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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Freiligrath

angeschlagen, und die Maßregelung der Göttinger Sieben von 1837 hatte auch
ihn erbittert, aber er war von der durch Herwegh, Dingelstedt usw. poetisch
vertretenen Richtung im ganzen doch noch weit entfernt. Das beweist die berühmt
gewordene Stelle in seinem Gedicht "Aus Spanien": "Der Dichter steht auf
einer höhern Warte Als auf den Zinnen der Partei!" Dieses Wort und der
Umstand, daß Freiligrath seit Neujahr 1842 aus der Privatschatulle des Königs
ein kleines Jahrgehalt von 300 Talern bezog, rief im Lager der Radikalen
Mißtrauen und Groll hervor und gab zu einer heftigen literarischen Fehde
Veranlassung. Besonders Herwegh griff Freiligrath an und bekämpfte ihn zuletzt
in seinem "Duett der Pensionierten" mit unedlen Waffen. Dieser Wassergang
aber mit all seinem häßlichen Drum und Dran trug mehr als anderes dazu
bei. daß Freiligrath sich der schiefen Stellung, in die er geraten war, klar
bewußt wurde. Er zog die Folgerung daraus und legte sein Jahrgehalt in
die Hände des Monarchen zurück, um von nun an völlig unabhängig dastehen
zu können. Auch lernte er nun erst die Tendenzen seines Wesens gründlich
kennen und sah. daß fortan sein Platz auf der Seite der Unterdrückten und
des Volkes sei. Die politische Entwickelung bestärkte ihn in dieser Überzeugung.
In dem Maße nämlich, wie der Nimbus des königlichen Scheinliberalismus
schwand, hinter dem sich das starre Gottesgnadentum versteckt hatte, wurden
die Maßnahmen der Staatsregierung immer reaktionärer. Sie äußerten sich in
Absetzungen. Bücherverboten und in der Verschärfung der Zensur. So war es
denn eine innere Notwendigkeit, die Freiligrath ins Lager der Opposition trieb.
Weil er aber ein Dichter war, dem ein Gott gab zu sagen, was er litt, so
mußte er es eben auch sagen. Er tat das in einer zweiten Gedichtsammlung,
dem "Glaubensbekenntnis" (1844), obwohl er wußte, daß bittere Lebenskampfe
die Folge sein würden. Das diesen Streitgedichten vorangestellte prosaische
Vorwort rechtfertigt die Wendung zur politischen Dichtung und weist die
Anschuldigung eines "buhlerischen Fahnentausches" energisch zurück. Der Dichter
ist in dieser zweiten Sammlung derselbe, der er in der ersten war; nur der
Stoff war ein anderer geworden, aber nicht die Art der poetischen Erfassung
und Behandlung. Auch hier finden wir die gedrungene Kraft des Gedankens,
die Greifbarkeit der Darstellung. Während Herwegh nur allgemeine Forderungen
in schön klingenden Phrasen aussprach und Dingelstedt und Hoffmann nur
satirisch reflektierten, zeichnete Freiligrath mit hoher Gestaltungskraft anschauliche
Einzelbilder, wie "Am Harz" und "Aus dem schlesischen Gebirge". In seinem
"Hamlet" führt er den Vergleich "Deutschland ist Hamlet" geistreich durch und
beklagt mit tiefem Schmerze die unwürdige und kraftlose Rolle, die Deutschland
in Europa spielte. Vielleicht das schönste Gedicht der Sammlung ist ,>Am
Baum der Menschheit drängt sich Blut' an Blüte", worin die glaubensstarken
Worte stehen: "Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume Wird einst vor
allen dieses Deutschland sein!" Mit meisterhafter Ironie wendet er sich im
"Kinderlied von Se. Nikolas" und in den "Zwei Flaggen" gegen das despotische


Ferdinand Freiligrath

angeschlagen, und die Maßregelung der Göttinger Sieben von 1837 hatte auch
ihn erbittert, aber er war von der durch Herwegh, Dingelstedt usw. poetisch
vertretenen Richtung im ganzen doch noch weit entfernt. Das beweist die berühmt
gewordene Stelle in seinem Gedicht „Aus Spanien": „Der Dichter steht auf
einer höhern Warte Als auf den Zinnen der Partei!" Dieses Wort und der
Umstand, daß Freiligrath seit Neujahr 1842 aus der Privatschatulle des Königs
ein kleines Jahrgehalt von 300 Talern bezog, rief im Lager der Radikalen
Mißtrauen und Groll hervor und gab zu einer heftigen literarischen Fehde
Veranlassung. Besonders Herwegh griff Freiligrath an und bekämpfte ihn zuletzt
in seinem „Duett der Pensionierten" mit unedlen Waffen. Dieser Wassergang
aber mit all seinem häßlichen Drum und Dran trug mehr als anderes dazu
bei. daß Freiligrath sich der schiefen Stellung, in die er geraten war, klar
bewußt wurde. Er zog die Folgerung daraus und legte sein Jahrgehalt in
die Hände des Monarchen zurück, um von nun an völlig unabhängig dastehen
zu können. Auch lernte er nun erst die Tendenzen seines Wesens gründlich
kennen und sah. daß fortan sein Platz auf der Seite der Unterdrückten und
des Volkes sei. Die politische Entwickelung bestärkte ihn in dieser Überzeugung.
In dem Maße nämlich, wie der Nimbus des königlichen Scheinliberalismus
schwand, hinter dem sich das starre Gottesgnadentum versteckt hatte, wurden
die Maßnahmen der Staatsregierung immer reaktionärer. Sie äußerten sich in
Absetzungen. Bücherverboten und in der Verschärfung der Zensur. So war es
denn eine innere Notwendigkeit, die Freiligrath ins Lager der Opposition trieb.
Weil er aber ein Dichter war, dem ein Gott gab zu sagen, was er litt, so
mußte er es eben auch sagen. Er tat das in einer zweiten Gedichtsammlung,
dem „Glaubensbekenntnis" (1844), obwohl er wußte, daß bittere Lebenskampfe
die Folge sein würden. Das diesen Streitgedichten vorangestellte prosaische
Vorwort rechtfertigt die Wendung zur politischen Dichtung und weist die
Anschuldigung eines „buhlerischen Fahnentausches" energisch zurück. Der Dichter
ist in dieser zweiten Sammlung derselbe, der er in der ersten war; nur der
Stoff war ein anderer geworden, aber nicht die Art der poetischen Erfassung
und Behandlung. Auch hier finden wir die gedrungene Kraft des Gedankens,
die Greifbarkeit der Darstellung. Während Herwegh nur allgemeine Forderungen
in schön klingenden Phrasen aussprach und Dingelstedt und Hoffmann nur
satirisch reflektierten, zeichnete Freiligrath mit hoher Gestaltungskraft anschauliche
Einzelbilder, wie „Am Harz" und „Aus dem schlesischen Gebirge". In seinem
„Hamlet" führt er den Vergleich „Deutschland ist Hamlet" geistreich durch und
beklagt mit tiefem Schmerze die unwürdige und kraftlose Rolle, die Deutschland
in Europa spielte. Vielleicht das schönste Gedicht der Sammlung ist ,>Am
Baum der Menschheit drängt sich Blut' an Blüte", worin die glaubensstarken
Worte stehen: „Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume Wird einst vor
allen dieses Deutschland sein!" Mit meisterhafter Ironie wendet er sich im
„Kinderlied von Se. Nikolas" und in den „Zwei Flaggen" gegen das despotische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/518>, abgerufen am 01.07.2024.