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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Freiligrath

Rußland, und grimmige Predigten über die schwächliche Haltung der preußischen
Regierung sind "Die weiße Frau". "Vom süßen Brei" und "Im Himmel".
Auch das "Glaubensbekenntnis" erzielte daher eine gewaltige Wirkung, und
man las es um so eifriger, je mehr die Polizei nach den von der Zensur in
die Acht getaner Büchern fahndete.

Der Dichter hatte sich inzwischen in die selbstgewählte Verbannung begeben
und schließlich in der Schweiz ein Asyl gefunden. In der schwülen Atmosphäre
des politischen, sozialen und religiösen Radikalismus, die hier im Kreise der
vormärzlichen Verbannten, wie Arnold Ruges, Karl Heinzens usw. herrschte,
wurde nun auch Freiligrath offen zum roten Revolutionär und ließ aufreizende,
nach Blut und Pulver riechende Marseillaisen in die Welt fliegen. Im Jahre
1846 erschien die kleine Sammlung ira!". Man kann die politischen
Anschauungen des Dichters beklagen oder verdammenswert finden, aber man
muß auch in diesen wilden Revolutionsgedichten die hohe Kunst bewundern,
mittels welcher der Empfindungsgehalt mit großartigem Schwung des dichterischen
Ausdrucks stets in ein höchst anschauliches Bild, in eine dramatisch-packende
Handlung hineingewoben ist. -- Zwei Jahre später war die Zeit des Harrens
um; heulend kam der Sturm geflogen. Im Februar des tollen, heiligen Jahres
ging's in Paris los, dann in Wien, Berlin und andern Orten. Mit fiebernder
Erregung folgte Freiligrath natürlich den sich überstürzenden Ereignissen. "Ich
will nicht der Soldat sein," schrieb er damals aus England, wo er beim
Ausbruch der Revolution lebte, an einen Barmer Freund, "der vom Schlacht¬
felde desertiert!" Poetische Sturmvögel, "Im Hochland siel der erste Schuß",
"KequiL8Lat", "Schwarz-Not-Gold" usw., ließ er voranflattern, dann kam er
selbst und nahm: in Düsseldorf Wohnung. Als "Trompeter der Revolution"
wollte er mit der hinreißenden Werbekraft seiner Poesien wirken. Unter allen
seinen erbitterten, poetischen Schlachtrufen des Parteifanatismus erzielte den
gewaltigsten Erfolg sein großartiges Gedicht "Die Toten an die Lebenden",
nach Gottschalks treffender Charakteristik "eine grell beleuchtete Revolutionsstudie,
eine düster flackernde Hymne des Aufstandes". Die überaus scharfe Sprache,
mit der Freiligrath hier durch den Mund der gefallenen Mürzkämpfer das
lebende Geschlecht zum letzten blutigen Freiheitskämpfe mahnt, zog ihm Ver¬
haftung und Anklage zu. Das Schwurgericht sprach ihn jedoch unter dem
brausenden Jubel der Menge im Saale und draußen auf den Straßen am
3. Oktober frei. Seine Gedichte aus jener Zeit erschienen meist als Flugblätter
oder in der "Neuen Rheinischen Zeitung" in Köln, die von Karl Marx in
demokratisch-revolutionärem Sinne geleitet wurde, später gesammelt als "Neuere
politische und soziale Gedichte" (1849 bis 1851). Sie alle sind maßlos wild, auf-
stachelnde Klänge eines glühenden, fanatischen Jakobinertums, aber wir Epigone"
sind ja in der glücklichen Lage, sine ira et 8tuäio lediglich ihre poetische Kraft
und Schönheit zu genießen, und wir spüren auch in ihnen den pochenden
Herzschlag des Dichters, die heiße Glut für die Ideale Vaterland und Menschheit,


Ferdinand Freiligrath

Rußland, und grimmige Predigten über die schwächliche Haltung der preußischen
Regierung sind „Die weiße Frau". „Vom süßen Brei" und „Im Himmel".
Auch das „Glaubensbekenntnis" erzielte daher eine gewaltige Wirkung, und
man las es um so eifriger, je mehr die Polizei nach den von der Zensur in
die Acht getaner Büchern fahndete.

