen Weltkenntnis führen würde, ich
glaube vielmehr, daß eine sehr peinliche Konfusion die einzige Folge der ganzen
genialen Wirtschaft sein würde. Im übrigen ist unser Versasser von einen:
sprühenden Haß gegen den toten Formelkram der Grammatik beseelt. Er
erinnert daran, daß es neben der Schriftsprache, die nun einmal das allgemein
gültige Verkehrsmittel geworden ist, die Mundarten der verschiedenen Land¬
schaften und die Altersmuudarten der Kinder gibt. Unter den Altersmundarten
versteht er die Sprache, die das Kind in den verschiedenen Stadien seiner
Entwicklung spricht, also beispielweise die natürliche Sprache eines zehnjährigen
Kindes. Er behauptet nun mit Recht, daß diese Mundarten der Landschaft und
des Kindes durchaus echte und gewachsene Sprachen sind, die man nicht von
einem dürren grammatischen Standpunkt aus als "falsch" bezeichnen darf.
Ein natürlich gewachsener Baum ist eben ein Baum, und wenn er anders
gewachsen ist, als andere Bäume, so hört er damit noch nicht auf, ein durchaus
richtiger Baum zu sein. Wir stimmen, wie gesagt, dem in jeder Weise zu, nur
sind wir in neuerer Zeit an diese Tatsache mit einer Prätension erinnert worden,
die zu der immerhin bescheidenen Erkenntnis in keinem rechten Verhältnis stand.
Um so erfreulicher ist es, daß Pannwitz aus der Tatsache dieser natürlichen
Mundarten zu pädagogischen Schlußfolgerungen kommt, die allerdings ihre gute
Bedeutung haben. Das Kind bringt seine Altersmundart mit in die Schule
hinein und Pannwitz warnt nun davor, ihn: diese natürliche Sprache zu zerstören,


Der volksschullehrcr und die deutsche Sprache

versäumt werden, die lebendige Beziehung wieder herzustellen, die zunächst
aufgehoben werden mußte. Es wird das sehr häufig versäumt, es ist das
aber keine notwendige Eigenschaft des Fachunterrichts, sondern nur die Eigen¬
schaft eines schlechten Fachunterrichts. Es könnten vielleicht besondere Stunden
eingerichtet werden, in denen die einzelnen Teile in ihrer organischen Zusammen¬
gehörigkeit erkannt und wieder zum natürlichen Bild zusammengefügt würden.
Ich weiß, daß ich mit diesem Vorschlag die Ironie meines Verfassers Heraus¬
sordern werde. Er wird mich für einen Mann halten, der die Schäden des
Fachunterrichts zu heilen trachtet, indem er ein neues Fach erfindet, für einen
Mann, der erst mit einiger Mühe etwas in Fetzen gerissen hat, um es dann
wieder in einer besonderen Stunde zusammenzuflicken. Ich weiß aber auch,
daß ich mich im Einklang mit der Eigenart des menschlichen Schauens befinde,
und so mag Pannwitz seine Ironie behalten, wenn ich nur meine Ansicht
behalten darf.

Es braucht uach dem Vorangegangenen nicht wunderzunehmen, daß
Pannwitz einen gesonderten Fachunterricht in der deutschen Sprache überhaupt
nicht will. Da die deutsche Sprache in jeder Stunde des Unterrichts gebraucht
wird, da sie die Sprache des ganzen Verkehrs zwischen Lehrer und Schüler ist,
bedarf es nach seiner Ansicht eines besonderen Sprachunterrichts überhaupt nicht.
Ich persönlich stehe zu dieser Auffassung in denkbar schärfsten Widerspruch. Ich
glaube nicht an dieses Ineinander und Durcheinander aller Dinge und glaube
vor allem nicht, daß es zu einer einheitlichen Weltkenntnis führen würde, ich
glaube vielmehr, daß eine sehr peinliche Konfusion die einzige Folge der ganzen
genialen Wirtschaft sein würde. Im übrigen ist unser Versasser von einen:
sprühenden Haß gegen den toten Formelkram der Grammatik beseelt. Er
erinnert daran, daß es neben der Schriftsprache, die nun einmal das allgemein
gültige Verkehrsmittel geworden ist, die Mundarten der verschiedenen Land¬
schaften und die Altersmuudarten der Kinder gibt. Unter den Altersmundarten
versteht er die Sprache, die das Kind in den verschiedenen Stadien seiner
Entwicklung spricht, also beispielweise die natürliche Sprache eines zehnjährigen
Kindes. Er behauptet nun mit Recht, daß diese Mundarten der Landschaft und
des Kindes durchaus echte und gewachsene Sprachen sind, die man nicht von
einem dürren grammatischen Standpunkt aus als „falsch" bezeichnen darf.
Ein natürlich gewachsener Baum ist eben ein Baum, und wenn er anders
gewachsen ist, als andere Bäume, so hört er damit noch nicht auf, ein durchaus
richtiger Baum zu sein. Wir stimmen, wie gesagt, dem in jeder Weise zu, nur
sind wir in neuerer Zeit an diese Tatsache mit einer Prätension erinnert worden,
die zu der immerhin bescheidenen Erkenntnis in keinem rechten Verhältnis stand.
Um so erfreulicher ist es, daß Pannwitz aus der Tatsache dieser natürlichen
Mundarten zu pädagogischen Schlußfolgerungen kommt, die allerdings ihre gute
Bedeutung haben. Das Kind bringt seine Altersmundart mit in die Schule
hinein und Pannwitz warnt nun davor, ihn: diese natürliche Sprache zu zerstören,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/555>, abgerufen am 01.07.2024.