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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was grau vor Wer ist, das ist dem Durchschnittsreporter heilig. Der
Lvkalredakteur aber rüttelt ebenfalls nicht gern an alten Bräuchen. Teils aus
Bequemlichkeit, teils weil er wirklich nicht so lange Zeit hat, bis ihm etwas
Besseres einfällt, teils weil ihm überhaupt nichts Besseres einfällt. So schleppen
sich denn wie die Seeschlange jahraus jahrein dieselben Überschriften und klischierten
Floskeln spaltenwärts. Hat die Feuerwehr einmal einen Liebesdienst getan, der
streng genommen nicht zu ihrem Ressort gehört, kann man mit tödlicher Sicherheit
auf die Überschrift gefaßt sein: "Das Mädchen für alles". Jeder Exzeß gegen
einen Schutzmann heißt "Blaukoller". Nun soll gegen solche Bezeichnungen gar
nichts einmal gesagt sein. Sie sind wenigstens nicht unsinnig und waren, als sie
zum erstenmal gebraucht wurden, sogar ganz hübsch. Ja, alte Lokalredakteure
rühmen sich noch heute in diesem oder jenein Falle der Vaterschaft, und sind stolz
darauf, ihren Kindern lange Jahre hindurch allerorten zu begegnen. Anders ist
es rin folgendem lieben alten Bekannten: "Wie die Vandalen hausten neulich in
der Schankwirtschaft von . . . Bis zum Überdruß ist von den verschiedensten
Seiten darauf hingewiesen worden, daß die Vandalen ein edles germanisches Volk
waren, daß die ihnen angedichteten banausischen Roheiten Schwindel sind. Tut
nichts. Jahraus jahrein werden selbst in deutschnationalen Blättern unsere Vor¬
fahren beschimpft, indem man ihnen die widerlichsten Rowdys und Kaschemmen¬
lümmel gleichsetzt oder gar noch überordnet. Der lokale Teil kennt von den
verschiedenen Dichtern und Schriftstellern immer nur eine ganz bestimmte Kost-
Probe. Von Zola: "Die Bestie im Menschen". Bei Gutzkow ist der alte Ben
Allda noch immer Favorit. "Es ist alles schon dagewesen, sagt Rabbi Ben Allda,
aber ein derartig frecher Eiiibruchsdiebstahl, wie er neulich in der Mulackstraße. . ."
Es gibt Lokalredaktionen, die gar noch mit "Jupiter Pluvius", mit den "Kindern
Florens" und anderen mythologischen Werten arbeiten. Einer der Herren Bericht¬
erstatter äußert sich vornehmlich über Brände. Ob es sich nun an Groß- oder
Mittelfeuer oder gar nur um einen Gardinenbrand handelt, jedesmal "gab die
Feuerwehr kräftig Wasser". Und da es nun in Berlin manchmal recht oft brennt,
ist das "kräftige Wassergeben" ein beliebter Sport in den Lokalspalten, soweit der
kräftige Wassergeber nicht in den Papierkorb schwimmt. "Ein gefährlicher Kinder¬
freund", "Ein Unhold", "Ein Vampyr der Großstadt". "Der Spitzhacke zum
Opfer gefallen" hieß eS, wenn ein altes Haus daran glauben mußte. Da besann
sich plötzlich jemand auf Schiller, und seit der Zeit sind die Meinungen gespalten.
Die einen bleiben der Spitzhacke treu, die andern sagen: "Das Alte stürztI"

"Ein PaletotmarderI" "Wieder das Petroleum!" "streut den Vögeln Futter I"
Hat man eine unbekannte Leiche gefunden, so wirft die richtige Lokalredaktion
Prompt die Frage auf: "Wer ist der Tote?" "Wieder einer!" hallt es durch die
antisemitische Presse, wenn ein jüdischer Kassierer von bannen ging oder irgendein
Manasse betrogen hat. Derselbe Ruf zieht durch deu demokratischen Blätterwald,
tat ein "Junker oder Pfaffe" einen Schritt vom Wege. Die Phraseologie der
"Genossen" ist übrigens nicht geistreicher und meistens auch nicht vielseitiger:
..Der Säbel haut", "Bluthunde", "Ein Opfer des Kapitalismus".

"Einen guten Fang machte neulich die Kriminalpolizei----" Die sichtliche
Freude des loyalen Staatsbürgers über solch ein Vorkommnis wirkt etwas
abgestanden, wenn sie wöchentlich mindestens einmal mit genau derselben Vokabel
auftaucht. Geradezu peinlich aber wird der Durchschnittsreporter, wenn er es
M,z rite und richtig mit der Moral bekommt. Denn auch für seine tiefste sittliche
Entrüstung hat er streng vorgeschriebene Formen und Formeln, von denen beileibe
nicht abgewichen wird. "Ein nettes Früchtchen scheint der vierzehnjährige Sohn


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Was grau vor Wer ist, das ist dem Durchschnittsreporter heilig. Der
Lvkalredakteur aber rüttelt ebenfalls nicht gern an alten Bräuchen. Teils aus
Bequemlichkeit, teils weil er wirklich nicht so lange Zeit hat, bis ihm etwas
Besseres einfällt, teils weil ihm überhaupt nichts Besseres einfällt. So schleppen
sich denn wie die Seeschlange jahraus jahrein dieselben Überschriften und klischierten
Floskeln spaltenwärts. Hat die Feuerwehr einmal einen Liebesdienst getan, der
streng genommen nicht zu ihrem Ressort gehört, kann man mit tödlicher Sicherheit
auf die Überschrift gefaßt sein: „Das Mädchen für alles". Jeder Exzeß gegen
einen Schutzmann heißt „Blaukoller". Nun soll gegen solche Bezeichnungen gar
nichts einmal gesagt sein. Sie sind wenigstens nicht unsinnig und waren, als sie
zum erstenmal gebraucht wurden, sogar ganz hübsch. Ja, alte Lokalredakteure
rühmen sich noch heute in diesem oder jenein Falle der Vaterschaft, und sind stolz
darauf, ihren Kindern lange Jahre hindurch allerorten zu begegnen. Anders ist
es rin folgendem lieben alten Bekannten: „Wie die Vandalen hausten neulich in
der Schankwirtschaft von . . . Bis zum Überdruß ist von den verschiedensten
Seiten darauf hingewiesen worden, daß die Vandalen ein edles germanisches Volk
waren, daß die ihnen angedichteten banausischen Roheiten Schwindel sind. Tut
nichts. Jahraus jahrein werden selbst in deutschnationalen Blättern unsere Vor¬
fahren beschimpft, indem man ihnen die widerlichsten Rowdys und Kaschemmen¬
lümmel gleichsetzt oder gar noch überordnet. Der lokale Teil kennt von den
verschiedenen Dichtern und Schriftstellern immer nur eine ganz bestimmte Kost-
Probe. Von Zola: „Die Bestie im Menschen". Bei Gutzkow ist der alte Ben
Allda noch immer Favorit. „Es ist alles schon dagewesen, sagt Rabbi Ben Allda,
aber ein derartig frecher Eiiibruchsdiebstahl, wie er neulich in der Mulackstraße. . ."
Es gibt Lokalredaktionen, die gar noch mit „Jupiter Pluvius", mit den „Kindern
Florens" und anderen mythologischen Werten arbeiten. Einer der Herren Bericht¬
erstatter äußert sich vornehmlich über Brände. Ob es sich nun an Groß- oder
Mittelfeuer oder gar nur um einen Gardinenbrand handelt, jedesmal „gab die
Feuerwehr kräftig Wasser". Und da es nun in Berlin manchmal recht oft brennt,
ist das „kräftige Wassergeben" ein beliebter Sport in den Lokalspalten, soweit der
kräftige Wassergeber nicht in den Papierkorb schwimmt. „Ein gefährlicher Kinder¬
freund", „Ein Unhold", „Ein Vampyr der Großstadt". „Der Spitzhacke zum
Opfer gefallen" hieß eS, wenn ein altes Haus daran glauben mußte. Da besann
sich plötzlich jemand auf Schiller, und seit der Zeit sind die Meinungen gespalten.
Die einen bleiben der Spitzhacke treu, die andern sagen: „Das Alte stürztI"

„Ein PaletotmarderI" „Wieder das Petroleum!" „streut den Vögeln Futter I"
Hat man eine unbekannte Leiche gefunden, so wirft die richtige Lokalredaktion
Prompt die Frage auf: „Wer ist der Tote?" „Wieder einer!" hallt es durch die
antisemitische Presse, wenn ein jüdischer Kassierer von bannen ging oder irgendein
Manasse betrogen hat. Derselbe Ruf zieht durch deu demokratischen Blätterwald,
tat ein „Junker oder Pfaffe" einen Schritt vom Wege. Die Phraseologie der
"Genossen" ist übrigens nicht geistreicher und meistens auch nicht vielseitiger:
..Der Säbel haut", „Bluthunde", „Ein Opfer des Kapitalismus".

