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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bismarck und England

hänge zu konstruieren, die nicht im Bereich von dessen Gesamtanschauung liegen,
und darum ist ihm aus jener Antwort Bismarcks nur klar: daß dieser damit
das erlösende Wort sprach in einer Frage, in der hüben und drüben soviel
Unklarheit herrscht.

In der Tat, was England gegen Deutschland erbittert, das geht, wie
aller politische Gegensatz in Englands Auslandspolitik, von jeher aus Gründen
wirtschaftlicher und maritimer Eifersucht hervor. Das Problem des zwanzigsten
Jahrhunderts ist daher die Frage: gehört auch Deutschland in die Reihe der
Mächte, die England aus dieser Ursache zur Erhaltung bezw. Errichtung seiner
Weltherrschaft niederringen muß, so wie es Spanien, Holland und Frankreich
im Verlaufe von vier Jahrhunderten und Nußland eben erst, durch Japans
Waffen, auf das Niveau herabgezwungen hat, das es für die Ruhe seines Welt¬
reiches für nötig hielt? Oder erhebt sich nicht vielmehr von selbst die weitere
Frage: Wird die Reihe für England nicht ohne Ende sein, auch nach einem
(angenommenen) Siege über Deutschland? Wird es nicht mit einer Hydra
europäischer Großmächte zu tun haben, deren abgeschlagene Köpfe zu um so
verzweifelterem Nachekrieg immer wieder nachwachsen werden? Und wird es
sich schließlich nicht auch neuen und ungeschwächten Riesenmächten des Ostens
und Westens gegenübergestellt sehen, wenn es die Tendenzen seiner Weltpolitik
in vollem Umfang aufrecht erhalten will?

Wie dein auch sei, der Grund zu einer letzten Entscheidung mit Deutschland
ist schon gelegt und will daher nicht übersehen werden. Seit 1897, als England
die Gelegenheit ergriff, aus dem deutschen Flottengesetz neben der eingebildeten
wirtschaftlichen auch eine beabsichtigte politische Überflügelung Englands durch
Deutschland zu konstruieren, um damit der Feindschaft den Anstrich moralischer
Rechtfertigung und einem etwaigen Überfall das Aussehen natürlicher Notwehr
zu geben -- seitdem ist der wirtschaftliche Gegensatz geschickt auf das politische
Feld hinübergespielt, wo er bis vor kurzem tobte, sich oft förmlich überschlagend
in kuriosen Befürchtungen und Wünschen, in unwahren Behauptungen und
(statistischen!) Beweisen!

Was würde Bismarck dazu sagen? Wollen wir die Frage stellen, so
mögen wir wohl aus jenen letzten Worten des greisen Alten vom Sachsemvalde
heraus den nervösen Briten die klare Alternative stellen: Entweder sie schicken
sich in das Unvermeidliche und behandeln uns Deutsche "an pair", indem sie
auch eine rapide Steigerung unserer Machtmittel, welcher das Deutsche Reich
zu seiner Erhaltung und gesunden Weiterentwicklung bedarf, als unumstößliche
Tatsache hinnehmen oder sie müssen den Krieg wagen, der auch heute trotz
Bertha vou Suttner die ultima ratio bleibt, ^ertium non äatur!

Noch vor fünf Jahren hätten sie Deutschland in seiner Entwicklung hemmen,
wenn auch nicht vernichten können. Heute ist das anders geworden. Deutschland
hat indessen Zeit gehabt, sich zu rüsten, und wird mit der vorhandenen Flotte
nicht nur seine Küste schützen, sondern auch über See der im Kriegsfall zu


Bismarck und England

hänge zu konstruieren, die nicht im Bereich von dessen Gesamtanschauung liegen,
und darum ist ihm aus jener Antwort Bismarcks nur klar: daß dieser damit
das erlösende Wort sprach in einer Frage, in der hüben und drüben soviel
Unklarheit herrscht.

In der Tat, was England gegen Deutschland erbittert, das geht, wie
aller politische Gegensatz in Englands Auslandspolitik, von jeher aus Gründen
wirtschaftlicher und maritimer Eifersucht hervor. Das Problem des zwanzigsten
Jahrhunderts ist daher die Frage: gehört auch Deutschland in die Reihe der
Mächte, die England aus dieser Ursache zur Erhaltung bezw. Errichtung seiner
Weltherrschaft niederringen muß, so wie es Spanien, Holland und Frankreich
im Verlaufe von vier Jahrhunderten und Nußland eben erst, durch Japans
Waffen, auf das Niveau herabgezwungen hat, das es für die Ruhe seines Welt¬
reiches für nötig hielt? Oder erhebt sich nicht vielmehr von selbst die weitere
Frage: Wird die Reihe für England nicht ohne Ende sein, auch nach einem
(angenommenen) Siege über Deutschland? Wird es nicht mit einer Hydra
europäischer Großmächte zu tun haben, deren abgeschlagene Köpfe zu um so
verzweifelterem Nachekrieg immer wieder nachwachsen werden? Und wird es
sich schließlich nicht auch neuen und ungeschwächten Riesenmächten des Ostens
und Westens gegenübergestellt sehen, wenn es die Tendenzen seiner Weltpolitik
in vollem Umfang aufrecht erhalten will?

Wie dein auch sei, der Grund zu einer letzten Entscheidung mit Deutschland
ist schon gelegt und will daher nicht übersehen werden. Seit 1897, als England
die Gelegenheit ergriff, aus dem deutschen Flottengesetz neben der eingebildeten
wirtschaftlichen auch eine beabsichtigte politische Überflügelung Englands durch
Deutschland zu konstruieren, um damit der Feindschaft den Anstrich moralischer
Rechtfertigung und einem etwaigen Überfall das Aussehen natürlicher Notwehr
zu geben — seitdem ist der wirtschaftliche Gegensatz geschickt auf das politische
Feld hinübergespielt, wo er bis vor kurzem tobte, sich oft förmlich überschlagend
in kuriosen Befürchtungen und Wünschen, in unwahren Behauptungen und
(statistischen!) Beweisen!

Was würde Bismarck dazu sagen? Wollen wir die Frage stellen, so
mögen wir wohl aus jenen letzten Worten des greisen Alten vom Sachsemvalde
heraus den nervösen Briten die klare Alternative stellen: Entweder sie schicken
sich in das Unvermeidliche und behandeln uns Deutsche „an pair", indem sie
auch eine rapide Steigerung unserer Machtmittel, welcher das Deutsche Reich
zu seiner Erhaltung und gesunden Weiterentwicklung bedarf, als unumstößliche
Tatsache hinnehmen oder sie müssen den Krieg wagen, der auch heute trotz
Bertha vou Suttner die ultima ratio bleibt, ^ertium non äatur!

Noch vor fünf Jahren hätten sie Deutschland in seiner Entwicklung hemmen,
wenn auch nicht vernichten können. Heute ist das anders geworden. Deutschland
hat indessen Zeit gehabt, sich zu rüsten, und wird mit der vorhandenen Flotte
nicht nur seine Küste schützen, sondern auch über See der im Kriegsfall zu


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[0512] Bismarck und England hänge zu konstruieren, die nicht im Bereich von dessen Gesamtanschauung liegen, und darum ist ihm aus jener Antwort Bismarcks nur klar: daß dieser damit das erlösende Wort sprach in einer Frage, in der hüben und drüben soviel Unklarheit herrscht. In der Tat, was England gegen Deutschland erbittert, das geht, wie aller politische Gegensatz in Englands Auslandspolitik, von jeher aus Gründen wirtschaftlicher und maritimer Eifersucht hervor. Das Problem des zwanzigsten Jahrhunderts ist daher die Frage: gehört auch Deutschland in die Reihe der Mächte, die England aus dieser Ursache zur Erhaltung bezw. Errichtung seiner Weltherrschaft niederringen muß, so wie es Spanien, Holland und Frankreich im Verlaufe von vier Jahrhunderten und Nußland eben erst, durch Japans Waffen, auf das Niveau herabgezwungen hat, das es für die Ruhe seines Welt¬ reiches für nötig hielt? Oder erhebt sich nicht vielmehr von selbst die weitere Frage: Wird die Reihe für England nicht ohne Ende sein, auch nach einem (angenommenen) Siege über Deutschland? Wird es nicht mit einer Hydra europäischer Großmächte zu tun haben, deren abgeschlagene Köpfe zu um so verzweifelterem Nachekrieg immer wieder nachwachsen werden? Und wird es sich schließlich nicht auch neuen und ungeschwächten Riesenmächten des Ostens und Westens gegenübergestellt sehen, wenn es die Tendenzen seiner Weltpolitik in vollem Umfang aufrecht erhalten will? Wie dein auch sei, der Grund zu einer letzten Entscheidung mit Deutschland ist schon gelegt und will daher nicht übersehen werden. Seit 1897, als England die Gelegenheit ergriff, aus dem deutschen Flottengesetz neben der eingebildeten wirtschaftlichen auch eine beabsichtigte politische Überflügelung Englands durch Deutschland zu konstruieren, um damit der Feindschaft den Anstrich moralischer Rechtfertigung und einem etwaigen Überfall das Aussehen natürlicher Notwehr zu geben — seitdem ist der wirtschaftliche Gegensatz geschickt auf das politische Feld hinübergespielt, wo er bis vor kurzem tobte, sich oft förmlich überschlagend in kuriosen Befürchtungen und Wünschen, in unwahren Behauptungen und (statistischen!) Beweisen! Was würde Bismarck dazu sagen? Wollen wir die Frage stellen, so mögen wir wohl aus jenen letzten Worten des greisen Alten vom Sachsemvalde heraus den nervösen Briten die klare Alternative stellen: Entweder sie schicken sich in das Unvermeidliche und behandeln uns Deutsche „an pair", indem sie auch eine rapide Steigerung unserer Machtmittel, welcher das Deutsche Reich zu seiner Erhaltung und gesunden Weiterentwicklung bedarf, als unumstößliche Tatsache hinnehmen oder sie müssen den Krieg wagen, der auch heute trotz Bertha vou Suttner die ultima ratio bleibt, ^ertium non äatur! Noch vor fünf Jahren hätten sie Deutschland in seiner Entwicklung hemmen, wenn auch nicht vernichten können. Heute ist das anders geworden. Deutschland hat indessen Zeit gehabt, sich zu rüsten, und wird mit der vorhandenen Flotte nicht nur seine Küste schützen, sondern auch über See der im Kriegsfall zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/512>, abgerufen am 01.07.2024.