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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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I>er Austcmschprofcssor

schweren Herzens den Göttinger Tretbrief aus der Tasche, las ihn ein paarmal
über, seufzte tief, schloß die Augen --- und schlief ein.

Nach einer geraumen Weile kam Miß Granton, hinter ihr Ilm mit einem
gewaltigen Paket, zurück. Sie trat ius Honoratiorenzimmer. Jerum schlief weiter.

An der Erde lag ein Brief.

Miß Granton hob ihn auf. Las ihn. Und dachte:

Also das ist der Grund vom "Brummschädel" -- und Heimweh nach
Persien.

Der arme junge Mann tat ihr leid. Sie hatte ihn für wohlhabend --
sehr wohlhabend gehalten, was er vor fünf Jahren, als sie ihn auf dein
Hamburger Dampfer keimen lernte, zweifellos gewesen war. Daher Wein,
"Gröck" und Galgenhumor.

"Landlady", sagte sie zu der Postwirtin, indem sie die Tür vorsichtig schloß,
"kennen Sie den Herrn da drinnen?"

"Natürlich," sagte die Wirtin. "Das ist Herr Doktor Jerum. Ein furchtbar
klugen Menschen, und ümmer so lustig. Aber manchmal ist er traurig. Kömmt
oft bei mich."

"Trinkt er viel Wein und Gröck?"

"Goar nich," sagte die Wirtin. "Bloß Bier mit'u kleinen Wuppdi vorauf."

"Wntki?" fragte Fräulein Granton.

"Ne, Wuppdi. Guten Bergstädter Doppelkümmel. -- Ein furchtbar gut¬
mütigen Menschen. -- Un is sogar in Persien gewesen."

"Was hat er dort gemacht?"

"Gereist. Ümmerlos gereist. Das Reisen steckt in sein' Natur. Schon
als Jung von zwölf Jahren is er wegen das Reisen durchgebrannt. In Klein¬
asien haben sie ihn wiedergekriegt. -- Nachher hat er bei die Universität gewollt,
als Professor, hat auch bannig studiert und großartige Zeugnissen. Und viel
Geld hat sein Vater damals noch gehabt, und Herr Doktor Jerum hat bei das
Reisen und studieren fix was unter die Leute gebracht. Aber der Alte hat
Pankrott gemacht, und da hat der Junge bei's Gymnasium gemußt. Das hat
er ungern getan. Und Schulden, Gott o Gott! Das haben welche von seinen
Kollegen hier mal erzählt. Aber er bezahlt fix ab. Das hat mir Frau Ober-
poßsekkertär Krause erzählt. Der Herr Obcrpoßsekkertär revendiert ja immer bei
uns die Kasse und so, denn wir haben ja die Poßagcntur, und denn kömmt
sie immer mit, und denn erzählen wir uns en bißchen. Und --"

"l'KanK ^on," sagte Miß Alice. "Er schläft. Lassen Sie ihn schlafen.
Er hat gestern abend -- so furchtbar lange gearbeitet."

So, nun hatte Miß Granton für ihren' Freund -- gelogen. Nun war sie
uicht besser als andere Leute.

Und nun fragte sie, ob man etwas zu essen haben könne, und als die
Wirtin bejahte, stellte sie ein Menü zusammen und befahl, wenn die Speisen
hergerichtet seien, solle Doktor Jerum geweckt werden. Eher uicht.


I>er Austcmschprofcssor

schweren Herzens den Göttinger Tretbrief aus der Tasche, las ihn ein paarmal
über, seufzte tief, schloß die Augen -— und schlief ein.

Nach einer geraumen Weile kam Miß Granton, hinter ihr Ilm mit einem
gewaltigen Paket, zurück. Sie trat ius Honoratiorenzimmer. Jerum schlief weiter.

An der Erde lag ein Brief.

Miß Granton hob ihn auf. Las ihn. Und dachte:

Also das ist der Grund vom „Brummschädel" — und Heimweh nach
Persien.

Der arme junge Mann tat ihr leid. Sie hatte ihn für wohlhabend —
sehr wohlhabend gehalten, was er vor fünf Jahren, als sie ihn auf dein
Hamburger Dampfer keimen lernte, zweifellos gewesen war. Daher Wein,
„Gröck" und Galgenhumor.

„Landlady", sagte sie zu der Postwirtin, indem sie die Tür vorsichtig schloß,
„kennen Sie den Herrn da drinnen?"

„Natürlich," sagte die Wirtin. „Das ist Herr Doktor Jerum. Ein furchtbar
klugen Menschen, und ümmer so lustig. Aber manchmal ist er traurig. Kömmt
oft bei mich."

„Trinkt er viel Wein und Gröck?"

„Goar nich," sagte die Wirtin. „Bloß Bier mit'u kleinen Wuppdi vorauf."

„Wntki?" fragte Fräulein Granton.

„Ne, Wuppdi. Guten Bergstädter Doppelkümmel. — Ein furchtbar gut¬
mütigen Menschen. — Un is sogar in Persien gewesen."