„Einen guten Fang machte neulich die Kriminalpolizei----" Die sichtliche
Freude des loyalen Staatsbürgers über solch ein Vorkommnis wirkt etwas
abgestanden, wenn sie wöchentlich mindestens einmal mit genau derselben Vokabel
auftaucht. Geradezu peinlich aber wird der Durchschnittsreporter, wenn er es
M,z rite und richtig mit der Moral bekommt. Denn auch für seine tiefste sittliche
Entrüstung hat er streng vorgeschriebene Formen und Formeln, von denen beileibe
nicht abgewichen wird. „Ein nettes Früchtchen scheint der vierzehnjährige Sohn


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[0539] Maßgebliches und Unmaßgebliches Was grau vor Wer ist, das ist dem Durchschnittsreporter heilig. Der Lvkalredakteur aber rüttelt ebenfalls nicht gern an alten Bräuchen. Teils aus Bequemlichkeit, teils weil er wirklich nicht so lange Zeit hat, bis ihm etwas Besseres einfällt, teils weil ihm überhaupt nichts Besseres einfällt. So schleppen sich denn wie die Seeschlange jahraus jahrein dieselben Überschriften und klischierten Floskeln spaltenwärts. Hat die Feuerwehr einmal einen Liebesdienst getan, der streng genommen nicht zu ihrem Ressort gehört, kann man mit tödlicher Sicherheit auf die Überschrift gefaßt sein: „Das Mädchen für alles". Jeder Exzeß gegen einen Schutzmann heißt „Blaukoller". Nun soll gegen solche Bezeichnungen gar nichts einmal gesagt sein. Sie sind wenigstens nicht unsinnig und waren, als sie zum erstenmal gebraucht wurden, sogar ganz hübsch. Ja, alte Lokalredakteure rühmen sich noch heute in diesem oder jenein Falle der Vaterschaft, und sind stolz darauf, ihren Kindern lange Jahre hindurch allerorten zu begegnen. Anders ist es rin folgendem lieben alten Bekannten: „Wie die Vandalen hausten neulich in der Schankwirtschaft von . . . Bis zum Überdruß ist von den verschiedensten Seiten darauf hingewiesen worden, daß die Vandalen ein edles germanisches Volk waren, daß die ihnen angedichteten banausischen Roheiten Schwindel sind. Tut nichts. Jahraus jahrein werden selbst in deutschnationalen Blättern unsere Vor¬ fahren beschimpft, indem man ihnen die widerlichsten Rowdys und Kaschemmen¬ lümmel gleichsetzt oder gar noch überordnet. Der lokale Teil kennt von den verschiedenen Dichtern und Schriftstellern immer nur eine ganz bestimmte Kost- Probe. Von Zola: „Die Bestie im Menschen". Bei Gutzkow ist der alte Ben Allda noch immer Favorit. „Es ist alles schon dagewesen, sagt Rabbi Ben Allda, aber ein derartig frecher Eiiibruchsdiebstahl, wie er neulich in der Mulackstraße. . ." Es gibt Lokalredaktionen, die gar noch mit „Jupiter Pluvius", mit den „Kindern Florens" und anderen mythologischen Werten arbeiten. Einer der Herren Bericht¬ erstatter äußert sich vornehmlich über Brände. Ob es sich nun an Groß- oder Mittelfeuer oder gar nur um einen Gardinenbrand handelt, jedesmal „gab die Feuerwehr kräftig Wasser". Und da es nun in Berlin manchmal recht oft brennt, ist das „kräftige Wassergeben" ein beliebter Sport in den Lokalspalten, soweit der kräftige Wassergeber nicht in den Papierkorb schwimmt. „Ein gefährlicher Kinder¬ freund", „Ein Unhold", „Ein Vampyr der Großstadt". „Der Spitzhacke zum Opfer gefallen" hieß eS, wenn ein altes Haus daran glauben mußte. Da besann sich plötzlich jemand auf Schiller, und seit der Zeit sind die Meinungen gespalten. Die einen bleiben der Spitzhacke treu, die andern sagen: „Das Alte stürztI" „Ein PaletotmarderI" „Wieder das Petroleum!" „streut den Vögeln Futter I" Hat man eine unbekannte Leiche gefunden, so wirft die richtige Lokalredaktion Prompt die Frage auf: „Wer ist der Tote?" „Wieder einer!" hallt es durch die antisemitische Presse, wenn ein jüdischer Kassierer von bannen ging oder irgendein Manasse betrogen hat. Derselbe Ruf zieht durch deu demokratischen Blätterwald, tat ein „Junker oder Pfaffe" einen Schritt vom Wege. Die Phraseologie der "Genossen" ist übrigens nicht geistreicher und meistens auch nicht vielseitiger: ..Der Säbel haut", „Bluthunde", „Ein Opfer des Kapitalismus". „Einen guten Fang machte neulich die Kriminalpolizei----" Die sichtliche Freude des loyalen Staatsbürgers über solch ein Vorkommnis wirkt etwas abgestanden, wenn sie wöchentlich mindestens einmal mit genau derselben Vokabel auftaucht. Geradezu peinlich aber wird der Durchschnittsreporter, wenn er es M,z rite und richtig mit der Moral bekommt. Denn auch für seine tiefste sittliche Entrüstung hat er streng vorgeschriebene Formen und Formeln, von denen beileibe nicht abgewichen wird. „Ein nettes Früchtchen scheint der vierzehnjährige Sohn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/539>, abgerufen am 01.07.2024.