Der Dichter hatte sich inzwischen in die selbstgewählte Verbannung begeben
und schließlich in der Schweiz ein Asyl gefunden. In der schwülen Atmosphäre
des politischen, sozialen und religiösen Radikalismus, die hier im Kreise der
vormärzlichen Verbannten, wie Arnold Ruges, Karl Heinzens usw. herrschte,
wurde nun auch Freiligrath offen zum roten Revolutionär und ließ aufreizende,
nach Blut und Pulver riechende Marseillaisen in die Welt fliegen. Im Jahre
1846 erschien die kleine Sammlung ira!". Man kann die politischen
Anschauungen des Dichters beklagen oder verdammenswert finden, aber man
muß auch in diesen wilden Revolutionsgedichten die hohe Kunst bewundern,
mittels welcher der Empfindungsgehalt mit großartigem Schwung des dichterischen
Ausdrucks stets in ein höchst anschauliches Bild, in eine dramatisch-packende
Handlung hineingewoben ist. — Zwei Jahre später war die Zeit des Harrens
um; heulend kam der Sturm geflogen. Im Februar des tollen, heiligen Jahres
ging's in Paris los, dann in Wien, Berlin und andern Orten. Mit fiebernder
Erregung folgte Freiligrath natürlich den sich überstürzenden Ereignissen. „Ich
will nicht der Soldat sein," schrieb er damals aus England, wo er beim
Ausbruch der Revolution lebte, an einen Barmer Freund, „der vom Schlacht¬
felde desertiert!" Poetische Sturmvögel, „Im Hochland siel der erste Schuß",
»KequiL8Lat", „Schwarz-Not-Gold" usw., ließ er voranflattern, dann kam er
selbst und nahm: in Düsseldorf Wohnung. Als „Trompeter der Revolution"
wollte er mit der hinreißenden Werbekraft seiner Poesien wirken. Unter allen
seinen erbitterten, poetischen Schlachtrufen des Parteifanatismus erzielte den
gewaltigsten Erfolg sein großartiges Gedicht „Die Toten an die Lebenden",
nach Gottschalks treffender Charakteristik „eine grell beleuchtete Revolutionsstudie,
eine düster flackernde Hymne des Aufstandes". Die überaus scharfe Sprache,
mit der Freiligrath hier durch den Mund der gefallenen Mürzkämpfer das
lebende Geschlecht zum letzten blutigen Freiheitskämpfe mahnt, zog ihm Ver¬
haftung und Anklage zu. Das Schwurgericht sprach ihn jedoch unter dem
brausenden Jubel der Menge im Saale und draußen auf den Straßen am
3. Oktober frei. Seine Gedichte aus jener Zeit erschienen meist als Flugblätter
oder in der „Neuen Rheinischen Zeitung" in Köln, die von Karl Marx in
demokratisch-revolutionärem Sinne geleitet wurde, später gesammelt als „Neuere
politische und soziale Gedichte" (1849 bis 1851). Sie alle sind maßlos wild, auf-
stachelnde Klänge eines glühenden, fanatischen Jakobinertums, aber wir Epigone»
sind ja in der glücklichen Lage, sine ira et 8tuäio lediglich ihre poetische Kraft
und Schönheit zu genießen, und wir spüren auch in ihnen den pochenden
Herzschlag des Dichters, die heiße Glut für die Ideale Vaterland und Menschheit,


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[0519] Ferdinand Freiligrath Rußland, und grimmige Predigten über die schwächliche Haltung der preußischen Regierung sind „Die weiße Frau". „Vom süßen Brei" und „Im Himmel". Auch das „Glaubensbekenntnis" erzielte daher eine gewaltige Wirkung, und man las es um so eifriger, je mehr die Polizei nach den von der Zensur in die Acht getaner Büchern fahndete. Der Dichter hatte sich inzwischen in die selbstgewählte Verbannung begeben und schließlich in der Schweiz ein Asyl gefunden. In der schwülen Atmosphäre des politischen, sozialen und religiösen Radikalismus, die hier im Kreise der vormärzlichen Verbannten, wie Arnold Ruges, Karl Heinzens usw. herrschte, wurde nun auch Freiligrath offen zum roten Revolutionär und ließ aufreizende, nach Blut und Pulver riechende Marseillaisen in die Welt fliegen. Im Jahre 1846 erschien die kleine Sammlung ira!". Man kann die politischen Anschauungen des Dichters beklagen oder verdammenswert finden, aber man muß auch in diesen wilden Revolutionsgedichten die hohe Kunst bewundern, mittels welcher der Empfindungsgehalt mit großartigem Schwung des dichterischen Ausdrucks stets in ein höchst anschauliches Bild, in eine dramatisch-packende Handlung hineingewoben ist. — Zwei Jahre später war die Zeit des Harrens um; heulend kam der Sturm geflogen. Im Februar des tollen, heiligen Jahres ging's in Paris los, dann in Wien, Berlin und andern Orten. Mit fiebernder Erregung folgte Freiligrath natürlich den sich überstürzenden Ereignissen. „Ich will nicht der Soldat sein," schrieb er damals aus England, wo er beim Ausbruch der Revolution lebte, an einen Barmer Freund, „der vom Schlacht¬ felde desertiert!" Poetische Sturmvögel, „Im Hochland siel der erste Schuß", »KequiL8Lat", „Schwarz-Not-Gold" usw., ließ er voranflattern, dann kam er selbst und nahm: in Düsseldorf Wohnung. Als „Trompeter der Revolution" wollte er mit der hinreißenden Werbekraft seiner Poesien wirken. Unter allen seinen erbitterten, poetischen Schlachtrufen des Parteifanatismus erzielte den gewaltigsten Erfolg sein großartiges Gedicht „Die Toten an die Lebenden", nach Gottschalks treffender Charakteristik „eine grell beleuchtete Revolutionsstudie, eine düster flackernde Hymne des Aufstandes". Die überaus scharfe Sprache, mit der Freiligrath hier durch den Mund der gefallenen Mürzkämpfer das lebende Geschlecht zum letzten blutigen Freiheitskämpfe mahnt, zog ihm Ver¬ haftung und Anklage zu. Das Schwurgericht sprach ihn jedoch unter dem brausenden Jubel der Menge im Saale und draußen auf den Straßen am 3. Oktober frei. Seine Gedichte aus jener Zeit erschienen meist als Flugblätter oder in der „Neuen Rheinischen Zeitung" in Köln, die von Karl Marx in demokratisch-revolutionärem Sinne geleitet wurde, später gesammelt als „Neuere politische und soziale Gedichte" (1849 bis 1851). Sie alle sind maßlos wild, auf- stachelnde Klänge eines glühenden, fanatischen Jakobinertums, aber wir Epigone» sind ja in der glücklichen Lage, sine ira et 8tuäio lediglich ihre poetische Kraft und Schönheit zu genießen, und wir spüren auch in ihnen den pochenden Herzschlag des Dichters, die heiße Glut für die Ideale Vaterland und Menschheit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/519>, abgerufen am 29.06.2024.