Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache notwendig sein, daß wir einen Absatz an die frühere Arbeit verwenden, um die Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache notwendig sein, daß wir einen Absatz an die frühere Arbeit verwenden, um die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316190"/> <fw type="header" place="top"> Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_2895" prev="#ID_2894" next="#ID_2896"> notwendig sein, daß wir einen Absatz an die frühere Arbeit verwenden, um die<lb/> vorliegende besser zu verstehen. Vor einer grauen Verallgemeinerung der<lb/> Gelehrtenkultur, die immer nur etwas Äußerliches und Angelerntes sein kann,<lb/> da die wirkliche Gelehrsamkeit ein ganzes Leben erfordert, rettet sich Pannwitz<lb/> durch einen entschlossenen Sprung auf den festen Boden der Standeskulturen.<lb/> Wir haben heute so etwas wie eine „allgemeine Bildung", die eben, weil sie<lb/> allgemein ist, nicht gut eine besondere Farbe aufweisen kann. Sie ist überall<lb/> und gehört im Grunde nirgends hin. Oder ist es nicht komisch, wenn ein<lb/> Kaufmann seine Bildung durch ein lateinisches Zitat beweisen will oder beweisen<lb/> muß? Anstatt einer solchen Kultur ins Blaue hinein fordert Pannwitz nun eine<lb/> Kultur, die aus den: Stand selber herauswächst und vom Stand selber geschaffen<lb/> wird. Es soll keine „allgemeine" Bildung geben — sondern eine Kaufmanns¬<lb/> kultur, eine Handwerkerkultur, eine Bauernkultur, eine Jndustriearbeiterkultur usw.<lb/> Auf diese Weise würde Leben, Farbe, Notwendigkeit und Sinn entstehen, wo<lb/> wir jetzt das leere „Allgemeine" treffen. Im besonderen fürchtet Pannwitz auch,<lb/> daß die Gelehrtenkultur als „popularisierte" oder heruntergekommene Wissenschaft<lb/> an das werktätige Volk gebracht werden könnte. Seine Grundforderung ist:<lb/> Führt das Volk nicht in eure Bildung hinein (aus der er sich ja leidenschaftlich<lb/> heraussehnt), sondern ermöglicht es ihm, eine eigene Bildung selbst zu schaffen.<lb/> Die gelehrte Bildung raubt dein Volk die Kraft, sie schneidet die Wurzeln durch,<lb/> die es mit dem Erdreich verbinden. Das Volk soll die Erscheinungen und<lb/> Wirklichkeiten der Welt selber kennen lernen, es soll an die bunte Fülle der<lb/> Dinge herantreten, es darf unter keinen Umständen durch gelehrte Theorien<lb/> voreingenommen sein. Die Theorien hindern am Sehen, das Volk sieht dann<lb/> nichts, als was der Gelehrte will. Es wird den Dingen gar nicht gestattet,<lb/> auf seine frischen Sinne zu wirken. Es kann etwas Neues nicht sehen, weil es<lb/> von vornherein nur das sieht, was durch die Theorie unterstrichen ist. Auf<lb/> diese Weise kann man zwar etwas auf das Volk übertrage«, es kann aber unter<lb/> keinen Umständen etwas wachsen, weil die Grundlage alles Lebens, die eigene<lb/> Beobachtung und das eigene Sehen, von vornherein ruiniert ist. Von seiner<lb/> Bodenständigkeit aus empfindet Pannwitz es auch als einen Unsinn, daß überall<lb/> in derselben Weise unterrichtet wird. Es ist ein Unsinn, daß die Kinder der<lb/> Fabrikarbeiter nach demselben Schema unterrichtet werden, nach dem die Kinder<lb/> der Landarbeiter und Bauern unterrichtet werden, ein Unsinn, daß in: Gebirge<lb/> dasselbe „Pensum" durchgenommen wird wie am Meer und am Meer wieder<lb/> dasselbe wie in den Straßen von Berlin Im Unterricht eines Fischerknaben<lb/> muß der bunte, reiche, interessante Strand enthalten sein, in der Kultur der<lb/> Fabrikarbeiter das surren der Räder und die technischen Dinge. Allgemein:<lb/> Jede Schule soll eine Bewältigung ihrer Landschaft darstellen, mit all der Kultur<lb/> und Natur, die in eben dieser Landschaft enthalten ist. Damit haben wir die<lb/> Vodeuständigkeit für die Schulbildung, die sich dann in der Bodenständigkeit der<lb/> Standeskulturen weiter fortsetzt. Wer sich überhaupt mit kulturellen Fragen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0551]
Der Volksschullehrer und die deutsche Sprache
notwendig sein, daß wir einen Absatz an die frühere Arbeit verwenden, um die
vorliegende besser zu verstehen. Vor einer grauen Verallgemeinerung der
Gelehrtenkultur, die immer nur etwas Äußerliches und Angelerntes sein kann,
da die wirkliche Gelehrsamkeit ein ganzes Leben erfordert, rettet sich Pannwitz
durch einen entschlossenen Sprung auf den festen Boden der Standeskulturen.
