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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Freiligrath

denen er sein ganzes Leben lang "trotz alledem und alledem" treu geblieben
ist. Eine Nachlese aus der unpolitischen Periode seines dichterischen Schaffens
brachte 1850 die Sammlung "Zwischen den Garben". Sie enthält einige liebliche
Gedichte, wie die drei herrlichen Liebeslieder aus des Dichters Unkeler Zeit,
serner "Rolandseck", das tiefempfundene "O lieb', solang' dn lieben kannst";
daneben auch freilich manches Bizarre, wie z. B. "Das Hospitalschiff" u. a.

Um den neuen Preßprozessen und der abermaligen Verhaftung zu entgehen,
die wegen der "Neueren politischen und sozialen Gedichte" sicher zu erwarten
waren, zog Freiligrath, diesmal jedoch für siebzehn Jahre, abermals nach England.
Schwer lastete dort das freudlose Leben der Verbannung auf dem Flüchtling,
der in ungeliebter, harter Fronarbeit auf dem Kontorstuhle sich und seiner
köpfereichen Familie das tägliche Brot erwerben mußte. Auch Zeiten der bittern
Not kamen bisweilen, in denen er sich kaum über Wasser halten konnte. Nur
das Glück seines Ehe- und Familienlebens gab ihm immer wieder Trost und
Kraft. Da galt es, literarischen Nebenverdienst zu suchen. So besorgte er für
Hallberger in Stuttgart eine gute Auswahl englischer Lyrik in der Sammlung
"Rose, Thistle and Shamrock". Nur noch selten und nur bei besondern Anlässen
kam der Dichter, der nunmehr jeder politischen Agitation grundsätzlich aus dein
Wege ging, zu eignem poetischen Schaffen, wie z. B. anläßlich der Schillerfeier
1859 und des Todes Johanna Kinkels. Dagegen widmete er sich fleißig der
Übersetzerarbeit, die ja seine ganze dichterische Entwickelung begleitet hatte. Als
Übersetzer französischer, englischer und amerikanischer Dichtungen ist Freiligrath
hochbedeutend. Schon in Amsterdam hatte er den ihm so wesensverwandten
Viktor Hugo meisterlich ins Deutsche übertragen, später Moliöre, Musset, Raboul,
dann Shakespeares "Venus und Adonis" und englische Gedichte von Fel. Hemans,
Th. Moore, Tcmnahill, Burns, Tennyson, Longfellow usw., zuletzt noch die
Amerikaner M. Whitman und Bret Harte, die durch ihn eigentlich erst dem
deutschen Publikum bekannt wurden. Seine Übersetzungen sind ausgezeichnet
durch Treue, echt poetischen Geist und Schönheit der Sprache, so daß man bei
der Lektüre durchaus nicht an die fremdländische Herkunft erinnert wird.

Die weltgeschichtlichen Ereignisse von 1866 hatten in Preußen Regierung
und Parlament ausgesöhnt und den politischen Flüchtlingen eine umfassende
Amnestie gebracht. Freiligrath wollte indes seine Rückkehr ins Vaterland keinem
Gnadenakte verdanken. Seine Freunde und Verehrer aber machten den schon
oft erwogenen Gedanken, es sei Pflicht des deutschen Volkes, dem in Sorgen
alternden Dichter und Kämpfer auf deutschem Boden einen gesicherten Lebens¬
abend zu bereiten, nunmehr zur Tat. Von Barmer ging der erste Aufruf zu
einer Nationalspende für Freiligrath aus. Er erschien im April 1867 in der
"Gartenlaube", eingeleitet durch ein schwungvolles Werbegedicht des rheinischen
Poeten Emil Rittershaus, und wurde nicht nur in der gesamten liberalen Presse,
sondern auch in Blättern anderer Richtungen abgedruckt. Auch in England und
nicht zum mindesten in Amerika regte sich der Sammeleifer. Das Ergebnis


Ferdinand Freiligrath

denen er sein ganzes Leben lang „trotz alledem und alledem" treu geblieben
ist. Eine Nachlese aus der unpolitischen Periode seines dichterischen Schaffens
brachte 1850 die Sammlung „Zwischen den Garben". Sie enthält einige liebliche
Gedichte, wie die drei herrlichen Liebeslieder aus des Dichters Unkeler Zeit,
serner „Rolandseck", das tiefempfundene „O lieb', solang' dn lieben kannst";
daneben auch freilich manches Bizarre, wie z. B. „Das Hospitalschiff" u. a.

