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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der volksschnllehrer und die deutsche Sprache

beschäftigt hat, wird finden, daß hier eine ebenso klar formulierte wie bedeutende
Forderung ausgesprochen ist. Ich an meinem Teil erblicke in dieser Forderung
den unvergänglichen Kern der Ausführungen und wünsche allein um der Boden¬
ständigkeit willen den Büchern Pannwitz' viele und nachdenkliche Leser. Was
seine Ausführungen über die deutsche Sprache und den deutschen Sprachunterricht
betrifft, so haben sie den unleugbaren Vorzug, mit starker Kraft auf das Leben
der Sprache hinzuweisen und mit starkem Haß das Abstrakte und das Leblose
zu bekämpfen. Im einzelnen aber wird, wie wir sehen werden, an manchen
Stellen Widerspruch erhoben werden müssen.

Bevor wir aber dazu übergehen, soll mit Freuden eine Attacke des Ver¬
fassers gegen den "pädagogischen Materialismus" des altgymnasialen Geistes
vermerkt werden. Nach der Anschauung dieses Geistes sollen bestimmte aus¬
gewählte Wissensstoffe von größerer bildender Kraft sein als andere. Wenn,
man aber mit bestimmten Stoffen bestimmte Werte verbindet, wenn man meint,
ein Stoff, also etwa die Sprachen, sei bildender als ein anderer, also etwa die
Pflanzen, so ist das eben das Gegenteil von dem, was man sonst Idealismus
zu nennen pflegt. Die Bildungswerte werden nicht im Geist gesucht, sondern
im Stoff, in der Materie. Wer sich den Sinn für die Frische und Fülle des
Lebens bewahrt hat, muß hier notwendig abgestorbene Schulmeisteret und graue
Pedanterie erblicken. Pannwitz verlangt mit Recht, daß der Volksschullehrer
endlich die Macht des Altgymnasialen überwinde. Er darf sich nichts mehr
innerlich aufzwingen lassen. Er muß glauben, daß alles, womit er sich beschäftigt,
eine Wissenschaft wird. Solange ihm Bienenzucht und Kohlbauen und Fabriken
besehen weniger Stoff zum Denken und Forschen gibt und weniger als Wissen¬
schaft gilt als experimentelle Psychologie, ist er ein Materialist und ein Knecht
des altgymnasialen Geistes. Wenn er es aber vermag, diese Dinge in die
freie gute Luft der Erkenntnis zu stellen und geistig zu nehmen, und wenn er
den Spaten und den Hobel mit Geist handhabt, dann arbeitet er an seiner
bodenständigen Bildung. Durch diese Sätze geht ein frischer Zug. Es ist, als
sähe man einen Freiluftmenschen im Gegensatz zu einem grammatischen Stuben¬
hocker. Leider aber führen von hier aus auch die Fäden zu eiuer schwärmerischen
Naturverehrung, die sich wenigstens für meine Erkenntnis völlig ins Wesenlose
verliert. Das Wichtigste ist, sagt er an einer Stelle, der Glaube an die gute
Natur, und wenn man das nur so aufzufassen hätte, daß der Glaube an die
gute Natur zunächst gewonnen werden muß, um die grammatikalische Natur¬
knechtung des altgymnasialen Geistes zu überwinden, dann wäre alles in der
besten Ordnung. Leider aber kommt Pannwitz zu Konsequenzen, die sehr viel
weiter und meines Erachtens ins leere Nichts hinausführen. Wenn man sagt,
jeder Mensch sei ein geborener Dichter, heißt es an einer anderen Stelle, und
wird ein Dichter, wenn auch nicht als Lebensberuf, sobald er ein Sprecher
wird, und Kindersprache, ganz rein, sei vollendete Kraft, so widerspricht einem
der Hochschullehrer, der Oberlehrer, der Volksschullehrer, sie alle einig im selben


Der volksschnllehrer und die deutsche Sprache

beschäftigt hat, wird finden, daß hier eine ebenso klar formulierte wie bedeutende
Forderung ausgesprochen ist. Ich an meinem Teil erblicke in dieser Forderung
den unvergänglichen Kern der Ausführungen und wünsche allein um der Boden¬
ständigkeit willen den Büchern Pannwitz' viele und nachdenkliche Leser. Was
seine Ausführungen über die deutsche Sprache und den deutschen Sprachunterricht
betrifft, so haben sie den unleugbaren Vorzug, mit starker Kraft auf das Leben
der Sprache hinzuweisen und mit starkem Haß das Abstrakte und das Leblose
zu bekämpfen. Im einzelnen aber wird, wie wir sehen werden, an manchen
Stellen Widerspruch erhoben werden müssen.

Bevor wir aber dazu übergehen, soll mit Freuden eine Attacke des Ver¬
fassers gegen den „pädagogischen Materialismus" des altgymnasialen Geistes
vermerkt werden. Nach der Anschauung dieses Geistes sollen bestimmte aus¬
gewählte Wissensstoffe von größerer bildender Kraft sein als andere. Wenn,
man aber mit bestimmten Stoffen bestimmte Werte verbindet, wenn man meint,
ein Stoff, also etwa die Sprachen, sei bildender als ein anderer, also etwa die
Pflanzen, so ist das eben das Gegenteil von dem, was man sonst Idealismus
zu nennen pflegt. Die Bildungswerte werden nicht im Geist gesucht, sondern
im Stoff, in der Materie. Wer sich den Sinn für die Frische und Fülle des
Lebens bewahrt hat, muß hier notwendig abgestorbene Schulmeisteret und graue
Pedanterie erblicken. Pannwitz verlangt mit Recht, daß der Volksschullehrer
endlich die Macht des Altgymnasialen überwinde. Er darf sich nichts mehr
innerlich aufzwingen lassen. Er muß glauben, daß alles, womit er sich beschäftigt,
eine Wissenschaft wird. Solange ihm Bienenzucht und Kohlbauen und Fabriken
besehen weniger Stoff zum Denken und Forschen gibt und weniger als Wissen¬
schaft gilt als experimentelle Psychologie, ist er ein Materialist und ein Knecht
des altgymnasialen Geistes. Wenn er es aber vermag, diese Dinge in die
freie gute Luft der Erkenntnis zu stellen und geistig zu nehmen, und wenn er
den Spaten und den Hobel mit Geist handhabt, dann arbeitet er an seiner
bodenständigen Bildung. Durch diese Sätze geht ein frischer Zug. Es ist, als
sähe man einen Freiluftmenschen im Gegensatz zu einem grammatischen Stuben¬
hocker. Leider aber führen von hier aus auch die Fäden zu eiuer schwärmerischen
Naturverehrung, die sich wenigstens für meine Erkenntnis völlig ins Wesenlose
verliert. Das Wichtigste ist, sagt er an einer Stelle, der Glaube an die gute
Natur, und wenn man das nur so aufzufassen hätte, daß der Glaube an die
gute Natur zunächst gewonnen werden muß, um die grammatikalische Natur¬
knechtung des altgymnasialen Geistes zu überwinden, dann wäre alles in der
besten Ordnung. Leider aber kommt Pannwitz zu Konsequenzen, die sehr viel
weiter und meines Erachtens ins leere Nichts hinausführen. Wenn man sagt,
jeder Mensch sei ein geborener Dichter, heißt es an einer anderen Stelle, und
wird ein Dichter, wenn auch nicht als Lebensberuf, sobald er ein Sprecher
wird, und Kindersprache, ganz rein, sei vollendete Kraft, so widerspricht einem
der Hochschullehrer, der Oberlehrer, der Volksschullehrer, sie alle einig im selben


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[0552] Der volksschnllehrer und die deutsche Sprache beschäftigt hat, wird finden, daß hier eine ebenso klar formulierte wie bedeutende Forderung ausgesprochen ist. Ich an meinem Teil erblicke in dieser Forderung den unvergänglichen Kern der Ausführungen und wünsche allein um der Boden¬ ständigkeit willen den Büchern Pannwitz' viele und nachdenkliche Leser. Was seine Ausführungen über die deutsche Sprache und den deutschen Sprachunterricht betrifft, so haben sie den unleugbaren Vorzug, mit starker Kraft auf das Leben der Sprache hinzuweisen und mit starkem Haß das Abstrakte und das Leblose zu bekämpfen. Im einzelnen aber wird, wie wir sehen werden, an manchen Stellen Widerspruch erhoben werden müssen. Bevor wir aber dazu übergehen, soll mit Freuden eine Attacke des Ver¬ fassers gegen den „pädagogischen Materialismus" des altgymnasialen Geistes vermerkt werden. Nach der Anschauung dieses Geistes sollen bestimmte aus¬ gewählte Wissensstoffe von größerer bildender Kraft sein als andere. Wenn, man aber mit bestimmten Stoffen bestimmte Werte verbindet, wenn man meint, ein Stoff, also etwa die Sprachen, sei bildender als ein anderer, also etwa die Pflanzen, so ist das eben das Gegenteil von dem, was man sonst Idealismus zu nennen pflegt. Die Bildungswerte werden nicht im Geist gesucht, sondern im Stoff, in der Materie. Wer sich den Sinn für die Frische und Fülle des Lebens bewahrt hat, muß hier notwendig abgestorbene Schulmeisteret und graue Pedanterie erblicken. Pannwitz verlangt mit Recht, daß der Volksschullehrer endlich die Macht des Altgymnasialen überwinde. Er darf sich nichts mehr innerlich aufzwingen lassen. Er muß glauben, daß alles, womit er sich beschäftigt, eine Wissenschaft wird. Solange ihm Bienenzucht und Kohlbauen und Fabriken besehen weniger Stoff zum Denken und Forschen gibt und weniger als Wissen¬ schaft gilt als experimentelle Psychologie, ist er ein Materialist und ein Knecht des altgymnasialen Geistes. Wenn er es aber vermag, diese Dinge in die freie gute Luft der Erkenntnis zu stellen und geistig zu nehmen, und wenn er den Spaten und den Hobel mit Geist handhabt, dann arbeitet er an seiner bodenständigen Bildung. Durch diese Sätze geht ein frischer Zug. Es ist, als sähe man einen Freiluftmenschen im Gegensatz zu einem grammatischen Stuben¬ hocker. Leider aber führen von hier aus auch die Fäden zu eiuer schwärmerischen Naturverehrung, die sich wenigstens für meine Erkenntnis völlig ins Wesenlose verliert. Das Wichtigste ist, sagt er an einer Stelle, der Glaube an die gute Natur, und wenn man das nur so aufzufassen hätte, daß der Glaube an die gute Natur zunächst gewonnen werden muß, um die grammatikalische Natur¬ knechtung des altgymnasialen Geistes zu überwinden, dann wäre alles in der besten Ordnung. Leider aber kommt Pannwitz zu Konsequenzen, die sehr viel weiter und meines Erachtens ins leere Nichts hinausführen. Wenn man sagt, jeder Mensch sei ein geborener Dichter, heißt es an einer anderen Stelle, und wird ein Dichter, wenn auch nicht als Lebensberuf, sobald er ein Sprecher wird, und Kindersprache, ganz rein, sei vollendete Kraft, so widerspricht einem der Hochschullehrer, der Oberlehrer, der Volksschullehrer, sie alle einig im selben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/552>, abgerufen am 01.07.2024.