Wir haben heute so etwas wie eine „allgemeine Bildung", die eben, weil sie
allgemein ist, nicht gut eine besondere Farbe aufweisen kann. Sie ist überall
und gehört im Grunde nirgends hin. Oder ist es nicht komisch, wenn ein
Kaufmann seine Bildung durch ein lateinisches Zitat beweisen will oder beweisen
muß? Anstatt einer solchen Kultur ins Blaue hinein fordert Pannwitz nun eine
Kultur, die aus den: Stand selber herauswächst und vom Stand selber geschaffen
wird. Es soll keine „allgemeine" Bildung geben — sondern eine Kaufmanns¬
kultur, eine Handwerkerkultur, eine Bauernkultur, eine Jndustriearbeiterkultur usw.
Auf diese Weise würde Leben, Farbe, Notwendigkeit und Sinn entstehen, wo
wir jetzt das leere „Allgemeine" treffen. Im besonderen fürchtet Pannwitz auch,
daß die Gelehrtenkultur als „popularisierte" oder heruntergekommene Wissenschaft
an das werktätige Volk gebracht werden könnte. Seine Grundforderung ist:
Führt das Volk nicht in eure Bildung hinein (aus der er sich ja leidenschaftlich
heraussehnt), sondern ermöglicht es ihm, eine eigene Bildung selbst zu schaffen.
Die gelehrte Bildung raubt dein Volk die Kraft, sie schneidet die Wurzeln durch,
die es mit dem Erdreich verbinden. Das Volk soll die Erscheinungen und
Wirklichkeiten der Welt selber kennen lernen, es soll an die bunte Fülle der
Dinge herantreten, es darf unter keinen Umständen durch gelehrte Theorien
voreingenommen sein. Die Theorien hindern am Sehen, das Volk sieht dann
nichts, als was der Gelehrte will. Es wird den Dingen gar nicht gestattet,
auf seine frischen Sinne zu wirken. Es kann etwas Neues nicht sehen, weil es
von vornherein nur das sieht, was durch die Theorie unterstrichen ist. Auf
diese Weise kann man zwar etwas auf das Volk übertrage«, es kann aber unter
keinen Umständen etwas wachsen, weil die Grundlage alles Lebens, die eigene
Beobachtung und das eigene Sehen, von vornherein ruiniert ist. Von seiner
Bodenständigkeit aus empfindet Pannwitz es auch als einen Unsinn, daß überall
in derselben Weise unterrichtet wird. Es ist ein Unsinn, daß die Kinder der
Fabrikarbeiter nach demselben Schema unterrichtet werden, nach dem die Kinder
der Landarbeiter und Bauern unterrichtet werden, ein Unsinn, daß in: Gebirge
dasselbe „Pensum" durchgenommen wird wie am Meer und am Meer wieder
dasselbe wie in den Straßen von Berlin Im Unterricht eines Fischerknaben
muß der bunte, reiche, interessante Strand enthalten sein, in der Kultur der
Fabrikarbeiter das surren der Räder und die technischen Dinge. Allgemein:
Jede Schule soll eine Bewältigung ihrer Landschaft darstellen, mit all der Kultur
und Natur, die in eben dieser Landschaft enthalten ist. Damit haben wir die
Vodeuständigkeit für die Schulbildung, die sich dann in der Bodenständigkeit der
Standeskulturen weiter fortsetzt. Wer sich überhaupt mit kulturellen Fragen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |