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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und England

erwartenden britischen Piraterie einigermaßen entgegentreten können; es wird selbst
ohne Freunde (und wer erwöge nicht schon die Möglichkeit amerikanischer Unter¬
stützung oder wenigstens wohlwollender Haltung, die ein anglophiles Vorgehen
Kanadas neutralisieren könnte!) einen nicht zu unterschätzenden Gegner bilden, der
England höchstens einen Pyrrhussieg gönnen wird. Und auf dessen Seite haben
sich die Schwierigkeiten nichts weniger als verringert, so daß die Träume der chauvi¬
nistischen Zeitungen Englands ihrer Verwirklichung immer ferner rücken. Trotzdem
bleibt auch weiterhin die britische "Gefahr" bestehen, so lange es ein britisches
Herrentum gibt, das gewohnt ist, die Vormacht in der Welt mit keinem Zweiten
zu teilen und gewillt, das stolze "Lritannia rules elf xvavsZ" auch heute
noch, trotz Japan und Amerika, aufrechtzuerhalten; sein Schlagwort heißt heute,
auch in Zeiten äußerer Ruhe: (Zsrmaniarn L88e äelenclam! Daran ändert,
kein Versuch etwas, durch wirtschaftliche Trinkgelder die politische Freundschaft
zu erzwingen, keine Kompensationspolitik, und böte sie auch noch so wertvolle
Afrikakolonien, wie der Helgoland-Vertrag 1890, daran kein Drohmittel wie
die Krügerdepesche, kein gekränkter Monarchenstolz oder übereiltes Entgegen¬
kommen unseres Kaisers. Auch wird die Spannung nicht dnrch deutsche Vor¬
stellungen: England verliere durch Deutschlands wirtschaftlichen Aufschwung
nichts, beseitigt werden, so wenig sie durch Beschwichtigung von Friedens¬
freunden beider Länder, durch deren Kongresse, Resolutionen und Menschen¬
austausche beseitigt werden wird. Nur der realpolitische Vernunftwille eines¬
wahrhaft liberalen England wird eine Katastrophe Hinausschieben, vielleicht
überhaupt verhindern können.

Solange aber Deutschland keine Garantie hat, daß England das Abrüsten
ernst ist und der Krieg fernliegt, muß es sich weiterhin bis an die Zähne
bewaffnen, muß es die Armee auf dem alten Niveau erhalten und die Flotte
auf eine Höhe erheben, die achtunggebietend auch auf England wirkt. Nur
darin liegt für das offizielle Deutschland, das den Frieden ehrlich will (und
auch für Reventlow) eine gewisse Bürgschaft des Friedens ivie die ma߬
gebenden Stellen unseres Reichs -- ähnlich der Rooseveltschen Parole, daß
eine starke Flotte das beste Bollwerk des Friedens sei -- immer betonten und
wie selbst der englische Minister des Auswärtigen zugab, wenn er sagte: "Eine
starke Flotte würde Deutschlands Prestige, seinen diplomatischen Einfluß und
die Macht, seinen Handel zu schützen, vermehren." Dasselbe bedeuten die
Bismarckschen Worte, die er 1887 bei Vertretung der Heeresvorlage im Reichstag
sprach, wenn man sie unter veränderten Verhältnissen einmal auf die Flotte
anwenden darf: "Das Anwachsen der deutschen Streitkraft und Wehrhaftigkeit
halte ich für ein wesentliches Element des Friedens." Denn auch für die
Mariner würde er in unserer Lage, wie für das Armcebudget von damals, mit
seiner ganzen Kraft eintreten, um damit dem Weltfrieden zu dienen, der
Ziel und Glück seiner langen Neichskanzlerschaft war.




Bismarck und England

erwartenden britischen Piraterie einigermaßen entgegentreten können; es wird selbst
ohne Freunde (und wer erwöge nicht schon die Möglichkeit amerikanischer Unter¬
stützung oder wenigstens wohlwollender Haltung, die ein anglophiles Vorgehen
Kanadas neutralisieren könnte!) einen nicht zu unterschätzenden Gegner bilden, der
England höchstens einen Pyrrhussieg gönnen wird. Und auf dessen Seite haben
sich die Schwierigkeiten nichts weniger als verringert, so daß die Träume der chauvi¬
nistischen Zeitungen Englands ihrer Verwirklichung immer ferner rücken. Trotzdem
bleibt auch weiterhin die britische „Gefahr" bestehen, so lange es ein britisches
Herrentum gibt, das gewohnt ist, die Vormacht in der Welt mit keinem Zweiten
zu teilen und gewillt, das stolze „Lritannia rules elf xvavsZ" auch heute
noch, trotz Japan und Amerika, aufrechtzuerhalten; sein Schlagwort heißt heute,
auch in Zeiten äußerer Ruhe: (Zsrmaniarn L88e äelenclam! Daran ändert,
kein Versuch etwas, durch wirtschaftliche Trinkgelder die politische Freundschaft
zu erzwingen, keine Kompensationspolitik, und böte sie auch noch so wertvolle
Afrikakolonien, wie der Helgoland-Vertrag 1890, daran kein Drohmittel wie
die Krügerdepesche, kein gekränkter Monarchenstolz oder übereiltes Entgegen¬
kommen unseres Kaisers. Auch wird die Spannung nicht dnrch deutsche Vor¬
stellungen: England verliere durch Deutschlands wirtschaftlichen Aufschwung
nichts, beseitigt werden, so wenig sie durch Beschwichtigung von Friedens¬
freunden beider Länder, durch deren Kongresse, Resolutionen und Menschen¬
austausche beseitigt werden wird. Nur der realpolitische Vernunftwille eines¬
wahrhaft liberalen England wird eine Katastrophe Hinausschieben, vielleicht
überhaupt verhindern können.