„Was hat er dort gemacht?"

„Gereist. Ümmerlos gereist. Das Reisen steckt in sein' Natur. Schon
als Jung von zwölf Jahren is er wegen das Reisen durchgebrannt. In Klein¬
asien haben sie ihn wiedergekriegt. — Nachher hat er bei die Universität gewollt,
als Professor, hat auch bannig studiert und großartige Zeugnissen. Und viel
Geld hat sein Vater damals noch gehabt, und Herr Doktor Jerum hat bei das
Reisen und studieren fix was unter die Leute gebracht. Aber der Alte hat
Pankrott gemacht, und da hat der Junge bei's Gymnasium gemußt. Das hat
er ungern getan. Und Schulden, Gott o Gott! Das haben welche von seinen
Kollegen hier mal erzählt. Aber er bezahlt fix ab. Das hat mir Frau Ober-
poßsekkertär Krause erzählt. Der Herr Obcrpoßsekkertär revendiert ja immer bei
uns die Kasse und so, denn wir haben ja die Poßagcntur, und denn kömmt
sie immer mit, und denn erzählen wir uns en bißchen. Und —"

„l'KanK ^on," sagte Miß Alice. „Er schläft. Lassen Sie ihn schlafen.
Er hat gestern abend — so furchtbar lange gearbeitet."

So, nun hatte Miß Granton für ihren' Freund — gelogen. Nun war sie
uicht besser als andere Leute.

Und nun fragte sie, ob man etwas zu essen haben könne, und als die
Wirtin bejahte, stellte sie ein Menü zusammen und befahl, wenn die Speisen
hergerichtet seien, solle Doktor Jerum geweckt werden. Eher uicht.


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[0532] I>er Austcmschprofcssor schweren Herzens den Göttinger Tretbrief aus der Tasche, las ihn ein paarmal über, seufzte tief, schloß die Augen -— und schlief ein. Nach einer geraumen Weile kam Miß Granton, hinter ihr Ilm mit einem gewaltigen Paket, zurück. Sie trat ius Honoratiorenzimmer. Jerum schlief weiter. An der Erde lag ein Brief. Miß Granton hob ihn auf. Las ihn. Und dachte: Also das ist der Grund vom „Brummschädel" — und Heimweh nach Persien. Der arme junge Mann tat ihr leid. Sie hatte ihn für wohlhabend — sehr wohlhabend gehalten, was er vor fünf Jahren, als sie ihn auf dein Hamburger Dampfer keimen lernte, zweifellos gewesen war. Daher Wein, „Gröck" und Galgenhumor. „Landlady", sagte sie zu der Postwirtin, indem sie die Tür vorsichtig schloß, „kennen Sie den Herrn da drinnen?" „Natürlich," sagte die Wirtin. „Das ist Herr Doktor Jerum. Ein furchtbar klugen Menschen, und ümmer so lustig. Aber manchmal ist er traurig. Kömmt oft bei mich." „Trinkt er viel Wein und Gröck?" „Goar nich," sagte die Wirtin. „Bloß Bier mit'u kleinen Wuppdi vorauf." „Wntki?" fragte Fräulein Granton. „Ne, Wuppdi. Guten Bergstädter Doppelkümmel. — Ein furchtbar gut¬ mütigen Menschen. — Un is sogar in Persien gewesen." „Was hat er dort gemacht?" „Gereist. Ümmerlos gereist. Das Reisen steckt in sein' Natur. Schon als Jung von zwölf Jahren is er wegen das Reisen durchgebrannt. In Klein¬ asien haben sie ihn wiedergekriegt. — Nachher hat er bei die Universität gewollt, als Professor, hat auch bannig studiert und großartige Zeugnissen. Und viel Geld hat sein Vater damals noch gehabt, und Herr Doktor Jerum hat bei das Reisen und studieren fix was unter die Leute gebracht. Aber der Alte hat Pankrott gemacht, und da hat der Junge bei's Gymnasium gemußt. Das hat er ungern getan. Und Schulden, Gott o Gott! Das haben welche von seinen Kollegen hier mal erzählt. Aber er bezahlt fix ab. Das hat mir Frau Ober- poßsekkertär Krause erzählt. Der Herr Obcrpoßsekkertär revendiert ja immer bei uns die Kasse und so, denn wir haben ja die Poßagcntur, und denn kömmt sie immer mit, und denn erzählen wir uns en bißchen. Und —" „l'KanK ^on," sagte Miß Alice. „Er schläft. Lassen Sie ihn schlafen. Er hat gestern abend — so furchtbar lange gearbeitet." So, nun hatte Miß Granton für ihren' Freund — gelogen. Nun war sie uicht besser als andere Leute. Und nun fragte sie, ob man etwas zu essen haben könne, und als die Wirtin bejahte, stellte sie ein Menü zusammen und befahl, wenn die Speisen hergerichtet seien, solle Doktor Jerum geweckt werden. Eher uicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/532>, abgerufen am 01.07.2024.