Um den neuen Preßprozessen und der abermaligen Verhaftung zu entgehen,
die wegen der „Neueren politischen und sozialen Gedichte" sicher zu erwarten
waren, zog Freiligrath, diesmal jedoch für siebzehn Jahre, abermals nach England.
Schwer lastete dort das freudlose Leben der Verbannung auf dem Flüchtling,
der in ungeliebter, harter Fronarbeit auf dem Kontorstuhle sich und seiner
köpfereichen Familie das tägliche Brot erwerben mußte. Auch Zeiten der bittern
Not kamen bisweilen, in denen er sich kaum über Wasser halten konnte. Nur
das Glück seines Ehe- und Familienlebens gab ihm immer wieder Trost und
Kraft. Da galt es, literarischen Nebenverdienst zu suchen. So besorgte er für
Hallberger in Stuttgart eine gute Auswahl englischer Lyrik in der Sammlung
„Rose, Thistle and Shamrock". Nur noch selten und nur bei besondern Anlässen
kam der Dichter, der nunmehr jeder politischen Agitation grundsätzlich aus dein
Wege ging, zu eignem poetischen Schaffen, wie z. B. anläßlich der Schillerfeier
1859 und des Todes Johanna Kinkels. Dagegen widmete er sich fleißig der
Übersetzerarbeit, die ja seine ganze dichterische Entwickelung begleitet hatte. Als
Übersetzer französischer, englischer und amerikanischer Dichtungen ist Freiligrath
hochbedeutend. Schon in Amsterdam hatte er den ihm so wesensverwandten
Viktor Hugo meisterlich ins Deutsche übertragen, später Moliöre, Musset, Raboul,
dann Shakespeares „Venus und Adonis" und englische Gedichte von Fel. Hemans,
Th. Moore, Tcmnahill, Burns, Tennyson, Longfellow usw., zuletzt noch die
Amerikaner M. Whitman und Bret Harte, die durch ihn eigentlich erst dem
deutschen Publikum bekannt wurden. Seine Übersetzungen sind ausgezeichnet
durch Treue, echt poetischen Geist und Schönheit der Sprache, so daß man bei
der Lektüre durchaus nicht an die fremdländische Herkunft erinnert wird.

Die weltgeschichtlichen Ereignisse von 1866 hatten in Preußen Regierung
und Parlament ausgesöhnt und den politischen Flüchtlingen eine umfassende
Amnestie gebracht. Freiligrath wollte indes seine Rückkehr ins Vaterland keinem
Gnadenakte verdanken. Seine Freunde und Verehrer aber machten den schon
oft erwogenen Gedanken, es sei Pflicht des deutschen Volkes, dem in Sorgen
alternden Dichter und Kämpfer auf deutschem Boden einen gesicherten Lebens¬
abend zu bereiten, nunmehr zur Tat. Von Barmer ging der erste Aufruf zu
einer Nationalspende für Freiligrath aus. Er erschien im April 1867 in der
„Gartenlaube", eingeleitet durch ein schwungvolles Werbegedicht des rheinischen
Poeten Emil Rittershaus, und wurde nicht nur in der gesamten liberalen Presse,
sondern auch in Blättern anderer Richtungen abgedruckt. Auch in England und
nicht zum mindesten in Amerika regte sich der Sammeleifer. Das Ergebnis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/520>, abgerufen am 26.06.2024.