Solange aber Deutschland keine Garantie hat, daß England das Abrüsten
ernst ist und der Krieg fernliegt, muß es sich weiterhin bis an die Zähne
bewaffnen, muß es die Armee auf dem alten Niveau erhalten und die Flotte
auf eine Höhe erheben, die achtunggebietend auch auf England wirkt. Nur
darin liegt für das offizielle Deutschland, das den Frieden ehrlich will (und
auch für Reventlow) eine gewisse Bürgschaft des Friedens ivie die ma߬
gebenden Stellen unseres Reichs — ähnlich der Rooseveltschen Parole, daß
eine starke Flotte das beste Bollwerk des Friedens sei — immer betonten und
wie selbst der englische Minister des Auswärtigen zugab, wenn er sagte: „Eine
starke Flotte würde Deutschlands Prestige, seinen diplomatischen Einfluß und
die Macht, seinen Handel zu schützen, vermehren." Dasselbe bedeuten die
Bismarckschen Worte, die er 1887 bei Vertretung der Heeresvorlage im Reichstag
sprach, wenn man sie unter veränderten Verhältnissen einmal auf die Flotte
anwenden darf: „Das Anwachsen der deutschen Streitkraft und Wehrhaftigkeit
halte ich für ein wesentliches Element des Friedens." Denn auch für die
Mariner würde er in unserer Lage, wie für das Armcebudget von damals, mit
seiner ganzen Kraft eintreten, um damit dem Weltfrieden zu dienen, der
Ziel und Glück seiner langen Neichskanzlerschaft war.




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[0513] Bismarck und England erwartenden britischen Piraterie einigermaßen entgegentreten können; es wird selbst ohne Freunde (und wer erwöge nicht schon die Möglichkeit amerikanischer Unter¬ stützung oder wenigstens wohlwollender Haltung, die ein anglophiles Vorgehen Kanadas neutralisieren könnte!) einen nicht zu unterschätzenden Gegner bilden, der England höchstens einen Pyrrhussieg gönnen wird. Und auf dessen Seite haben sich die Schwierigkeiten nichts weniger als verringert, so daß die Träume der chauvi¬ nistischen Zeitungen Englands ihrer Verwirklichung immer ferner rücken. Trotzdem bleibt auch weiterhin die britische „Gefahr" bestehen, so lange es ein britisches Herrentum gibt, das gewohnt ist, die Vormacht in der Welt mit keinem Zweiten zu teilen und gewillt, das stolze „Lritannia rules elf xvavsZ" auch heute noch, trotz Japan und Amerika, aufrechtzuerhalten; sein Schlagwort heißt heute, auch in Zeiten äußerer Ruhe: (Zsrmaniarn L88e äelenclam! Daran ändert, kein Versuch etwas, durch wirtschaftliche Trinkgelder die politische Freundschaft zu erzwingen, keine Kompensationspolitik, und böte sie auch noch so wertvolle Afrikakolonien, wie der Helgoland-Vertrag 1890, daran kein Drohmittel wie die Krügerdepesche, kein gekränkter Monarchenstolz oder übereiltes Entgegen¬ kommen unseres Kaisers. Auch wird die Spannung nicht dnrch deutsche Vor¬ stellungen: England verliere durch Deutschlands wirtschaftlichen Aufschwung nichts, beseitigt werden, so wenig sie durch Beschwichtigung von Friedens¬ freunden beider Länder, durch deren Kongresse, Resolutionen und Menschen¬ austausche beseitigt werden wird. Nur der realpolitische Vernunftwille eines¬ wahrhaft liberalen England wird eine Katastrophe Hinausschieben, vielleicht überhaupt verhindern können. Solange aber Deutschland keine Garantie hat, daß England das Abrüsten ernst ist und der Krieg fernliegt, muß es sich weiterhin bis an die Zähne bewaffnen, muß es die Armee auf dem alten Niveau erhalten und die Flotte auf eine Höhe erheben, die achtunggebietend auch auf England wirkt. Nur darin liegt für das offizielle Deutschland, das den Frieden ehrlich will (und auch für Reventlow) eine gewisse Bürgschaft des Friedens ivie die ma߬ gebenden Stellen unseres Reichs — ähnlich der Rooseveltschen Parole, daß eine starke Flotte das beste Bollwerk des Friedens sei — immer betonten und wie selbst der englische Minister des Auswärtigen zugab, wenn er sagte: „Eine starke Flotte würde Deutschlands Prestige, seinen diplomatischen Einfluß und die Macht, seinen Handel zu schützen, vermehren." Dasselbe bedeuten die Bismarckschen Worte, die er 1887 bei Vertretung der Heeresvorlage im Reichstag sprach, wenn man sie unter veränderten Verhältnissen einmal auf die Flotte anwenden darf: „Das Anwachsen der deutschen Streitkraft und Wehrhaftigkeit halte ich für ein wesentliches Element des Friedens." Denn auch für die Mariner würde er in unserer Lage, wie für das Armcebudget von damals, mit seiner ganzen Kraft eintreten, um damit dem Weltfrieden zu dienen, der Ziel und Glück seiner langen Neichskanzlerschaft war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/513>, abgerufen am 01.07.2024.